Entschließungen der Kammerversammlung am 16. November 2019 im Wortlaut
Klimawandel und Gesundheit
Der Klimawandel entwickelt sich zu einer der großen Herausforderungen für die gesundheitliche Versorgung in vielen Ländern dieser Erde und zunehmend auch in Deutschland.
Dazu stellt die Kammerversammlung fest:
- Die Herausforderungen des Klimawandels für die ärztliche Versorgung und das Gesundheitswesen insgesamt müssen von der medizinischen Forschung und von der ärztlichen Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung noch stärker in den Blick genommen werden, damit Ärztinnen und Ärzte ihrer spezifischen Verantwortung für die Patientinnen und Patienten auch in Zukunft gerecht werden können.
- Teil unserer ärztlichen Verantwortung ist der Einsatz dafür, dass die Einrichtungen des Gesundheitswesens selbst ihre Energie- und Klimabilanz substantiell verbessern.
- Darüber hinaus ist es Aufgabe der Ärzteschaft, ihren medizinisch-fachlichen Sachverstand in die Beratung von Politik und Gesellschaft für das Handlungsfeld „Klimawandel und Gesundheit“ zielgerichtet einzubringen.
Die Kammerversammlung begrüßt es vor diesem Hintergrund, dass es gelungen ist, das Thema „Klimawandel und Gesundheit“ als ein Schwerpunktthema des 123. Deutschen Ärztetages 2020 in Mainz zu etablieren. Die Kammerversammlung bittet den Vorstand, die Beratungen des Ärztetages zu diesem Thema in den nächsten Monaten durch die Erarbeitung von geeigneten antragsfähigen Vorschlägen und Positionen vorzubereiten.
Anpassungsstrategien dringend erforderlich
Die nordrheinische Ärzteschaft bekennt sich zu notwendigen Klimaanpassungsstrategien zur Schadensminderung für die individuelle und öffentliche Gesundheit. Die notwendigen Finanzmittel zum Aufbau resilienter Strukturen im Gesundheitswesen müssen zur Verfügung gestellt werden. Die Folgen des Klimawandels sind real. Neben einem notwendigen und intensivierten Klimaschutz sind Anpassungsstrategien dringend erforderlich.
Krankenhausplanung
Die Kammerversammlung begrüßt die Erklärung des nordrhein-westfälischen Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales, dass er nach der Vorlage des Gutachtens zur Krankenhauslandschaft in Nordrhein-Westfalen nun die Ärzteschaft intensiv in die Entwicklung eines neuen Krankenhausplans einbinden will.
Aus Sicht der Ärztekammer Nordrhein sind dabei folgende Punkte besonders wichtig:
- Krankenhäuser müssen für alle Menschen in unserem Bundesland ähnlich gut erreichbar sein.
Da mit dem Gutachten aktuell weder Schließungen noch Neugründungen verbunden sind, bleibt Zeit, um die regionalen Versorgungsstrukturen genau zu analysieren. Dabei darf nicht der berechtigte Wunsch der Menschen vergessen werden, auch zukünftig regional versorgt und von Angehörigen im Krankheitsfall besucht werden zu können. Das gilt gerade für die ländliche und ältere Bevölkerung. Auch aus ärztlicher Sicht ist es unerlässlich, dass Krankenhäuser als wichtiger Teil der Daseinsvorsorge für alle Bürgerinnen und Bürger gerade im Hinblick auf die Notfallversorgung auch zukünftig gut erreichbar sind. - Die Qualität in der Krankenhausversorgung hängt entscheidend von einer angemessenen Ausstattung mit qualifizierten Ärztinnen und Ärzten ab, einschließlich der Gewähr des Facharztstandards. Dazu muss der Plan Mindestvorgaben mit Augenmaß vorsehen. Außerdem muss auch zukünftig für eine gute ärztliche Weiterbildung gesorgt werden.
Eine noch stärkere Qualitätsausrichtung in der Krankenhausplanung ist zu begrüßen. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Personalausstattung.
