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Entschließungen der Kammerversammlung am 20. März 2010


Ärztekammer Nordrhein unterstützt „Initiative Gesundheit NRW“

Die Ärztekammer Nordrhein sieht die Qualität der ambulanten Medizin in Nordrhein-Westfalen gefährdet. Die jüngste Honorarreform benachteiligt die Hausärzte und niedergelassenen Fachärzte und damit die Patientenversorgung im bevölkerungsreichsten Bundesland in eklatanter Weise. Für die Regelversorgung steht in NRW - trotz eines bundeseinheitlichen Beitragssatzes zur Gesetzlichen Krankenversicherung - deutlich weniger Geld zur Verfügung als in anderen Bundesländern. Das Ziel der Honorarreform, die chronische Unterfinanzierung der ambulanten Medizin wenigstens teilweise abzubauen, wurde in NRW verfehlt.

Die Kammerversammlung unterstützt daher die Initiative der Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe „Gesundheit für NRW“, die für Gerechtigkeit sorgen soll.

Darüber hinaus begrüßt die Kammerversammlung, dass der Vorstand der Ärztekammer Nordrhein in seinem Beschluss vom 4. März 2009 bereits frühzeitig vor Praxisinsolvenzen in NRW gewarnt und festgestellt hat:

In NRW, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, (sind) die medizinischen Herausforderungen offensichtlich. Dass nun aber gerade hier trotz eines bundeseinheitlichen Beitragssatzes zur Gesetzlichen Krankenversicherung den Vertragsärztinnen und Vertragsärzten weniger Geld für die Patientenversorgung zur Verfügung gestellt wird als den Kolleginnen und Kollegen in anderen Bundesländern, ist nicht zu tolerieren; dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass die in NRW aufgebrachten Krankenkassenbeiträge zu einem erheblichen Teil in andere Bundesländer abfließen. Nur mit einer leistungsgerechten Honorierung der Regelversorgung wird es auch in Zukunft noch eine flächendeckende haus- und fachärztliche Versorgung der Bevölkerung auf hohem Qualitätsniveau geben können. Die Tätigkeit als selbständiger, niedergelassener Vertragsarzt wird nur dann wieder attraktiver werden, wenn die Kolleginnen und Kollegen mit den ärztlichen Kern-Arbeiten ein angemessenes Einkommen erzielen können.“


Ärztliche Vergütung, KBV

Die Kammerversammlung fordert die Vertreterversammlung der KBV auf, die regionalen Unterschiede der ärztlichen Vergütung, die durch die RLV-Systematik entstanden sind, schnellstmöglich, spätestens ab dem 3. Quartal 2010 zu korrigieren.


Erhalt der GOÄ als freie Gebührenordnung, Ablehnung von Öffnungsklauseln

Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein erteilt jeglichen Bestrebungen des PKV-Bundesverbandes, Öffnungsklauseln für die GOÄ allein oder mit anderen durchzusetzen, eine entschiedene Absage.

Dies gilt für die gesetzliche Ebene wie für die vertragliche Ebene.

Solche Bestrebungen gefährden die ärztliche Versorgung der Bevölkerung bei privat und gesetzlich Versicherten in qualitativer und quantitativer Hinsicht.

Ärztliche Freiberuflichkeit und Unabhängigkeit würden bedroht, bereits bestehende Versorgungsdefizite und Ärztemangel würden verschärft.


Erhalt der GOÄ als freie Gebührenordnung, Ablehnung von Öffnungsklauseln

Die Kammerversammlung lehnt Öffnungsklauseln in der privatärztlichen Gebührenordnung (GOÄ) nachdrücklich ab.


„Konstruktiv am Aufbau einer elektronischen Kommunikationsinfrastruktur mitwirken“

Nach Auffassung der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein besteht in der Ärzteschaft Interesse an einer stärkeren Vernetzung. Die Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation untereinander sowie mit Kliniken und anderen Leistungsträgern im Gesundheitswesen können dabei dienlich sein und Effizienz ebenso fördern wie Qualität. Dafür benötigt das deutsche Gesundheitswesen eine anwendungsorientierte, zukunftsfähige und nutzbringende Telematikinfrastruktur. Medizinische Anwendungen, die dem Patienten dienen, müssen dabei ebenso im Vordergrund stehen wie verbesserte Organisationsabläufe in Praxis und Klinik.

