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Psychisch gesund – auch im Alter kein Problem

25.05.2022 Seite 32
RAE Ausgabe 6/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 6/2022

Seite 32

Glücklich und vital bis zuletzt: Alter, das bedeutet für viele Menschen heute mehr Zeit für Aktivitäten, Hobbies und Selbsterfüllung. Von zentraler Bedeutung ist es dabei, aktiv zu bleiben, neue sinnstiftende Tätigkeiten zu finden und weiter am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. © Jane/stock.adobe.com
Gescheit, gesund, glücklich: Die Formel für Lebensfreude und Erfüllung in hohen Jahren ist denkbar einfach. Und in der Tat, das Alter hat heute viel von seinem Stigma als Zeit des bloßen Wartens auf den Tod verloren. Mehr noch: Die Voraussetzungen für Zufriedenheit am Lebensabend sind heute besser denn je. Die Mittel und Wege im Kampf gegen Einsamkeit und Depression im Alter, aber auch präventive Maßnahmen waren Gegenstand der gemeinsamen Fortbildungsreihe „Der ältere Mensch“ von Kassenärztlicher Vereinigung und Ärztekammer Nordrhein, dem Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein (IQN) sowie der Ärztlichen Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung in Nordrhein

von Thomas Petersdorff

Gebrechlichkeit, geistiger Abbau, sozialer Rückzug, Einsamkeit – noch immer sind die gesellschaftlichen Vorurteile dem Älterwerden gegenüber weit verbreitet. Dabei ist das Stereotyp des tattrigen Greises dank fortschreitender medizinischer Erkenntnisse inzwischen weitestgehend obsolet geworden. Alter, das bedeutet für viele Menschen heute: mehr Zeit für Aktivitäten, Hobbies und Selbsterfüllung. „Altern an sich ist kein Prozess, der psychisch krankmacht“, bestätigt Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein. 

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie weiß: „Altern heißt heute nicht mehr nur kognitiver Abbau, sozialer Rückzug oder Warten auf den Tod. Im Gegenteil. Zwar geht der Prozess des Älterwerdens ganz natürlich mit psychologischen Veränderungen einher – Aufmerksamkeitsspanne und Kurzzeitgedächtnis können mitunter ein wenig nachlassen –, doch bedeutet das keineswegs, dass sich nicht auch im höheren Alter neue Kompetenzen erlernen lassen.“ Jeder Altersabschnitt habe eigene Strategien der Alltagsbewältigung und des Umgangs mit Stressoren, sagt Bergmann. Von ganz zentraler Bedeutung für ein gesundes Leben im Alter sei es, aktiv zu bleiben, neue sinnstiftende Tätigkeiten zu finden und nicht zuletzt: weiter am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.   

Stressfaktor Einsamkeit

Genau das gestaltet sich aber für viele Menschen schwierig. Mit fortschreitendem Alter gehen bekanntlich auch soziale Veränderungen einher. Meist sind es kritische Lebensereignisse wie der Eintritt ins Rentenalter, die Erfahrung zunehmender Immobilität oder der plötzliche Tod einer geliebten Person, der die Betroffenen aus ehemaligen sozialen Gewissheiten reißt. Nicht ohne Grund ist Einsamkeit einer der maßgeblichen Stressfaktoren im Alter und hat ganz erheblichen Einfluss auf die gesundheitliche Verfassung geriatrischer Patientinnen und Patienten. 

„Wir wissen heute: Soziale Isolation und Einsamkeit erhöhen die Inzidenz und verschlechtern den Verlauf einer Vielzahl chronischer altersassoziierter Erkrankungen und tragen damit zur Übersterblichkeit alter Menschen bei“, erörtert Bergmann. Seines Erachtens umso wichtiger ist es darum, einen Rahmen zu schaffen, der zum einen aus (psycho-)therapeutischer Begleitung und zum anderen aus sozialen Angeboten besteht, um so die wechselseitige Abhängigkeit somatischer und psychischer Erkrankungen fachgerecht behandeln und dem komplexen Versorgungsbedarf im Alter gerecht werden zu können. Besonders vielversprechend sei eine multiprofessionelle Versorgung in Netzwerken, so Bergmann. Als KV Nordrhein habe man mit dem Innovationsfondsprojekt „Neurologisch-psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung“ (NPPV) eine erfolgreiche Blaupause geschaffen, die fachärztliche, psychotherapeutische und nicht-ärztliche Angebote in sich vereine.  

Depressionen im Alter unterschätzt

Wie ernst das Thema Einsamkeit ist, zeigt sich nicht zuletzt im Zusammenhang mit depressiven Erkrankungen. Zwar ist nicht jede Depression im Alter nur durch Einsamkeit bedingt, wie Professor Dr. Tillmann Supprian, Ärztlicher Direktor des LVR-Klinikums Düsseldorf, erklärte. Doch sind Isolation und sozialer Rückzug neben organischen Störungen nicht selten ein wichtiger Ko-Faktor bei der Herausbildung entsprechender psychologischer Krankheitsbilder. Ein Umstand, der sich umso fataler auswirkt, als ältere Menschen mit Depression ein weit höheres Suizidrisiko aufweisen als jüngere Patientinnen und Patienten. 

