Düsseldorf, 8.3.2023. Gut 50 Milliarden Euro haben gesetzliche und private Krankenversicherungen 2021 für die ambulante ärztliche Behandlung ihrer Versicherten ausgegeben. Ein „lukrativer Markt“, der in Zeiten von Niedrigzinsen und Konjunkturschwankungen zunehmend private Investoren anzieht, die mit medizinischer Versorgung ansonsten nichts zu tun haben. Wie wirkt sich die stärker werdende Orientierung an Renditeerwartungen auf die Arbeitsbedingungen und die berufliche Unabhängigkeit von Ärztinnen und Ärzten aus? Wo bleibt das Patientenwohl? Und wie kann das Gesundheitswesen im Sinne der Daseinsfürsorge zukunftsfest gestaltet werden? Diese und weitere Fragen diskutierten Expertinnen und Experten aus Medizin und Politik am 7. März mit Ärztinnen und Ärzten vor Ort beim Forum Gesundheit 2023 der Kreisstelle Mülheim der Ärztekammer Nordrhein. Die Fortbildungsveranstaltung war Teil des Rahmenprogramms des 127. Deutschen Ärztetags, der in diesem Jahr vom 16. bis 19. Mai in Essen stattfindet.
Das Streben nach Gewinn und Rendite dürfe weder im Krankenhaus noch in der ambulanten Versorgung medizinische Entscheidungen dominieren und Ärztinnen und Ärzte in ihrer Unabhängigkeit einschränken, stellte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Klaus Reinhardt, klar. Bei aller berechtigten Kritik insbesondere am Geschäftsmodell der von Investoren betriebenen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) gelte es jedoch, differenziert zu bleiben. MVZ böten jungen Ärztinnen und Ärzte vielfach attraktive Anstellungsbedingungen und zahlten höhere Preise für Kassenarztsitze als das einzelne Ärzte tun könnten. Hier gelte es, durch kluge Regulierung sicherzustellen, dass die wohnortnahe, flächendeckende und umfassende Versorgung der Patientinnen und Patienten erhalten bleibe. Reinhardt verwies in diesem Zusammenhang auf das Positionspapier der BÄK zum Regelungsbedarf für investorengetragene MVZ. Die BÄK spricht sich darin unter anderem gegen „Rosinenpickerei“ durch die Konzentration auf lukrative Leistungen und gegen eine Monopolbildung aus. Zugleich gilt es dem BÄK-Papier zufolge, die ärztlichen Leiter der investorengetragenen MVZ zu stärken und Transparenz auch für die Patienten über die Eigentümerstrukturen herzustellen.
„Unsere Grundphilosophie, unser Verständnis, was eigentlich den ärztlichen Beruf im Kern ausmacht, ist ja das Versprechen, dass wir uns nicht kommerziell beeinflussen lassen“, betonte auch Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein. Der Gesetzgeber sei insbesondere gefordert, gleichlange Spieße herzustellen zwischen Ärztinnen und Ärzten, die persönlich in eine Praxis investieren wollten, und Investoren. Dass letztere enorm hohe Preise für Kassenarztsitze aufriefen, sei unter anderem dem Umstand geschuldet, dass eine einmal erworbene Zulassung im MVZ niemals erlösche, während sie bei einem niedergelassenen Vertragsarzt mit dem Eintritt in den Ruhestand ablaufe. Deshalb fordere das BÄK-Papier eine zeitliche Befristung der Kassenzulassung auch für MVZ, so Henke.
Die Kommerzialisierung der Medizin sei ein wichtiges Thema für die Zukunft der Ärzteschaft, hatte Gastgeber Uwe Brock, Vorsitzender der Kreisstelle Mülheim der Ärztekammer Nordrhein, zu Beginn der Veranstaltung betont. Deren höchstes Gut sei das Vertrauen der Patientinnen und Patienten.
Den Zukunftsaspekt des Themas betonte auch Mira Faßbach vom Bündnis Junge Ärztinnen und Ärzte. Rollenkonflikte zwischen ökonomischem Druck und Patientenwohl erlebten alle berufstätigen Ärztinnen und Ärzte, sagte sie bei der anschließenden Podiumsdiskussion. Vielen werde das erst im Laufe ihres Berufslebens klar. Damit gewinne auch beim ärztlichen Nachwuchs das Konzept der Freiberuflichkeit an Bedeutung. „Wir sind kein Gewerbe“, betonte Faßbach. „Wir unterliegen nicht eigenen Profitinteressen oder denen unserer Arbeitgeber. Wir sind auch unserem Gewissen verantwortlich und dürfen Versichertengelder nicht verschwenden.“
HK