Voraussetzungen für eine breite Akzeptanz bei der Einführung einer Telematikinfrastruktur in der Ärzteschaft sind folgende 12 Punkte:

(1)Einführung der elektronischen Gesundheitskarte auf dem Prüfstand

Die Ärztekammer Nordrhein begrüßt die von der Regierungskoalition eingeleitete Bestandsaufnahme des Projektes elektronische Gesundheitskarte und fordert alle Beteiligten auf, daran intensiv mitzuarbeiten.

Für die Ärzteschaft ergibt sich eine neue Chance, sich nach den bisher ernüchternden Erfahrungen in den Testregionen konstruktiv und ohne sachfremden Zeitdruck im Interesse von Patient und Arzt in den Aufbau einer elektronischen Kommunikationsinfrastruktur einzubringen.

(2) Herstellung von Transparenz über die bisherigen Ausgaben
und Nutzenbewertung aus ärztlicher Sicht

Die Ärzteschaft erwartet vor der weiteren Planung einen Überblick über bisherige Ausgaben für das Gesamtprojekt elektronische Gesundheitskarte und eine klare Bewertung des zu erwartenden Nutzens für Patient und Arzt. Die Kammerversammlung sieht dies als Voraussetzung einer grundlegenden Beurteilung, ob es gerechtfertigt ist, weitere finanzielle Ressourcen für die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte abzuzweigen, statt die Gelder der medizinischen Versorgung zur Verfügung zu stellen.

(3) Freiwilligkeit der Nutzung der elektronischen Gesundheitskarte durch Patienten und Ärzte

Der Patient kann nach § 291a SGB V weitgehend frei entscheiden, ob und in welchem Umfang er diejenigen Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte nutzt, die über die Funktionen der derzeitigen Krankenversicherungskarte hinausgehen. Die Ärztekammer Nordrhein fordert eine solche Entscheidungsfreiheit auch für Ärztinnen und Ärzte. Die Forderung nach Freiwilligkeit schließt insbesondere eine obligatorische Online-Anbindung von Praxisverwaltungssystemen und Krankenhausinformationssystemen mit medizinischen Patientendaten aus.

Diese Freiwilligkeit muss als gesetzliche Regelung aufgenommen werden.

(4) Keine Verlagerung administrativer Aufgaben der Krankenkassen auf den Arzt

Die Kammerversammlung spricht sich konsequent für die Entbürokratisierung der ärztlichen Tätigkeit aus. Die Verpflichtung von Ärzten zur Übernahme originärer Aufgaben der Krankenkassen (Aufklärung über Änderungen des Versichertenverhältnisses, Änderungen auf der Karte oder andere Verwaltungstätigkeiten mit Versichertenstammdaten) wird daher selbst gegen Kostenerstattung abgelehnt.

Änderungen des Versicherungsverhältnisses sind dem Versicherten durch den Versicherer bekannt zu machen. Derartige Aufklärungsgespräche sind keine ärztliche Aufgabe.

Die bisher existierende Leistungspflicht bei Vorliegen einer gültigen Versicherungskarte muss gewährleistet bleiben.

(5) Eindeutige Zuordnung der elektronischen Gesundheitskartenzu den Patienten

Die elektronische Gesundheitskarte muss so beschaffen sein, dass sie dem Versicherten zweifelsfrei zugeordnet werden kann. Es muss gewährleistet sein, dass anhand geeigneter praktikabler Merkmale die Identität des Versicherten geprüft werden kann, um Patientengefährdung (durch Verwechslungen von Diagnosen, Befunden etc.) ebenso wie den Missbrauch von Karten durch andere Personen zu minimieren.

Es ist Aufgabe der Krankenkassen, das Lichtbild des Versicherten zu prüfen und die Übereinstimmung mit der Identität des Versicherten zu garantieren.

(6) Rahmenbedingungen der Datenspeicherung

Tests der elektronischen Gesundheitskarte sind zu ergänzen durch eine technik- und ergebnisoffene Untersuchung der sicheren Dokumentation von Patientendaten auf patienteneigenen Speichermedien. Der Patient muss nach Auffassung der Kammerversammlung selbst entscheiden können, welche Alternative zur Speicherung von Daten eingesetzt wird.

(7) Kontrolle und Transparenz für den Patienten

Patienten müssen nach Auffassung der Ärztekammer Nordrhein das Recht haben, jederzeit zu erfahren, wo ihre Daten gespeichert sind.

Der Patient muss die Zugriffsrechte auf seine medizinischen Daten selbst definieren können.