Mit Blick auf die ärztliche Versorgung muss in jeder Krankenhausabteilung sichergestellt sein, dass rund um die Uhr eine erfahrene Fachärztin bzw. ein erfahrener Facharzt hinzugezogen werden kann, wenn dies erforderlich ist. Dazu sind mindestens drei entsprechend qualifizierte Ärztinnen bzw. Ärzte je Abteilung erforderlich.
Um auch in Zukunft auf eine ausreichende Zahl hochqualifizierter Ärztinnen und Ärzte zurückgreifen zu können, muss die Krankenhausplanung ihrer Verantwortung mit Blick auf die ärztliche Weiterbildung gerecht werden. Bei allen Überlegungen zu Umstrukturierungen und zu einer stärkeren Zentralisierung sind die Auswirkungen auf die ärztliche Weiterbildung zu bedenken. Deswegen muss der Krankenhausplan den Krankenhäusern aufgeben, im Bedarfsfall standort- und krankenhausübergreifende Weiterbildungsverbünde aufzubauen, die der Anerkennung durch die Ärztekammern bedürfen. - Die Krankenhausversorgung braucht mehr Zusammenarbeit und eine bessere Koordination. Der Krankenhausplan muss den Krankenhäusern ihre Aufgaben klar zuweisen und es ermöglichen, dass jedes Haus seine besonderen Stärken in eine sinnvolle Kooperation, auch mit dem ambulanten Sektor einbringt.
Nordrhein-Westfalen verfügt über eine hochwertige und breit aufgestellte Krankenhauslandschaft. Dieses Potenzial ist durch mehr Kooperation und Koordination noch besser zu nutzen. Dazu gehört eine medizinisch-fachlich sinnvolle Aufgabenteilung. Nicht jedes Krankenhaus muss alles machen. Gerade in den Ballungsräumen müssen unnötige Mehrfachvorhaltungen vermieden werden. Krankenhäuser sollten sich auf das konzentrieren, was sie besonders gut können und in den anderen Bereichen auf verbindliche Kooperationen mit anderen Häusern setzen.
Die Basis für diese Zusammenarbeit müssen eindeutige Versorgungsaufträge sein. Die im Gutachten vorgesehene Definition von Leistungsbereichen und -gruppen muss sich möglichst eng an der medizinisch-fachlich fundierten ärztlichen Weiterbildungsordnung orientieren. Für die Leistungsbereiche muss der Krankenhausplan mit durchdachten Strukturanforderungen einen klaren Rahmen vorgeben. Bei der Definition dieser Anforderungen sind der medizinisch-fachliche Sachverstand und das Versorgungswissen der Ärzteschaft besonders zu berücksichtigen.
Außerdem muss der Plan die Zusammenarbeit zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten stärken. Halbtägige Tätigkeiten in einem Krankenhaus bei gleichzeitig bestehender Niederlassung mit halbem Sitz sind ebenso wie Belegarztverträge in die Planung einzubeziehen. Der Plan muss zudem wirkungsvolle Impulse für einen patientengerechten Einsatz von Digitalisierung und Telemedizin geben.
Schließlich gilt es zu betonen, dass sich Kooperation nicht einfach vom grünen Tisch aus anordnen lässt. Deswegen kann der Krankenhausplan nur einen Rahmen vorgeben. Dieser Rahmen muss in regionalen Planungskonferenzen unter Einbeziehung aller Beteiligten so ausgefüllt werden, dass das Ergebnis zu den spezifischen Gegebenheiten vor Ort passt.
Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert den Gesetzgeber und alle Beteiligten mit Nachdruck auf, konkrete Maßnahmen zur langfristigen Sicherstellung einer ausreichenden Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zu treffen.
Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind seit Jahren Gegenstand der gesundheitspolitischen Debatte und erweisen sich als ein stetig zunehmendes bundes- bzw. europaweites Problem mit vielfältigen Ursachen.
