Düsseldorf, 16.9.2021. Suizidprävention hilft betroffenen Menschen, sich mit ihren suizidalen Gedanken auseinanderzusetzen und nach Möglichkeiten zu suchen, ihr Leben nicht zu beenden. So umschrieb Professor Dr. Barbara Schneider, Chefärztin der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen, Psychiatrie und Psychotherapie der LVR-Klinik Köln und Leiterin des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland, die Möglichkeiten wirksamer Intervention. „Dabei ist die Akzeptanz von Suizidgedanken, sie ganz ohne eigene Wertung ernst zu nehmen, Voraussetzung für stützende Kontakte“, sagte Schneider bei der Fortbildungsveranstaltung „Suizidprävention – eine Herausforderung für die Ärzteschaft“ der Ärztekammer Nordrhein, die am 15. September online stattfand und mit mehr als 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern gut besucht war.
Schneider hob in ihrem Vortrag hervor, dass der Wunsch, seinem Leben ein Ende zu setzen, in der Regel nicht beständig ist. „Die Ambivalenz ist ein grundlegendes Merkmal von Suizidalität“, sagte die Psychiaterin. Ein Suizid sei meist kein Akt des freien Willens. Suizidalität sei vielmehr das Ergebnis vielfältiger Einflüsse, die vom Zugang zum Gesundheits- und Hilfesystem über den Zugang zu Suizid-Mitteln und -Methoden wie beispielsweise Tabletten oder Waffen bis hin zu Gefühlen der Isolation, mangelnder sozialer Unterstützung, Verlusterfahrungen oder Beziehungskonflikten reichten. „Das Wissen um die Möglichkeiten der Suizidprävention in der Gesellschaft insgesamt hilft, bei Suizidalität zielgerichtet zu unterstützen“, sagte Schneider.
E-Learning-Projekt: Es besteht großer Qualifizierungsbedarf
Hier setzt das Suprima-Projekt (www.suprima-projekt.de) an, das die Projektleiterin, Professor Dr. Eva Meisenzahl, vorstellte, die der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Kliniken der Heinrich-Heine Universität Düsseldorf vorsteht. Das E-Learning-Programm, das von Workshops in Präsenz flankiert wird, zielt darauf ab, unter anderem Ärzte, Psychotherapeuten und Pflegekräfte in der Region Düsseldorf/Neuss zu schulen, damit sie Suizidalität besser erkennen und behandeln können. Das Wissen über das Thema sei auch in den Fachkreisen nur spärlich vorhanden, sagte Meisenzahl: „Hier besteht großer Qualifizierungsbedarf.“ In drei Modulen, die als didaktische Methoden unter anderem Quizfragen und Lehrfilme einsetzen, vermittele die Online-Fortbildung Hintergrundwissen über Suizidalität, die Diagnostik und Risikoabschätzung sowie interdisziplinäre psychiatrisch-psychotherapeutische Interventionen. Das Programm gehe in wenigen Wochen an den Start und sei dann kostenfrei verfügbar, sagte die Psychiaterin. „Wir wollen damit einen Werkzeugkasten für das Tagesgeschäft schaffen.“
Umgang mit Suizidalität belastet auch Ärztinnen und Ärzte
Darüber, wie belastend die Arbeit mit suizidalen Patientinnen und Patienten auch für Ärzte und andere Gesundheitsberufe sein kann und wie wichtig die Einbeziehung der Angehörigen in die Therapie ist, berichteten der Psychiater Dr. Berthold Müller und die Psychiaterin Martha Wahl. Auch Angehörige der Gesundheitsberufe empfänden im Umgang mit suizidalen Patienten Gefühle der Angst, der Unsicherheit und Sorge, von Stress und Überforderung. Das berge die Gefahr, das Thema gegenüber den Patienten nicht anzusprechen oder Probleme zu bagatellisieren. „Man muss über Suizidalität mit den Patienten sprechen. Das kann Leben retten“, betonte Müller. Zudem sei es wichtig, dass medizinische Teams den Suizid eines Patienten aufarbeiten. Man dürfe ein solches Ereignis, das viele als traumatisch empfinden, nicht auf sich beruhen lassen.
Die Fortbildungsveranstaltung der Ärztekammer Nordrhein war nach dem Rheinischen Ärztetag Ende April die zweite, die sich mit dem Themenkreis Suizidprävention und Suizidassistenz beschäftigte. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB), zum Beispiel durch Sterbehilfevereine, für verfassungswidrig erklärt hatte. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass jeder Mensch – egal ob alt oder jung, gesund oder krank – das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben hat. Das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen.
Ärztinnen und Ärzte sind dem Leben verpflichtet
Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein, warnte jetzt in Düsseldorf: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht Gefahr laufen, instrumentalisiert zu werden.“ Ärztinnen und Ärzte seien dem Leben verpflichtet. Sie dürften sich nicht zu Erfüllungsgehilfen einer politischen oder juristischen Idee von Liberalität machen. Denn dort, wo der assistierte Suizid erlaubt sei, steige nicht nur die Zahl der Menschen an, die davon Gebrauch machen, sondern auch generell die Zahl der Selbsttötungen. Das belegten Beispiele in Europa. „Da sinkt der Wert des Lebens“, sagte Zimmer.
Die Fortbildungsveranstaltung wurde vom Ausschuss Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Ärztekammer Nordrhein unter der Leitung von Christa Bartels und Dr. Christiane Groß initiiert.
HK
Die Vorträge zur der Veranstaltung finden Sie hier.