Bericht zur Lage bei der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein am 21. März 2015 in Düsseldorf
Aktuelle Themen der Berufs- und Gesundheitspolitik
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in der vorigen Woche hatte ich das Vergnügen, bei einem Besuch des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe in den USA unter anderem das Lagezentrum der Centers of Disease Control in Atlanta mit zu besichtigen. Ich habe diese Reise mit begleiten dürfen. Diese Centers of Disease Control sind 2003 erheblich verstärkt worden. Damals gab es nach dem 11. September 2001 Infektionsdrohungen und der US-Präsident hat verfügt, dass die Centers of Disease Control ein neues Lagezentrum erhalten.
Dieses Lagezentrum ist von der Größe her ungefähr halb so groß wie dieser Versammlungsraum, auch so reichlich mit Personen besetzt wie dieser Raum hier. An der Wand befindet sich eine Projektionsfläche, die viel breiter ist als unsere hier. Auf dieser Wand ist ständig das aktuelle Infektionsgeschehen auf der Welt mit allen Informationen, die es gibt, abgebildet. Wenn man sich speziell Deutschland anschaut, sieht man oben rechts ein kleines Feld in Dunkelviolett. Damals stand in diesem Feld die Zahl 542. Dort verfolgen die Centers of Disease Control die Entwicklung der Maserninfektionen in Deutschland, insbesondere in Berlin. Hier sieht man, dass das, was in Deutschland geschieht, international wahrgenommen wird.
Wir haben uns als Deutsche ja verpflichtet, durch unsere Vorkehrungen dazu beizutragen, dass die Masern ebenso wie andere Infektionskrankheiten eliminiert werden. Ich kann nur sagen: Wenn man dieses violette Feld entdeckt und verzweifelt sucht, ob man es auch woanders finden könnte, ist das kein ganz schönes Gefühl.
Noch schlimmer ist, dass Anfang dieser Woche bundesweit über 1.000 Menschen an Masern erkrankt waren, davon allein 684 in Berlin. Mitte Februar ist ein anderthalbjähriger Junge an den Folgen der Erkrankung gestorben. Ich glaube, dieses tragische Ereignis muss für uns alle Grund sein, heute von hier aus an alle Eltern im Rheinland und in der ganzen Republik zu appellieren: Bitte lassen Sie Ihre Kinder impfen! Folgen Sie den Impfempfehlungen des Robert-Koch-Instituts!
Die Impfungen sind in aller Regel gut verträglich, schwerwiegende unerwünschte Wirkungen sind selten. Impfskepsis ist schlecht begründet und kann gefährlich sein, wie die aktuellen Ereignisse zeigen.
In Berlin hat in dieser Woche eine Sitzung des Gesundheitssenats mit den ärztlichen Organisationen stattgefunden. Es zeigte sich: Die Durchimpfungsrate bei den Kleinen ist gar nicht einmal so schlecht. Es gibt einzelne Gruppen unter Flüchtlingen oder unter Zuwanderern, bei denen es ein Problem gibt. Aber insgesamt ist es bei den Kleinen gar nicht so schlecht.
Aber bei den Großen sind die Lücken zum Teil sehr, sehr groß. Sie transportieren auch, und zwar selbst dann, wenn sie nur mit relativ banalen Symptomen versehen sind. Wer einen ungeimpften Säugling auf den Arm nimmt - die Empfehlung lautet bis jetzt, erst nach dem elften Monat mit dem Impfen zu starten; in Berlin beginnt man jetzt mit dem Ende des neunten Monats -, ist, wenn er ungeimpft ist, natürlich auch ein potenzieller Infektionsüberträger.
Also auch an die Erwachsenen richtet sich der Appell: Lassen Sie Ihren Impfstatus überprüfen und holen Sie versäumte Impfungen nach! Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit, was viele ja glauben. Vielmehr können sie bei Komplikationen im Krankheitsverlauf auch für Erwachsene lebensgefährlich werden.
Eine Impfpflicht, wie sie nun viele fordern, wäre allerdings praktisch wohl nur schwer durchzusetzen; so der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, unser Kollege Jan Leidel. Ich sehe das grundsätzlich auch so. Allerdings meine ich schon: Wenn bei einem Masernausbruch ungeimpfte Kinder Gemeinschaftseinrichtungen besuchen wollen - beispielsweise Kindergärten und Schulen -, dann müssen sie geimpft sein, um Ansteckungen zu vermeiden.