Auf der Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) über aktuelle Lieferengpassmeldungen für Humanarzneimittel (ohne Impfstoffe) mit Versorgungsrelevanz befanden sich Ende Oktober 2019 mehr als 260 Arzneimittel und das, obwohl die Schwelle für freiwillige Meldungen der pharmazeutischen Unternehmer in dieser Liste schon sehr hoch ist. Erst bei Erfüllung der Vorgaben bzgl. Schweregrad und/oder Prognose einer Erkrankung, der Relevanz für die Gesamtbevölkerung und beim Fehlen therapeutischer Alternativen bei gleichzeitig erhöhtem Versorgungsrisiko (nur ein Hersteller oder Vertreiber) erfolgt die Aufnahme in die Liste. Daher spiegeln sich auch lokale Engpässe hier nicht wider. Zwar können die öffentlich einsehbaren Listen des BfArM und des Paul-Ehrlich-Institutes (Impfstoffe) teilweise dazu beitragen, Umgehungsstrategien zu planen, das Grundproblem bleibt aber erhalten.
Verschiedene gesetzliche Instrumente zur Preisregulierung auf nationaler Ebene (Rabattverträge, Importquote), der Parallelhandel, gesetzliche Lücken, die die Kontingentierung von Arzneimitteln und den legalen Verkauf ins Ausland ermöglichen, sind als Ursache für eine Umverteilung von Arzneimitteln auf ungeregelten Handelswegen auszumachen. Ökonomisch begründete Zulassungsrücknahmen von gut eingeführten versorgungsrelevanten Arzneimitteln seitens der Hersteller stellen ein zusätzliches Problem dar.
Sehr wesentlich ist die ebenfalls ökonomisch begründete Konzentrierung der Wirkstoffherstellung auf wenige oder einzelne pharmazeutische Unternehmen, ganz besonders die Bündelung auf eine einzige Produktionsanlage, außerhalb Deutschlands oder der EU. Störungen oder Unterbrechungen des Produktionsablaufes (z. B. Viruskontamination von Produktionsanlagen, technische Störungen, bei behördlicher Überprüfung festgestellte Produktionsmängel etc.) führen hierzulande zu unlösbaren Versorgungsengpässen.
Unmittelbare Abhilfe schaffen kann hier ein Zurückholen der Wirkstoffproduktion in die EU.
Unübersehbar sind derzeit die Folgen eines Brexit z. B. für die zahlreichen Arzneimittel, die ein europäisches dezentrales Zulassungsverfahren mit England als Reference Member State durchlaufen haben. Ganz abgesehen von der Auswirkung der dramatischen Ausdünnung des Fachpersonals der europäischen Zulassungsbehörde EMA, die mittlerweile von London nach Amsterdam umgezogen ist, für zukünftige Zulassungsverfahren ist auch der Zulassungsstatus solcher Arzneimittel und damit deren Verfügbarkeit ab dem Zeitpunkt eines Brexit unklar. Auch hier bedarf es vertraglicher Absprachen, die zeitnah entwickelt werden müssen.
Die Kammerversammlung fordert deshalb alle am Prozess Beteiligten auf, langfristige Strategien zur Vermeidung von Engpässen bei der Arzneimittelversorgung zu entwickeln und umzusetzen. Der Gesetzgeber auf europäischer und nationaler Ebene muss hierzu die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Die Versorgung der Bevölkerung bleibt oberstes Ziel für alle Beteiligten.
Unterstützung des Ausbaus der betriebsärztlichen Versorgung bei Kleinst- und Kleinbetrieben
Die Ärztekammer Nordrhein unterstützt die Initiative des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte zur Entwicklung und Implementierung regionaler Zentren zur Verbesserung der betriebsmedizinischen Versorgung von Klein- und Kleinstbetrieben.
Notfallversorgung
Die Kammerversammlung fordert den Gesetzgeber auf Bundesebene und das Land Nordrhein-Westfalen auf, geeignete Rahmenbedingungen für eine funktionierende sektorenübergreifende Notfallversorgung unter Einbeziehung des ärztlichen Sachverstandes zu schaffen.
