Unmittelbar nach dem Beben an der türkisch-syrischen Grenze rückte der Oberhausener Hausarzt Dr. Peter Kaup mit den Rettern von I.S.A.R. Germany nach Kırıkhan aus, um vor Ort zu helfen.
Schutt und Trümmer, so weit das Auge reicht – Als Dr. Peter Kaup mit dem Search and Rescue Team von I.S.A.R. Germany in Kırıkhan eintrifft, bietet sich dem Hausarzt aus Oberhausen ein Bild der Verwüstung. Bereits auf der Fahrt vom Flughafen in Gaziantep in das eigentliche Erdbebengebiet sieht er zerstörte Gebäude, „wie bei einem schweren Bergbauschaden“, erinnert sich Kaup. In Kırıkhan selbst ist jedes zweite Haus komplett in sich zusammengefallen. Die unteren Etagen waren bei dem Erdbeben eingebrochen und die darüber liegenden Etagen hatten alles zermalmt. Von manchen Gebäuden sei so gut wie nichts mehr stehengeblieben; die einstigen Zimmerdecken der mehrstöckigen Häuser lagen mit einem Abstand von knapp dreißig bis fünfzig Zentimetern übereinander, so Kaup. Zwischen Trümmern und Schutt hatten die Menschen mit Holz und den wenigen brennbaren Materialien, die sie in den Trümmern finden konnten, Feuer entzündet, um sich zu wärmen. Denn es war bitterkalt. Der Bedarf an Hilfe ist immer noch riesig, sagt Kaup. Unmittelbar nach der Ankunft habe das I.S.A.R. Germany Team mit der Rettung begonnen, denn die Zeit drängte.
In der Regel können verschüttete Menschen um die hundert Stunden überleben, bevor sie verdursten, erklärt Kaup. Die Kolleginnen und Kollegen von I.S.A.R. Turkey hatten zu diesem Zeitpunkt bereits das Gebiet vorselektiert und Orte markiert, an denen sich Menschen unter den Trümmern bemerkbar gemacht hatten. Im ersten Schritt hätten die Hundeführer mit ihren Spürhunden die Trümmer sondiert. „Man muss wissen, dass die Hunde nur bei Lebenden anschlagen“, sagt Kaup. „Sobald die Hunde eine Person in den Trümmern gewittert haben, folgt eine technische Ortung und wir versuchen, mit dem Verschütteten Kontakt aufzunehmen.“ Meist machen sich diese durch Klopfzeichen oder Rufe bemerkbar, sodass die Retter ihre genaue Lage bestimmen können. Danach folgt die Bergung. Drei Lebendrettungen verliefen Kaup zufolge relativ unproblematisch, da die Personen in einem Hohlraum eingeschlossen waren und sich dort bewegen konnten. Als extrem schwierig gestaltete sich dagegen die Rettung einer Frau, die unter den Trümmern ihres Hauses verschüttet worden war. Die Retter konnten zwar Kontakt mit ihr aufnehmen, doch ihr Körper war unter dem Schutt begraben. Mit einer Infusionsleitung, die wie ein Strohhalm genutzt wurde, versorgten Kaup und sein Team die Frau mit Wasser. Über fünfzig Stunden lang dauerte der Rettungseinsatz, der Kaup bis heute nicht loslässt. „Die Mischung aus Trauer, Angst und Hoffnung war unglaublich“, sagt der Arzt. Zwar gelingt es dem I.S.A.R.-Team, die Frau aus den Trümmern zu befreien, sie stirbt aber nur wenig später im Krankenhaus. „Es ist wichtig, dass wir ihr ermöglicht haben, noch einmal ihre Familie wiederzusehen und dann in deren Armen zu sterben“, sagt Kaup.
Insgesamt ist es dem Team während des Einsatzes in der Türkei gelungen, vier Menschen lebend aus den Trümmern zu bergen. „Das ist außergewöhnlich“, meint Kaup. Normalerweise seien in derart komplexen Einsätzen wie diesem durchschnittlich ein oder zwei Rettungen möglich. Denn bei einem solchen Ausmaß an Zerstörung lägen über den Verschütteten häufig dicke Betonplatten, Möbel, Rohre, Rohrleitungen und Schutt, durch die sich die Helfer durcharbeiten müssten, um zum Beispiel auch eingeklemmte Extremitäten zu befreien. Kaup selbst übernahm als Arzt im Erdbebengebiet die medizinische Erstversorgung der Geretteten, bestimmte die Medikation, arbeitete mit den Rettungsdiensten vor Ort zusammen und begleitete einige Patienten mit ins Krankenhaus. „Das Search and Rescue Team ist die erste Hilfe vor Ort“, beschreibt der Hausarzt aus Oberhausen die Aufgabe von I.S.A.R. Und wie gehen die Retter mit solch traumatischen Erfahrungen um? Er habe zwar schreckliche Dinge gesehen, sagt Kaup. Doch wenn er auf den Trümmern stehe, habe er keine Zeit, sich über das Ausmaß der Katastrophe Gedanken zu machen. Er versuche dann, diejenigen Menschen zu retten, die eine Chance haben zu überleben. Als leitender Teamarzt gehöre es außerdem zu seinen Aufgaben, ein Auge auf das Team zu haben. „Ich achte darauf, dass sie physisch und psychisch gesund zurückkommen“, sagt Kaup. Entscheidend sei, dass sich das Team im Ernstfall hundertprozentig aufeinander verlassen könne.
Der Einsatz von I.S.A.R. Germany wurde am 14. Februar, rund sieben Tage nach dem Erdbeben beendet. „Erst wenn die Hunde nicht mehr anschlagen, gehen wir“, sagt Kaup. Nun rücken andere Hilfsorganisationen mit schwerem Gerät nach. Auch Kaups Kollegen von I.S.A.R. Turkey arbeiten weiter vor Ort. Für sie hat das Team von I.S.A.R. Germany seine Zelte und Verpflegung dagelassen. „Das Suchen und Retten ist beendet, aber nicht unsere Hilfe“, sagt Kaup.
Einen ausführlichen Bericht lesen Sie in der Aprilausgabe des Rheinischen Ärzteblatts.
MST