In diesem Sinne würde ich vor einem Besuch solcher Gemeinschaftseinrichtungen im Verlauf eines Masernausbruchs eine Impfpflicht für diesen Besuch befürworten. Ich glaube, das wäre richtig, weil wir anderenfalls die Ausbreitung praktisch in Kauf nehmen und damit insbesondere auch diejenigen Kinder gefährden, die beispielsweise aus Gründen der Abweichung ihres Immunstatus nicht geimpft werden dürfen - auch so etwas gibt es ja -, die dann dem Risiko total ausgesetzt sind. Ich sage also Ja zu einer Impfpflicht, die bei einem Ausbruch an den Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen gekoppelt ist.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir gegen den Willen entschiedener Eltern Kinder mit der Polizei oder dem Gesundheitsamt aus den Familien herausholen und irgendwo eine Impfung durchführen. Das vermag ich mir nur relativ schwer vorzustellen.
Meine große Sorge ist, wenn man es so machte - wenn man es einführte, müsste man es ja immer so machen und nicht nur bei Ausbrüchen -, hätte man das Problem, dass man dadurch möglicherweise so viel Gegenwind mobilisiert, dass das für die Impfbereitschaft in der Bevölkerung schwieriger ist. Das ist der Grund, weshalb ich mich da etwas zurückhaltender und etwas abgewogener geäußert habe als der eine oder andere ansonsten. Hier ist ja der Ort, wo wir darüber diskutieren können.
Alles in allem also: Ja zu einer konsequenten Aufklärung, ja zu dem Bemühen, möglichst viele davon zu überzeugen, dass Impfungen ein Segen sind. Sie schützen unsere Kinder und uns selbst vor gefährlichen Krankheiten. Sie sind die wirksamste Maßnahme der Prävention.
Eine breitere Debatte als dieses Thema könnten in dieser Versammlung die Beschlüsse auslösen, die von der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein am 11. Februar gefasst wurden, als es um die Neustrukturierung des ambulanten ärztlichen Notfalldienstes ging. Die Debatte geht inzwischen weit über die Kollegenschaft hinaus. Sie wird auch in der Kommunalpolitik, in der Landespolitik und in den Medien geführt. Die Kassenärztliche Vereinigung war in den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landtags NRW eingeladen, in dem dieses Thema diskutiert wurde. Bürgermeister, Landräte und Landtagsabgeordnete melden Gesprächsbedarf bei der Kammer an und überreichen Unterschriftslisten besorgter Bürgerinnen und Bürger für den Erhalt von Notfallpraxen.
In der vergangenen Woche waren Bürgermeister hier bei uns. Am Montag haben wir einen Termin zur Notfallpraxis und zum Kindernotdienst in Langenfeld, an dem Herr Bürgermeister Schneider aus Langenfeld, Herr Liebermann, Beigeordneter der Stadt Monheim, Herr Danscheidt, der 1. Beigeordnete aus Hilden, Herr Landrat Hendele und der Landtagsabgeordnete Geyer teilnehmen werden.
Es gibt sehr viel Mobilität in der Diskussion. Das kann man auch ein Stück weit nachvollziehen, denn die Bürger haben das Gefühl, dass sie von den Entscheidungen dort betroffen sind. Wir haben uns hier schon einmal am 23. November 2013 mit dem Thema befasst und folgenden klaren Beschluss gefasst, den ich noch einmal in Erinnerung rufen will:
Der ärztliche Notdienst in Nordrhein wird durch Ärztinnen und Ärzte auf lokaler Ebene hervorragend organisiert und ausgeführt. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern funktioniert der Notdienst in Nordrhein weitestgehend problemlos und wird in seiner aktuellen Form von unseren Mitgliedern und unseren Patienten akzeptiert. Gegebenenfalls notwendige Änderungen und/oder Weiter-entwicklungen müssen zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, der Ärztekammer Nordrhein und den Kolleginnen und Kollegen vor Ort abgestimmt und einvernehmlich konsentiert werden. - Soweit Ihr Beschluss vom 23. November 2013 in dieser Versammlung.