Dabei gilt:
- Der in Nordrhein-Westfalen gemeinsam von allen Beteiligten beschrittene Weg der Etablierung von Portalpraxen und der Erprobung einer engen Kooperation von Leitstellen und Arztrufzentrale muss weiterverfolgt werden. Diese positive Entwicklung darf nicht durch Bundesvorgaben unterbrochen oder gar konterkariert werden.
- Ziel muss die möglichst gute Verschränkung und Kooperation der bestehenden Strukturen sein. Ein Aufbau von Sonderstrukturen mit eigenständigen Rahmenvorgaben und Vergütungswegen (dritter Versorgungsbereich) ist abzulehnen. Denn dies würde selbst im Idealfall Jahre in Anspruch nehmen und dabei eine Vielzahl neuer Rechtsfragen und Abgrenzungsprobleme auslösen und in jedem Fall neue bürokratische Strukturen generieren. Allerdings ist die Finanzierung der Portalpraxen nicht aus der Gesamtvergütung der Kassenärztlichen Vereinigungen zu leisten. Die neuen Leistungen der Notfallversorgung sind den Kassenärztlichen Vereinigungen von den Krankenkassen zusätzlich zu zahlen.
- Der Sicherstellungsauftrag für die ambulante Notfallversorgung zu den sprechstundenfreien Zeiten muss bei der ärztlichen Selbstverwaltung bleiben. Die Ärztekammern sind bei der Ausgestaltung von Portalpraxen bzw. integrierten Notfallzentren ebenso zu beteiligen wie bei der Entwicklung und Evaluation von Ersteinschätzungssystemen, bei der Festlegung von Qualifikationsvoraussetzungen für die im Notdienst tätigen Ärztinnen und Ärzte und bei der Qualitätssicherung der Notfallversorgung.
- Portalpraxen bzw. integrierte Notfallzentren müssen personell und strukturell so gut ausgestattet und finanziert werden, dass sie die Patientenströme über ihre Kompetenz lenken („Abstimmung mit den Füßen“). Dazu gehört auch eine ausreichende Finanzierung der telefonischen Vermittlungsstrukturen (Kooperation von Leitstellen und Arztrufzentrale). Dies kann zukünftig durch elektronische Angebote (Apps) und ein von den Krankenkassen mitgetragenes Kommunikationskonzept ergänzt werden. Falsch ist es hingegen, eine Patientensteuerung dadurch erreichen zu wollen, dass man Krankenhäuser ohne Portalpraxis oder integriertes Notfallzentrum bestraft, wenn sie sich um Notfallpatientinnen und -patienten kümmern, die bei ihnen vorstellig werden.
- Die Zuständigkeit der Bundesländer für den Rettungsdienst ist in vollem Umfang beizubehalten. Der Rettungsdienst darf als unmittelbare, öffentlich verantwortete Daseinsfürsorge bei lebensbedrohlichen Notfällen nicht Teil des von Budgetierung und Leistungsbegrenzung geprägten GKV-Systems werden. Stattdessen müssen die Bundesländer ihrer Verantwortung entsprechen und den Rettungsdienst kooperativ weiterentwickeln.
- Neue Versorgungsansätze wie Telenotarztsysteme können die Versorgung weiter verbessern und sollten bedarfsgerecht aufgebaut werden. Die Voraussetzungen (Indikationskataloge, Notrufabfragesysteme, Qualifikationsvoraussetzungen u.v.a.m.) sind unter enger Einbeziehung der Ärztekammern und fachkundiger Gremien zu definieren. Unabdingbar ist die zusätzliche Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Ressourcen. Auch nach der Einrichtung eines telemedizinischen Unterstützungssystems muss die jederzeitige und kurzfristige Präsenz des Notarztes am Einsatzort zur Behandlung von Notfallpatienten landesweit gewährleistet sein. Eine Reduktion von Notarztstandorten darf durch eine Implementierung eines „Telenotarztsystems“ nicht erfolgen.
- Gerade in der Notfallversorgung müssen sich die Menschen auch in Zukunft auf die Versorgung durch qualifizierte Ärztinnen und Ärzte verlassen können. Eine Substitution ärztlicher Tätigkeiten durch andere Berufsgruppen ist deswegen entschieden abzulehnen. Richtig sind stattdessen eine Verbesserung der Kooperation und die Nutzung von Möglichkeiten zur Delegation.