„Wir unterschätzen dieses Problem und wir haben leider noch immer viel zu viele ältere Menschen, die sich das Leben nehmen“, betont Supprian, der neben seiner Kliniktätigkeit auch stellvertretender Vorsitzender des „Düsseldorfer Bündnis gegen Depression“ ist. Doch es gebe eine gute Nachricht: Auch im hohen Alter seien psychologische Erkrankungen wie Depressionen noch immer sehr gut therapierbar – vorausgesetzt, es erfolge eine individuelle Diagnostik, die alle potenziellen Faktoren berücksichtige. Für Supprian liegt die eigentliche Herausforderung denn auch woanders: „Das größte Problem ist aus meiner Sicht nicht die Behandelbarkeit der depressiven Störung, sondern, dass wir die Zielgruppen nicht erreichen.“ Es bleibe immer eine Gruppe von Menschen, die sich nicht über die gängigen Zugangswege in das Gesundheitssystem – sei es im haus- oder fachärztlichen Bereich – einfangen lasse, so Supprian. 

Erreichbarkeit der Zielgruppe erhöhen

Als „Düsseldorfer Bündnis gegen Depression“ engagiere man sich im Rahmen präventiver Maßnahmen, vor allem aber auch für die Verbesserung der Behandlung von depressiven Erkrankungen. Zum Angebot zählten neben gemeinschaftlichen Aktivitäten insbesondere auch Fortbildungen für Ärzte, Seelsorger oder pflegerisches Personal in Altenheimen. Dabei stelle man sich auch im Bündnis die Frage nach der Wirksamkeit herkömmlicher Werbe- beziehungsweise Aufklärungsmittel. „Die Flyer und Broschüren in unserem Repertoire sind wertvolle Informationsquellen. Allerdings bezweifle ich, dass wir mit ihnen diejenigen Personen und Zielgruppen erreichen, an die sie letztendlich gerichtet sind. Das zieht für unsere Tätigkeit die Frage nach sich: Wie werde ich überhaupt sichtbar?“, gibt Supprian zu bedenken. Die Praxis gebe viele Möglichkeiten an die Hand: von Plakataktionen über mediale Auftritte bis hin zur Beratungsstelle oder dem ärztlichen Gespräch – entscheidend sei, gesamtgesellschaftliche Aufklärungsarbeit zu betreiben, um so die Hemmschwelle zur Inanspruchnahme von Hilfe bei Depressionen herabzusenken.  

Zustimmung kommt von Professor Dr. habil. Eva-Marie Kessler von der MSB Medical School Berlin – Hochschule für Gesundheit und Medizin. Sie betont: „Information und Awareness sind zentrale Hebel, um mit dem gängigen Vorurteil unter älteren Menschen aufzuräumen: ‚Das bringt nichts mehr‘. Neben den Gatekeepern in Medizin, Pflege und Altenhilfe müssen wir eine breite Öffentlichkeit ansprechen und für das Thema sensibilisieren.“ Positive Erfahrungen hat Kessler gemacht, wenn sie in Interviews in der Zeitung über das Thema spricht und dabei auf Kontaktmöglichkeiten hinweist. Darüber hinaus sei aber auch der Einbezug von Bezugspersonen – Kindern oder Enkeln – ein hochwirksames Mittel in der Adressierung älterer Menschen mit Pflegebedarf.  

Therapieaussichten bei Älteren sehr gut

Die ernüchternde Wahrheit ist, dass die Wahrnehmung psychologischer Behandlungsmöglichkeiten mit Eintritt ins Rentenalter rapide abnimmt. Kessler verweist auf Daten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), die belegen, dass die Inanspruchnahme ambulanter Therapien bei weiblichen Patienten mit diagnostizierter Depression ab 70 Jahren unter fünf Prozent fällt. „Wenn wir uns hochaltrige Pflegeheimbewohnerinnen anschauen, können wir sagen, Psychotherapie kommt hier so gut wie gar nicht vor“, konstatiert Kessler. 

Für die Expertin ist die Gemengelage umso bedenklicher, als die aktuelle Forschungslage darauf hindeutet, dass zumal kognitive Verhaltenstherapie und Lebensrückblicktherapie bei älteren und hochbetagten Menschen gut anschlagen. Das mache es in der Mobilisierung noch wichtiger, koordiniert vorzugehen und mit einem Paket sich ergänzender Versorgungsmodelle aufzuwarten: von niedrigschwelligen Beratungsangeboten oder der Aktivierung durch qualifizierte Pflegekräfte über ambulante Therapien bis hin zu komplexen Versorgungsstrukturen nach Vorbild des NPPV. 

Thomas Petersdorff ist Referent im Bereich Presse und Medien der KV Nordrhein.
 

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