Ich glaube, dass wir auf der Basis dieses Beschlusses und auf der Grundlage unserer Überlegungen sagen können, dass wir uns in einer Art Zwischenstadium befinden, in dem wir diese Gemeinsamkeit herstellen müssen. Bisher ist es ja so - jedenfalls nach allen Angaben, die uns offiziell erreichen -, dass es keinen zeitlichen Druck gibt. Uns ist gesagt worden, dass niemand einen zeitlichen Druck ausübt. Die Reformpläne, wie sie in der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung verabschiedet wurden, und zwar auch unter Beteiligung etlicher hier aus diesem Kreis, treten nicht morgen oder übermorgen in Kraft. Ohnehin kann ein Vorhaben dieser Größenordnung nur Schritt für Schritt umgesetzt werden. Mein Eindruck ist, dass wir uns einig darüber sind, dass gerade für die noch zu treffenden Standortentscheidungen gilt: Sorgfalt geht vor Schnelligkeit.
Ich glaube, dass der Bundesgesetzgeber dabei ist, eine der Rahmenkonditionen etwas zu ändern. Im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz ist vorgesehen, dass die Notdienstkompetenz natürlich bei den KVen bleibt. Sozialversicherungsrechtlich liegt sie ja bei den KVen. Heilberufsrechtlich liegt sie bei der Kammer. Die Kassenärztliche Vereinigung hat einen sozialrechtlichen Auftrag, die Kammer hat einen heilberufsrechtlichen Auftrag. Beide Aufträge betreffen dasselbe Gebiet. Das ist die Grundlage dessen, dass wir das bisher immer gemeinsam und synchronisiert gemacht haben. Das haben wir auch immer so hinbekommen.
Ich hoffe sehr und glaube, dass wir es auch jetzt wieder hinbekommen werden. Aber natürlich machen wir in der Kammer eine eigene Lesung für die Pläne. Wenn wir an den Rechtsgrundlagen, beispielsweise an der Notfalldienstordnung, etwas ändern müssen, müssen wir uns auch damit befassen. Es ist nicht damit getan, dass wir Beschlüsse anderer übernehmen. Andere beschließen, aber wir beschließen eben auch. Das ist die Grundlage, auf der dort zu agieren ist.
Auf der Bundesebene werden wir beim Versorgungsstärkungsgesetz erleben, dass der Gesetzgeber sagt: Eine Kooperation zwischen der KV und den Kliniken kann es nicht nur geben, sondern es soll sie geben. Die KV soll mit den Kliniken kooperieren. Der Hintergrund dessen ist sicher auch, dass sich die Welt der praktischen Inanspruchnahme von Notfalldienstleistungen inzwischen so darstellt, dass vielerorts schon jetzt Krankenhausärzte Notfalldienstleistungen erbringen sollen. Mein Lieblingsmodell ist das meines eigenen Krankenhauses, wo wir eine Notfallpraxis haben, die von der KV betrieben und mit Kolleginnen und Kollegen aus dem KV-Bereich besetzt wird. Sie nehmen die Patienten in Empfang und betrachten sie sich unter den Gesichtspunkten des KV-Systems. Wenn eine Einweisung erforderlich ist, erfolgt sie auch. Wenn Fachärzte aus dem Krankenhaus hinzugezogen werden müssen, geschieht dies ebenfalls. Ansonsten ist das in dem Krankenhaus zwar vollzogen, aber eine Angelegenheit der KV.
Das finde ich ein sehr schönes Modell. Es gibt dieses Modell aber nicht überall. An vielen Orten ist es halt so, dass Krankenhausärzte sehr stark in Anspruch genommen werden. Gleichgültig wie man zur Frage der finanziellen Berechnungen in dem berühmten DKG-Gutachten über etwa 100.000 Notfälle steht: Es scheint mir ziemlich klar zu sein, dass von Krankenhauskollegen mindestens 20, 25, 30 Prozent Patienten gesehen werden, bei denen ziemlich klar ist, dass sie nicht die Mittel des Krankenhauses benötigen, sondern selbstverständlich mit den Mitteln des KV-Notdienstes ihr Begehr zufriedenstellend erfüllt werden könnte.
An dieser Stelle weise ich auch darauf hin, dass wir natürlich objektiv das Problem haben, dass in manchen Patientenforen wechselseitige Hinweise existieren, man solle doch gleich ins Krankenhaus gehen, weil man dann bestimmte Abläufe schneller abarbeiten könne, nicht freinehmen müsse, sich mit keinem Chef herumärgern müsse.