Forderungen zur digitalen Kommunikation
Elektronische Kommunikation, elektronische Datenübertragung und elektronische Datensammlungen verändern ebenso wie telemedizinische Anwendungen die Arzt-Patienten-Beziehung. Grundsätzliche Forderungen der Ärzteschaft dienen in erster Linie einer Verbesserung der Versorgungsqualität und dem Schutz des informellen Selbstbestimmungsrechtes der Patientinnen und Patienten sowie der Gewährleistung der ärztlichen Schweigepflicht auch im digitalen Zeitalter.
Um diesen Anforderungen nachzukommen sind einige Bedingungen als Basis unerlässlich:
- Die digitale Kommunikation bei der Patientenversorgung muss sicher sein. Dies gilt sowohl für die Kommunikation zwischen Patientinnen/Patienten und Ärztinnen/Ärzten, aber auch für die innerärztliche Kommunikation und auch für die Kommunikation mit an der Behandlung beteiligten anderen Heilberuflern.
- Daten der Patientinnen und Patienten dürfen nicht aus kommerziellen Interessen weitergegeben werden. Hierzu gehört auch Transparenz gegenüber Patientinnen und Patienten bei Bonus-Programmen und ähnlichen Aktivitäten von Versicherungen und Krankenkassen.
- Der Gesetzgeber wird aufgefordert klarzustellen, dass die durch die Vertrauensstelle übermittelten und in Forschungszentren genutzten Abrechnungsdaten anonymisiert sind. Eine strikte Anonymisierung aller für die Forschung genutzten Daten aus der Patientenversorgung wäre im Sinne von Patientinnen /Patienten und Ärztinnen/Ärzten notwendig.
- Die Versorgungsforschung muss wie bisher in ihren Ergebnissen transparent darstellen, welche Daten – ärztliche Diagnosen, Abrechnungsdaten der Krankenkassen, von Patientinnen und Patienten erhobenen Gesundheitsdaten (z.B. aus Wearables oder medizinischen Apps) – einbezogen wurden.
- Außerhalb einer Weitergabe der Abrechnungsdaten müssen folgende Grundsätze weiterhin gelten: Patientinnen und Patienten müssen stets informiert werden, welche Daten zu Forschungszwecken verwendet werden. Zugleich muss den Patientinnen und Patienten stets die Möglichkeit eingeräumt werden der Datenverarbeitung zu widersprechen. Der Entzug dieses Einverständnisses darf unter keinen Umständen zu Nachteilen für die Patientinnen und Patienten oder für die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt führen.
- Die Aufklärung über die Nutzung elektronischer Akten, über die Unterscheidung der einzelnen Akten, über die Zulassung und Bewertung von medizinischen Apps darf nicht allein in den Praxen und Krankenhäusern erfolgen. Krankenkassen und Versicherungen müssen verpflichtend in diese Aufklärungsarbeit mit eingebunden werden.
- Mit den Geldern der gesetzlich Versicherten muss verantwortungsvoll umgegangen werden. Gelder von gesetzlich Versicherten sind kein Risikokapital. Eine Förderung der Entwicklung kasseneigener digitaler Innovationen von bis zu zwei Prozent der Finanzreserven der Krankenkassen wie im Digitale-Versorgung-Gesetz vorgesehen – wird kritisch gesehen.
- Digitale Prozesse auf Grundlage allgemeiner oder individueller Gesundheitsdaten, wie auch digitale Anwendungen (Apps), können lediglich als Ergänzung ärztlicher Tätigkeit im Rahmen der Gesundheitsversorgung dienen. Die Kammerversammlung lehnt sie als Substitut für persönliche ärztliche Behandlung, beispielsweise als Kostendämpfungsinstrument oder als Surrogatmaßnahme bei Ärztemangel, ab.