Der Patient muss frei entscheiden können, ob er seine medizinischen Daten Ärzten seiner Wahl bzw. deren ärztlichen Vertretung im Dienst zugänglich macht oder entzieht. Diesen Anspruch muss er auch innerhalb von Krankenhäusern wahrnehmen können.

Diese Zugriffsbeschränkungen müssen protokolliert sein. Die Protokolle müssen für den Patienten solange zugänglich sein, wie eine Aufbewahrungspflicht für die Daten besteht bzw. solange die Daten gespeichert sind.

Der ärztlichen Dokumentations- und Verschwiegenheitspflicht ist berufsrechtlich korrekt Rechnung zu tragen.

(8) Punkt-zu-Punkt-Kommunikation auf der Basis standardisierter Dateiformate

Arztpraxen und Kliniken ist auf der Basis standardisierter und akzeptierter Dateiformate die Punkt-zu-Punkt-Kommunikation zu ermöglichen, zum Beispiel die Übermittlung von elektronischen Arztbriefen, Befunden oder medizinischen Daten telemedizinischer Anwendungen. Ziel ist die Entwicklung eines einheitlichen, rechtssicheren, praktikablen elektronischen Kommunikationsstandards im Gesundheitswesen.

(9) Klinischer Basisdatensatz statt Notfalldaten

Anstelle des bisher geplanten Notfalldatensatzes auf der elektronischen Gesundheitskarte ist eine Anwendung zu konzipieren, die den behandelnden Ärzten als klinischer Basisdatensatz dienen kann. Diese Basisinformation über den Patienten muss auch in der täglichen Patientenversorgung einsetzbar sein. Um die Datensicherheit zu gewährleisten, dürfen die Daten nur mit Hilfe des elektronischen Arztausweises zu lesen und ggf. zu ergänzen sein. Dies muss auch ohne aktuelle Online-Anbindung möglich sein.

(10) Keine Speicherung von genetischen Informationen und besonderen Diagnosen

In elektronischen Patientenakten der Telematikinfrastruktur nach § 291a SGB V dürfen keine personenbezogenen genetischen Daten sowie prädiktiven Diagnosen und Daten, die transindividuelle Prognosen ermöglichen, eingestellt werden (eine Liste muss von der Ärzteschaft erarbeitet werden).

(11) Zustimmung der Versicherten darf nicht gekauft werden

Im Gegensatz zur elektronischen Patientenakte nach § 291a SGB V ist der fachfremde Zugriff - beispielsweise von Arbeitgebern oder Versicherungen - auf die elektronischen Gesundheitsakten nach § 68 SGB V nicht gesetzlich untersagt.

Diese sozialgesetzliche Regelung eröffnet den Krankenkassen darüber hinaus sogar die Möglichkeit, ihren Versicherten einen finanziellen Anreiz zur elektronischen Speicherung ihrer medizinischen Daten zu gewähren. Die Ärztekammer Nordrhein fordert, diese Rabattierung abzuschaffen und die Sicherheits- und Datenschutzanforderungen an elektronische Gesundheitsakten den Vorgaben des § 291a SGB V anzugleichen.

(12) Keine Pseudotests –Einbeziehung des ärztlichen Beirats

Ärztlicher Sachverstand ist sowohl in der Planungs- als auch in der Aufbauphase einer Telematikinfrastruktur im Gesundheitswesen unverzichtbar. Das hat die nordrhein-westfälische Landesregierung erkannt und einen ärztlichen Beirat vorgesehen. Dieser soll die anstehenden Tests in der Region Bochum/Essen eng begleiten und Empfehlungen aussprechen.

Der ärztliche Beirat leistet somit einen wesentlichen Beitrag dazu, die Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte intensiv auf ihre Praxistauglichkeit hin zu prüfen. Störungen der Abläufe in Arztpraxen und Kliniken sind zu vermeiden. Die Beachtung der bisherigen Ergebnisse aus den Testregionen - insbesondere der wissenschaftlich begleiteten Evaluationen aus der Testregion in Heilbronn - soll Fehlfunktionen bereits vor der Durchführung weiterer Tests verhindern.


Berichte zum Tagesordnungspunkt Telematik

Bericht der Vorsitzenden des Ausschusses "E-Health"
der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Christiane Groß M. A.
(63,58 KB) 

Bericht des Leiters der Abteilung IT in der Arztpraxis
der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, Dipl.Wirtsch.-Ing. Gilbert Mohr
 (99,65 KB) 

Bericht des Vorsitzenden der Kreisstelle Essen der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Ludger Wollring (1,2 MB)