Ich meine, dass allein diese wenigen Hinweise zeigen: Wenn wir uns als Kammer mit diesem Thema beschäftigen - so hält es ja auch unser Notdienstausschuss -, muss das in einem breiten Einvernehmen mit den Ärztinnen und Ärzten, die im niedergelassenen Bereich tätig sind, die in den Krankenhäusern tätig sind, die auch in einer Vertretung tätig sind, erfolgen. Wir müssen dabei an die Bevölkerung denken, an die Sorgen der Patienten.
Bei dem einen oder anderen, der sich aus der Kommune heraus beschwert, sage ich allerdings auch: Es erstaunt einen schon, warum man, nachdem wir überall kommunale Gesundheitskonferenzen haben, nicht früher daran gedacht hat, die Frage des Notdienstes auf die Tagesordnung einer kommunalen Gesundheitskonferenz zu setzen und dort zu erörtern. Warum alles sofort in der Presse ausgetragen werden muss, weiß ich nicht so genau. Das hat sicher auch damit zu tun, dass Landräte, Bürgermeister und Stadträte sich immer wieder in Wahlen bestätigen lassen müssen. Insofern müssen sie natürlich auch wahrgenommen werden. Vielleicht ist die Wahrnehmung in der kommunalen Gesundheitskonferenz manchmal ein bisschen zu schmal.
Ich habe das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz bereits erwähnt. Es enthält natürlich auch viele andere Regelungen. Ich glaube, ich habe bereits in der vorhergehenden Kammerversammlung gesagt, dass ich es für eine große intellektuelle Herausforderung halte, wie man einerseits sagen kann, man müsse mit diesem Gesetz Terminservicestellen zur Vermittlung von Facharztterminen etablieren, man müsse mit einer neuen Instanz für geringere Wartezeiten sorgen, während gleichzeitig erklärt wird, man müsse in überversorgten Gebieten die Zahl der Praxen verringern. Die Überversorgung ist mit 110 Prozent definiert.
Es ist mir angesichts der langen Dauer, der die Daten entstammen, mit denen die Überversorgung definiert wird, relativ schleierhaft, wie man beides in demselben Gesetzgebungsvorhaben zueinander bringen will. Entweder können wir auf Praxen verzichten oder wir haben ein echtes Wartezeitenproblem. Wenn man ein echtes Wartezeitenproblem hat, wird man es ja nicht mit weniger Kapazitäten bewältigen können. Mit diesen Regelungen fühle ich mich logisch noch ein bisschen überfordert. Deswegen bin ich dafür, dass wir auch in dieser Kammerversammlung diese Kritik per Beschluss anmelden.
Unberücksichtigt bleibt im Gesetzentwurf, dass Ärzte in städtischen Zentren häufig Patienten aus den umliegenden Landkreisen mitversorgen. Umgekehrt ist in strukturschwachen Gebieten noch nichts gegen den Ärztemangel bewirkt, wenn in den Zentren Vertragsarztsitze nicht nachbesetzt werden. Deswegen, weil irgendwo eine Praxis nicht nachbesetzt wird, geht ja niemand 30 Kilometer weiter aufs Land. Fragen, um die es wirklich geht, lauten beispielsweise: Gibt es gute Bildungschancen für meine Kinder? Gibt es eine Stelle für meine Ehepartnerin, meinen Ehepartner? Gibt es einen Breitbandanschluss im Internet, mit dem ich meine Kommunikationsgepflogenheiten aus der Universitätsstadt beibehalten kann?
Wenn man einfach eine Praxis nicht mehr nachbesetzt, sind diese Probleme nicht gelöst. Meine Vermutung ist, dass dann die meisten eine andere Lösung innerhalb einer Stadt suchen werden. Ich finde, an dieser Stelle muss man noch ein bisschen kreativer werden.