Nutzenbewertung von Medizinischen Applikationen (Apps)
Technische Funktion darf nicht vor medizinischen Nutzen gehen: Die Ärztekammer Nordrhein kritisiert, dass bei der Einführung Medizinischer Applikationen (Apps) auf ausreichende Tests verzichtet werden soll. Dies betrifft insbesondere auch die neu aufgenommen Regelung, zu verschreibende Apps erst nach einer Einführungsphase zu bewerten, sie aber schon in den Honorarkatalog der Gesetzlichen Krankenversicherungen aufzunehmen.
Ärztinnen und Ärzten kommt hier eine Aufgabe zu, Anwendungen zu verschreiben, ohne dass Wirkung und Nebenwirkung letztendlich evaluiert sind. Damit wird die App-Nutzung nach Zulassung durch das BfArM bis zum Nachweis positiver Versorgungseffekte durch die verschreibenden Ärztinnen und Ärzte zu einem unverantwortlichen Feldversuch. Die Aufklärung über Möglichkeiten, aber auch Unsicherheiten dieses „Feldversuchs“ wird so bei den behandelten Ärztinnen und Ärzten liegen.
Daraus entstehende Haftungsfragen sind nicht geklärt. Ein Hinweis auf die bestehende Gesetzgebung ist aus ärztlicher Sicht nicht ausreichend.
Eine Bewertung der einzelnen Anwendung in Bezug auf Qualität, Nutzen und Nutzbarkeit im Versorgungsalltag bleibt unabdingbar, da die Patientensicherheit unter keinen Umständen gefährdet werden darf. Ärzteschaft sowie Patientinnen und Patienten dürfen nicht Nutzer von unzureichend erprobten medizinischen Anwendungen sein. Qualifizierte Tests medizinischer Anwendungen müssen ärztlich begleitet werden.
Die Unsicherheit, die dadurch entsteht, dass Algorithmen der Entwickler nicht offen gelegt werden müssen, und dass internationale Konzerne (wie Google und Apple) an den medizinischen Apps durch die Nutzung ihrer Plattformen mitverdienen und ggf. auch Einsicht auf die Daten und Datenströme haben, ist ein nicht zu vernachlässigender Aspekt.
Hier müssen Wege gesucht werden, die Unabhängigkeit zu gewährleisten und die Patientendaten vor ungerechtfertigten Zugriffen zu schützen.
Gesundheits-Apps und -Software auf Verordnung erfordern einen Nutzennachweis
Die Ärztekammer appelliert an den Bundesgesundheitsminister, bei aller Begeisterung für die Möglichkeiten digitaler Anwendungen, nicht die Grundprinzipien der Medizin außer Kraft zu setzen.
- Wenn Gesundheits-Apps zu Lasten des Solidarsystems verordnet werden können, müssen sie sowohl nachweisen, dass sie nicht schaden (primum nil nocere) als auch, dass ein Nutzen für die Patienten vorliegt.
- Für professionelle Medizin-Apps mit valider Datenerhebung, Nutzen und gutem Datenschutz muss ein zertifizierter Distributionskanal eingerichtet werden und nur die dort verfügbaren Apps dürfen durch Versicherungsgelder finanziert werden. Nur wenn die Ärztin/der Arzt das Herunterladen aus so einem professionellen App-Kanal empfehlen kann, sind auch die Haftungsfragen geklärt und werden nicht in das individuelle Arzt-Patienten-Verhältnis übertragen.
Patienten müssen durch das Gesundheitsministerium darüber informiert werden, dass jedes Update Veränderungen der Datenschutzerklärungen mit sich bringen kann.
Beachtung von genderspezifischen Daten bei der Entwicklung medizinischer Apps
Bei der Entwicklung von medizinischen Applikationen müssen zwingend Genderspezifika beachtet werden.
Hierzu gehört auch, dass dargelegt wird, inwieweit die Erhebungen und Grundlagen ebenso wie verwendete Statistiken schon genderspezifische Daten enthalten.
