Düsseldorf, 27.4.2023. Für einen Abbau von Vorurteilen gegenüber Ärztinnen und Ärzten mit Migrationshintergrund, eine echte Willkommenskultur in Praxen und Kliniken sowie mehr Unterstützung durch die Arbeitgeber beim Integrationsprozess warb Dr. Matthias Benn gestern Abend (26.4.2023) in Essen. Der Vorsitzende der Kreisstelle Essen der Ärztekammer Nordrhein wies bei der Veranstaltung „Kulturelle Vielfalt in der Gesundheitsversorgung im Ruhrgebiet“ auf die lange Einwanderungsgeschichte der Stadt hin. Von den knapp 600.000 Einwohnern Essens seien 30 Prozent keine deutschen Staatsangehörigen oder Doppelstaatler. 16,5 Prozent der Ärztinnen und Ärzte in den Großstädten des Ruhrgebiets stammten aus dem Ausland. Im Bundesdurchschnitt seien es rund 13 Prozent. Diese Ärztinnen und Ärzte leisteten angesichts des Fachkräftemangels einen wichtigen Beitrag zur medizinischen Versorgung, betonte Benn. Allerdings seien die bürokratischen Hürden für die Anerkennung insbesondere von Qualifikationen, die im Nicht-EU-Ausland erworben wurden, hoch und der Prozess nicht immer transparent.
Der Spracherwerb ist nach Auffassung von Dr. Nikolaos Tsiampalis entscheidend – nicht nur für die persönliche Integration in die deutsche Gesellschaft, sondern auch für eine gute Versorgung der Patientinnen und Patienten. Der Augenarzt stammt aus Griechenland und kam 2007 nach Deutschland, weil er in seinem Herkunftsland keine Weiterbildungsstelle für sein Wunschfach finden konnte. Inzwischen ist er in leitender Position in einem medizinischen Zentrum in Altenessen tätig und engagiert sich selbst in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung.
An künftige Medizinische Fachangestellte (MFA) richtet sich das Projekt „Auf in die Praxis“, das die Ärztekammer Nordrhein seit 2017 in Kooperation mit dem Job-Center Essen betreibt. Es soll Jugendlichen aus allen gesellschaftlichen Schichten den Einstieg in die Ausbildung erleichtern. Kammer und Job-Center vermitteln den Kontakt zu potenziellen Arbeitgebern für ein einjähriges Praktikum, das die Interessentinnen und Interessenten an den Beruf heranführt und idealerweise in einen Ausbildungsvertrag mündet. Zunächst habe sich das Angebot an Geflüchtete gerichtet, erklärte die Stellvertretende Vorsitzende und MFA-Beauftragte der Kreisstelle Essen, Dr. Patricia Aden. Mit ihrer Mehrsprachigkeit und ihrem kulturellen Erfahrungshintergrund seien diese häufig wertvolle Mittler zwischen ausländischen Patientinnen und Patienten und dem deutschen Gesundheitssystem. Seit 2019 richte sich das Projekt an alle Beteiligten am Arbeitsmarkt.
Angesichts der kulturellen Vielfalt in Essen brauche man Lösungen, um für alle Menschen in der Stadt einen gleichberechtigten und barrierefreien Zugang zum Gesundheitswesen zu gewährleisten, betonte Stadtdirektor Peter Renzel. Einen Lösungsansatz präsentierte Brigitte Castillo Hernández von der Neue Arbeit der Diakonie Essen mit der Initiative iGlo. Im multikulturellen und sozial schwachen Essen Norden vermitteln Gesundheitslotsinnen und -lotsen – die meisten mit Migrationshintergrund – niedereschwellig Informationen über Gesundheitsthemen, Prävention und den Zugang zum Gesundheitssystem. „Wir erreichen die Menschen vor Ort, zum Beispiel im kurdischen Elternverein, in ihrer eigenen Sprache“, so Castillo Hernández.
Als „Weg für Menschen auf der Schattenseite“ hatte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, in seinem Grußwort bereits die vom Bundesgesundheitsministerium geplanten Gesundheitskioske bezeichnet. Man benötige sicher nicht wie von Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach angekündigt 1.000 Kioske. „Aber dort, wo es Menschen gibt, für die das deutsche Gesundheitswesen ein undurchdringlicher Dschungel ist, befürworten wir dieses interdisziplinäre Beratungsangebot“, sagte Henke.
Die Fortbildungsveranstaltung war Teil des Rahmenprogramms des 127. Deutschen Ärztetags, der in diesem Jahr vom 16. bis 19. Mai in Essen stattfindet.
HK