Wir halten auch an unserer Forderung fest, die Regresse endlich vollständig abzuschaffen. Es wäre ein gutes Zeichen gerade an die nachrückenden Kolleginnen und Kollegen. Es ist wahr: Die Zahl der Regresse ist um ungefähr 98 Prozent zurückgegangen. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren einen massiven Rückgang erlebt. Trotzdem ist es an den Hochschulen nach wie vor so, dass die jungen Kolleginnen und Kollegen vor nichts so viel Angst haben wie vor der Regressdrohung. Dies ist eine regelrechte mentale Hürde vor der Niederlassung, jedenfalls für einen Teil der jungen Kolleginnen und Kollegen. Wenn eine Maßnahme so wenig bewirkt, wie es bei den Regressen der Fall ist, dann, finde ich, kann man sie auch abschaffen und kann sich die ganze Bürokratie sparen. Das könnte man in eigener Zuständigkeit der KV mit den Kassen aushandeln, wie das Beispiel der KV Bayerns zeigt. Dort hat man das gemacht. Dafür muss man nicht unbedingt den Gesetzgeber haben. Ich finde: Wenn sich der Gesetzgeber dies anschaut, sollte er eigentlich sagen, an die Regresse machen wir endlich einen Haken.
Zu weniger Niederlassungen und damit einem erheblichen Standortnachteil für Nordrhein-Westfalen kann sich auch die unbegründete Benachteiligung unseres Landes bei der Finanzierung der ambulanten Versorgung auswachsen. Daher fordert unser Vorstandsantrag, dass der Gesetzgeber dem Vorschlag des Bundesrats folgt und zum 1. Januar 2016 für die überfällige Konvergenz sorgt und das nicht weiter verschiebt, wie es der Gesetzentwurf vorhat. Ich werbe dafür, dass wir die Konvergenz zum 1. Januar 2016 herbeiführen. Es wird im April eine Anhörung geben. Ich bin gespannt, ob es uns gelingt, sie entsprechend zu befruchten.
Als gesundheitspolitisches „Megathema“ der Legislaturperiode ist die Krankenhausreform bezeichnet worden. Gemessen daran sind die Eckpunkte enttäuschend, die eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Dezember zu diesem Thema vorgelegt hat. Ich kann schon verstehen, wie die Spielräume dann sind, wenn man einen Bundesminister für Gesundheit und acht Ländergesundheitsminister zu einer solchen Bund-Länder-Arbeitsgruppe zusammenbringt und es eine ganz starke Herausforderung ist zu erreichen, dass sich die Länder in einer solchen Kommission zu einer deutlichen Aufstockung der Investitionsmittel verpflichten sollen. Das ist bei einer solchen Zusammensetzung der Kommission in der Tat mehr, als man vielleicht politisch erwarten kann.
Die gravierende Unterdeckung im Bereich der Investitionsfinanzierung entspricht dem Investitionsversagen der Bundesländer. Hier läuft jedes Jahr eine Finanzierungslücke von 3,3 Milliarden Euro auf. Allein in Nordrhein-Westfalen fehlen Jahr für Jahr 700 Millionen Euro, die nach der Gesetzeslage den Krankenhäusern geschuldet sind.
Natürlich: Wenn wir Planungshoheit reklamieren, wenn dieser wichtige Bereich der Daseinsvorsorge durch die Politik gesteuert werden soll, dann geht damit auch eine Finanzierungsverantwortung Hand in Hand. Da nehmen die Länder in Kauf, dass die Häuser Anteile von Erlösen, die sie erzielen, in dringend notwendige Investitionen stecken. Wenn man, um das NMR zu finanzieren, Einsparungen bei der Pflege oder bei der Überstundenvergütung im ärztlichen Dienst vornehmen muss, dann ist das ein Anreiz, der im Grunde die Versicherten der Krankenkassen um das Ergebnis ihrer Beiträge behumst, denn sie bezahlen ihre Beiträge nicht, damit das NMR gekauft wird, sondern damit Personal in der Pflege und bei den Ärzten und Sachmittel bezahlt werden, die benötigt werden.
Dieses Loch nicht zu stopfen bedeutet natürlich, eine Mangelsituation fortzusetzen. Deswegen bin ich enttäuscht, dass dort nur steht: Wir setzen das auf dem bisherigen Niveau fort - versprochen. Hier müsste eine deutliche Steigerung her. Es müsste mehr geschehen, als die bisherigen Eckpunkte vorsehen. Das ist der Sinn des Antrags, über den wir im Kammervorstand diskutiert haben und den wir Ihnen vorlegen. Gemeinsam mit der Ärztekammer Westfalen-Lippe haben wir das auch in einem Schreiben an die Landesgesundheitsministerin übermittelt. Wir hoffen dort sehr auf Gehör.