Elektronische Patientenakten
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein spricht sich grundsätzlich dafür aus, elektronische Patientenakten einzuführen. Die Qualität der Behandlung auf der Basis von elektronischen Patientenakten jedoch ist abhängig von der Integrität ihrer Einträge. Eine der ärztlichen Versorgung dienende elektronische Patientenakte muss strukturierte, durchsuchbare und ausschließlich ärztlich validierte Daten enthalten.
Entsprechend der Gesetzgebung müssen Krankenkassen ihren Patienten elektronische Patientenakten anbieten, mittels derer diese ihre eigenen medizinischen Daten verwalten können. Zumeist können so Dokumente oder Abrechnungsdaten gesammelt und verwaltet werden. Positiv hierbei ist, dass der Patient persönliche Daten beliebig verwenden und speichern, löschen oder erweitern kann. Als problematisch für die ärztliche Versorgung bewertet die Ärztekammer Nordrhein jedoch, dass die Daten in diesen Akten nicht strukturiert zur Verfügung gestellt werden. Die Option, dass Patienten ungefiltert Daten in die Akte einbringen können, kann die Akte ebenso unübersichtlich machen wie die Durchmischung von Behandlungs- und Abrechnungsdaten.
Damit eine elektronische, der Versorgung dienende Patientenakte im Versorgungsalltag eine hohe Akzeptanz bei Patientin/Patient und Ärztin/Arzt erfährt, fordert die Ärztekammer Nordrhein die Möglichkeiten der Technik besser zu nutzen, um eine intelligente Analyse und Verknüpfung der eingestellten Patientendaten zu erreichen. Hierzu sind Tools notwendig, die über die reine Ablage von PDFs (von z.B. Arztbriefen, Befunden, Labordaten), Diagnosen und Behandlungsempfehlungen auch eine Mustererkennung von Krankheitsdiagnosen anbieten und so entscheidungsunterstützend fungieren. Nur so kann eine moderne, der Versorgung von Patientinnen und Patienten dienende elektronische Patientenakte für Patientinnen und Patienten und Ärztinnen und Ärzte gleichsam hilfreiche Nutzung gewährleisten (intelligente Akte).
Um das Potenzial der elektronischen der Versorgung dienenden Patientenakten auszuschöpfen, müssen alle relevanten Behandlungsdaten vollständig und ausreichend detailliert erfasst und vom System intelligent verknüpft werden. Je vollständiger und umfangreicher die Daten sind, desto hilfreicher sind sie im Alltag. Hierbei entsteht jedoch ein Spannungsfeld zwischen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten und dem Einsatz der elektronischen Patientenakte als zentrales Versorgungsinstrument. Dieser Aspekt muss in der Gesellschaft unbedingt diskutiert werden. Dabei gebietet das Recht auf Selbstbestimmtheit des Patienten, dass er der Weitergabe seiner Patientenakte über den jeweils behandelnden Arzt hinaus selektiv oder insgesamt widersprechen kann. Diese Maßgabe dient auch der Stärkung des unverzichtbaren Vertrauensverhältnisses zwischen Patientin/Patient und Ärztin/Arzt.
Eine höhere Akzeptanz der elektronischen Patientenakten in der Ärzteschaft ist nur dann zu erreichen, wenn sich der Mehrwert zu den Archivierungssystemen, die von den Krankenkassen als elektronische Patientenakten angeboten werden sollen, direkt erschließt. Eine versorgungsrelevante elektronische Patientenakte muss vom reinen Archiv zum Dialogpartner für die Ärztinnen und Ärzte gemacht werden.
Hierbei ist es haftungsrechtlich notwendig, dass für jeden Eintrag, beziehungsweise jedes Dokument ersichtlich zu machen ist, wer es wann und in welchem Kontext eingestellt hat und welche Informationen zu welchem Zeitpunkt für den behandelnden Arzt oder die behandelnde Ärztin einsehbar waren. Zudem müsse die elektronische Patientenakte in der Lage sein, Behandlungsdaten in ihrem Kontext zu präsentieren.