Auch bei der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hoffen wir auf Gehör. Dort geht es um das sogenannte Tarifeinheitsgesetz, das im Deutschen Bundestag diskutiert wird. Es sieht für den Fall inhaltlicher Abweichung zwischen Tarifverträgen verschiedener Gewerkschaften für den gleichen Regelungssachverhalt, die als „Tarifkollision“ bezeichnet wird, vor, dass allein der von der Mehrheitsgewerkschaft im Betrieb abgeschlossene Vertrag gilt und damit der von der Minderheit geschlossene Tarifvertrag gelöscht wird.
Welche praktischen Folgen hätte das? Die Ärzte im Krankenhaus haben an der Gesamtbelegschaft einen Anteil von vielleicht 14 oder 15 Prozent. Wenn vom Rest der Belegschaft nur jeder Fünfte in einer anderen Gewerkschaft organisiert ist, gilt: Jeder Fünfte von 85 Prozent ergibt mehr als den Anteil des Marburger Bundes. Selbst wenn der Marburger Bund 100 Prozent der übrigen Kolleginnen und Kollegen organisieren würde, was nicht der Fall ist, wären die anderen in der Mehrheit.
Das hätte zur Folge, dass überall dort, wo eine Kollision vorliegt, der arztspezifische Tarifvertrag nicht mehr gilt, sondern der von den anderen geschlossene Tarifvertrag. Das würde bedeuten, dass die ganze Wirkung der Streiks aus dem Jahr 2006 rückblickend aufgehoben würde, weil Verdi zwar in der Zwischenzeit Steigerungen von ähnlichem Gewicht tariflich vollzogen hat, wie es auch in den Tarifverträgen des Marburger Bundes der Fall ist, aber die Differenz zum BAT, die damals durch die Streiks weggekämpft wurde, wurde von Verdi nie wieder aufgeholt. Es würde also eine massive materielle Bedrohung der Krankenhausärzte bedeuten, wenn diese Regelung käme.
Ein solches Gesetz käme einem Verfassungsbruch gleich, denn Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes spricht eine klare Sprache. Ich zitiere wörtlich:
Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.
In Art. 19 Abs. 2 des Grundgesetzes heißt es zudem:
In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
Dieser Gesetzentwurf, den wir jetzt vor uns haben, blendet das Wesen des Grundrechts der Koalitionsfreiheit schlicht und einfach aus. Die Gewerkschaft der Ärztinnen und Ärzte würde von der Übereinstimmung mit einer betrieblichen Mehrheit abhängig. Damit wäre der tatsächliche Spielraum zur Ausübung des Grundrechts auf null reduziert. So kann man nicht den Kernbereich eines Grundrechts schützen. Man muss sich einmal vorstellen, was es heißen würde, wenn das mit der Pressefreiheit, mit der Meinungsfreiheit, mit der Religionsfreiheit, mit der Freizügigkeit, mit dem Post- und Fernmeldegeheimnis geschähe. Wohin kämen wir dann?
Deshalb glaube ich, dass auch die verfassungspolitische Auseinandersetzung darum wertvoll und wichtig ist. An den Situationen, die immer zitiert werden, um zu begründen, warum man das doch bräuchte, an der Situation bei der Lufthansa, wie wir sie in dieser Woche erleben, würde das Gesetz überhaupt nichts ändern, weil es dort keine Tarifkollision gibt. Es ist sogar für diesen Zweck, der immer vorgeschützt wird, einfach untauglich. Dieses Tarifeinheitsgesetz muss scheitern. Wenn es trotz aller Gegenargumente ins Bundesgesetzblatt gelangt, dann - davon bin ich überzeugt - werden die Hüter der Verfassung in Karlsruhe diesen Fehler korrigieren.
Mit dem sogenannten E-Health-Gesetz will der Gesetzgeber eine sichere elektronische Vernetzung im Gesundheitswesen beschleunigen und die Einführung medizinischer Anwendungen fördern. Dazu braucht es die Akzeptanz aller Beteiligten. Deshalb verlangt unser Kammervorstand Korrekturen am Gesetzentwurf, wie Sie sie dem vorliegenden Antrag entnehmen können.
Nach unserer Auffassung müssen medizinische Anwendungen bei der Telematikentwicklung im Vordergrund stehen und nicht Verwaltungsvorgänge wie der Versichertenstammdatendienst.
Warum muss in der Arztpraxis online abgeglichen werden, ob die auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeicherten Daten aktuell sind und der Versicherte noch versichert ist? Wir empfinden das als eine bürokratische Belastung im Praxisalltag. Viele Kolleginnen und Kollegen empfinden das als eine Zumutung und sind der Meinung, dass es sich hier um originäre Aufgaben der Krankenkassen handelt.
Aus dem Bundesjustizministerium liegt ein Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Korruption vor, mit dem ein Straftatbestand der Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen eingeführt werden soll. Das ist keineswegs ein speziell auf Ärzte gemünztes Gesetz, sondern die Regelungen sollen einen Großteil aller Berufsgruppen im Gesundheitswesen einbeziehen. Das Vorhaben bietet durchaus die Chance, „schwarze Schafe“ im Gesundheitswesen wirksamer als bisher zu treffen - und so die große Mehrheit derer, die sich korrekt verhalten, zu schützen, auch vor Diffamierungskampagnen und Pauschalverurteilungen. Es gibt eine Diskussion um die Frage, ob womöglich, weil dabei auch Finanzmittel fließen, sozialversicherungsrechtlich normierte Kooperationen mit dem Vorwurf bedacht werden könnten, korruptiv zu sein. Ich nenne hier Modelle der integrierten Versorgung, den Zusammenschluss in Arztnetzen, Dinge, bei denen der Gesetzgeber Aufträge zur Kooperation erteilt, für die dann Geld fließt. Ist dies dann korruptiv?
Dazu sagen die im Bundesjustizministerium damit Befassten: Das wird nicht passieren, sondern wir haben es hier damit zu tun, dass das nur im Falle einer Unrechtsvereinbarung gilt. Ich glaube, der Beziehungsstress in dieser Frage zwischen uns Ärzten und dem Bundesjustizministerium entsteht dadurch, dass der Terminus der Unrechtsvereinbarung, der für Juristen ziemlich einfach ist, den Ärzten noch etwas unvertraut ist. Weil fast alle von uns nie so etwas täten, kennen wir uns damit nicht aus. Da bedarf es halt der Erklärung und Erläuterung. Ich erlebe jetzt, dass manche Kolleginnen und Kollegen befürchten, dass Dinge als Unrecht dargestellt werden, die alltags- und sozialversicherungsrechtlich auch gewünscht sind, die deshalb diesem Vorwurf nicht unterliegen. Da wird man noch beim wechselseitigen Verständnis nacharbeiten müssen. Ich glaube, das ist aber eher ein kommunikatives als ein materielles Problem.
Der Entwurf eines Präventionsgesetzes wird dazu beitragen, dass Ärztinnen und Ärzte millionenfach Patienten aller gesellschaftlichen Schichten gleichermaßen erreichen und im Gespräch zu einem gesundheitsbewussten Lebensstil und zur Wahrnehmung gesundheitsförderlicher Angebote mit gesetzlichem Auftrag motivieren können. Wir tun das ohnehin schon. Aber das Bedauerliche ist, dass es hier bisher keine gesonderte Vergütung gibt, sondern dass dies alles eingebaut sein soll in die Untersuchungen, die wir bisher als Check-up-Untersuchungen kennen. Ich glaube, dass es gut ist, das Vertrauensverhältnis der Patienten zu ihren Ärzten zukünftig konsequenter zu nutzen, um die Eigenverantwortung der Patienten für ihre Gesundheit zu stärken. Deshalb finde ich auch die „Präventionsempfehlung“ wichtig. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass man sie zu einem umfassenden ärztlichen Präventionsmanagement ausbauen kann, das sowohl eine Exploration gesundheitlicher Belastungen, eine ärztliche Beratung und Begleitung von Präventionsmaßnahmen als auch die Bewertung ihrer Wirksamkeit umfasst.