Die Ärztekammer Nordrhein weist darauf hin, dass für eine gute ärztliche Versorgung im ersten Schritt ein strukturierter Notfalldatensatz hilfreich wäre. Dass diese „kleine“ jedoch ärztlich definierte elektronische Patiententakte sowohl von den Patientinnen und Patienten als auch den behandelnden Ärztinnen und Ärzten als sinnvoll und umsetzbar angesehen wurde, hat die Testung des Notfalldatensatzes (NFD-Sprint) im Raum Münster gezeigt.
Ein ebenso sinnvoller Schritt ist eine breit akzeptierte ärztliche elektronische Kommunikation mit einem elektronischen Arztbrief, der jedoch nicht als PDF erfolgen soll, sondern strukturierte Daten enthalten muss, damit die Erstellung des Briefes ebenso wie die Übernahme in eine elektronische Akte unkompliziert erfolgen kann.
Voraussetzung für sinnvolle Digitalisierung im Gesundheitswesen
Die Ärztekammer Nordrhein begrüßt die Weiterentwicklung der Digitalisierung im Gesundheitswesen, sofern folgende Ziele erreicht bzw. folgende Voraussetzungen erfüllt werden:
- Die Verbesserung medizinischer Behandlungsmöglichkeiten für die Patienten
- Bürokratieabbau und Erleichterung ärztlicher Tätigkeit in Klinik, Praxis und MVZ
- Gewährleistung eines höchsten Schutzniveaus der sensiblen Patientendaten
- Freiwilligkeit der Weitergabe von Gesundheitsdaten für den Patienten im Rahmen seiner informationellen Selbstbestimmung
- Keine Sanktionen für Ärzte, die im Rahmen gewissenhafter Berufsausübung und unter Berücksichtigung der Datenschutzgrundverordnung die Daten ihrer Patienten schützen
- Digitale Anwendungen können nur Ergänzung, aber kein Ersatz für ärztliche Behandlung sein
- Berücksichtigung der Position des Weltärztebundes zur künstlichen Intelligenz (WMA-Statement „on augmented intelligence in medicale care“, Oktober 2019)
Neben individuellem Datenschutz ist die Datensicherheit von großer Wichtigkeit. Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert den Gesetzgeber auf, Regelungen zu schaffen, um finanzielle Mittel für den technischen Ausbau und den laufenden Unterhalt der Datensicherheit in allen Versorgungsbereichen dauerhaft bereitzustellen.
Reform der Akademie
Die Kammerversammlung unterstützt das Anliegen einer Reform der Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung. Zur Weiterentwicklung sollen beispielsweise folgende Reformziele umgesetzt werden:
- Ein interaktiver Zugang zum Fortbildungsangebot.
- Eine den aktuellen Ansprüchen angepasste Homepage.
- Ein didaktisch modernes Kurskonzept mit adäquat aufbereitetem E-Learning wie virtuelle Lehre, Webinare, videobasierte Kurse, Lern-App usw.
- Eine Konzeption für moderne Kongressveranstaltungen.
Die Entwicklung der Konzepte findet in enger Abstimmung mit der Kassenärztlichen Vereinigung statt.
Reform der Akademie
Die Kammerversammlung bittet den Vorstand dafür Sorge zu tragen, die erfolgreiche Arbeit der Nordrheinischen Akademie für ärztliche Fort- und Weiterbildung durch geeignete strukturelle, personelle und finanzielle Maßnahmen weiterzuentwickeln und zukunftsfest zu machen. Dabei soll die bisherige Strategie, ausschließlich nicht gesponserte Fortbildungsmaßnahmen zu erschwinglichen Preisen anzubieten, unverändert fortgesetzt werden. Neben der Optimierung des bisherigen Fortbildungsangebotes soll zukünftig im Rahmen der satzungsgemäßen Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein ein Schwergewicht auf die Entwicklung elektronisch basierter Fortbildung gelegt werden. Flankierend sollen verstärkt Maßnahmen ergriffen werden, das Fortbildungsangebot der Nordrheinischen Akademie bei den Kammermitgliedern noch besser bekannt zu machen und auch die Zugänglichkeit zu erleichtern.