Der alte Streit, ob die Prävention bei der individuellen Ansprache ansetzen muss oder in den Lebenswelten wie zum Beispiel Kindergarten, Schule oder Betrieb, ist meines Erachtens müßig. Wenn wir wirklich viel erreichen wollen, brauchen wir beides. Beide Ansätze sollten wir stützen. Wir sollten aber auch von allen anderen Beteiligten erwarten, dass sie beide Ansätze stützen, also auch die ärztliche Kompetenz in Präventionsfragen anerkennen. Von Hufeland stammt die Aussage: Vorbeugen ist besser als Heilen. Er war immerhin der Arzt von Goethe, Schiller und Herder. So schlecht kann das alles nicht gewesen sein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte um Sterbebegleitung und Sterbehilfe im Deutschen Bundestag, die im kommenden November in eine abschließende Beratung von Gesetzentwürfen münden soll, hat in einem Punkt schon zu einem guten Zwischenergebnis geführt: Das Bundesgesundheitsministerium hat vor wenigen Tagen den Entwurf eines Hospiz- und Palliativgesetzes vorgelegt. Es verfolgt das Ziel, Schwerkranke und Sterbende bestmöglich zu betreuen und zu versorgen. Es sollen „weiße Flecken“ in der Versorgungslandschaft beseitigt und ein flächendeckendes Hospiz- und Palliativangebot verwirklicht werden. Wer die Situation in Nordrhein-Westfalen mit der in anderen Bundesländern vergleicht, weiß, dass wir hier im Vergleich mit anderen Bundesländern gute Verhältnisse haben.
Es ist aus ärztlicher Sicht ein sehr wichtiger Schritt, weil die moderne Palliativmedizin nicht nur ein hochentwickeltes Instrumentarium zur Linderung körperlichen Leidens bereithält, sondern auch eine Kultur der menschlichen Zuwendung und des Gesprächs mit dem Patienten pflegt. Genau das ist unsere ärztliche Aufgabe: Wir wollen hilfsbedürftigen Menschen gerecht werden, unter welchen körperlichen, seelischen oder geistigen Beschwernissen sie auch immer leiden. Die Würde kann und darf nicht verloren gehen.
Unsere Position in der Debatte wird dadurch, glaube ich, noch erleichtert. Wir wollen nicht zur Selbsttötung ermutigen, sondern so viel Hilfe zum Leben wie nur möglich anbieten. Ich finde es sehr gut, dass diese rechtspolitische Diskussion jetzt mit einer praktischen Diskussion um die Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung verbunden wird...
Beide Ärztekammern in Nordrhein-Westfalen machen sich stark für eine bessere gesundheitliche Versorgung von Menschen in prekären Lebenslagen, zum Beispiel von Wohnungslosen, Flüchtlingen, Asylbewerbern oder Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Auf unsere Einladung hin haben sich über 150 Experten Anfang Februar hier im Hause mit diesem Thema beschäftigt.
Viele Kolleginnen und Kollegen - das wurde bei der Tagung deutlich - engagieren sich bereits heute in ihren Städten und Kreisen für Menschen in prekären Lebenslagen. Auch dafür danke ich an dieser Stelle sehr herzlich, denn eine Vielzahl von Mitbürgern am Rande der Gesellschaft ist auf einen schnellen, unbürokratischen und niedrigschwelligen Zugang zur gesundheitlichen Versorgung angewiesen.
Die Kolleginnen und Kollegen helfen und sie zeigen Haltung: Es gehört zu den ethischen Prinzipien unseres Berufs, dass wir unseren Pflichten unabhängig etwa von der gesellschaftlichen Stellung, der Nationalität oder einer eventuellen Behinderung des Patienten nachkommen. Und als Ärztinnen und Ärzte setzen wir uns für Menschen in schwierigen Lebenslagen ein. Wir stehen zu unserer sozialen Verantwortung.
Helfen, wo ärztliche Hilfe fehlt - das ist die Maxime, der wir folgen. Deshalb verschließen wir auch nicht die Augen vor den gewaltigen Herausforderungen, die sich in den Krisenregionen der Welt angesichts von Krieg, Gewalt oder Naturkatastrophen stellen. Es sind auch viele rheinische Kolleginnen und Kollegen, die sich solchen Situationen stellen und so Leben retten und Leiden lindern. Dabei nehmen sie manches persönliche Risiko in Kauf. Das verdient hohe Anerkennung.
Weil bedrängte Menschen in aller Welt unsere Unterstützung brauchen, werden wir uns mit dem Thema der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und in internationalen Krisen gleich anschließend unter Tagesordnungspunkt 2 gesondert befassen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich jetzt auf einen spannenden Tagesordnungspunkt 2. Herzlichen Dank, dass Sie mir zugehört haben.