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Praxis

Barrieren in der Praxis abbauen

11.12.2024 Seite 21
RAE Ausgabe 1/2025

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2025

Seite 21

Ein gleichberechtigter Zugang zu gesundheitlicher Versorgung für Menschen mit Behinderungen muss das Ziel sein. Auf dem Weg dorthin können auch schon niedrigschwellige Lösungen in den Arztpraxen weiterhelfen.

von Thomas Gerst

Oft sind es bereits kleine Dinge, die für Menschen mit Behinderungen beim Arztbesuch einen großen Unterschied bedeuten – so etwa große, gut sichtbare Hinweisschilder und Türbeschriftungen. Patientinnen und Patienten mit Sehbeeinträchtigungen wird es so mit geringem Aufwand leichter gemacht, sich in der Praxis zurechtzufinden. Um Menschen mit Behinderung einen besseren Zugang zur ambulanten medizinischen Versorgung zu ermöglichen, führen mitunter Veränderungen mit einfachen Mitteln zum Ziel. Darauf weist auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in ihrer Informationsschrift „Barrieren abbauen“ hin. Um Änderungsbedarf in der Praxis festzustellen, wird den Ärzten dort zunächst ein aufmerksamer Rundgang durch die eigenen Räumlichkeiten empfohlen. So lassen sich mögliche Probleme von geh- oder sehbehinderten Menschen oder von Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung beim Besuch der Praxis vergegenwärtigen. Ein solcher Perspektivwechsel kann schon niederschwellig dazu führen, Hindernisse für Betroffene aus dem Weg zu räumen, wie etwa durch die Beseitigung von Stolperfallen, durch die Schaffung von Bewegungsflächen für Rollstuhlfahrer oder durch die bessere Ausleuchtung der Räumlichkeiten.

Ob oder inwieweit niedergelassene Ärztinnen und Ärzte die Vorschläge in der KBV-Informationsschrift umsetzen, liegt in ihrem eigenen Ermessen. Das geltende Vertragsarztrecht enthält keine Vorgaben, dass eine Praxis barrierefrei ausgebaut sein muss, teilt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein dazu mit. Über ihre jeweilige Ausstattung würden die Praxen mit Blick auf ihren Patientenstamm und auch das Praxisumfeld im Grundsatz selbst entscheiden. Nach Einschätzung der KV Nordrhein hat der Anteil barrierefreier oder barrierearmer Praxen in den vergangenen Jahren aber kontinuierlich zugenommen. Die für den Umbau zu einer barrierefreien Praxis erforderlichen Investitionen müssen die Ärzte allerdings eigenverantwortlich tätigen. Spezielle Förderprogramme für entsprechende Investitionen gibt es nach Auskunft der KV Nordrhein nicht.

Für Lisa Handeck, Referentin für Gesundheit, Alter und Pflege bei der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Selbsthilfe NRW in Münster, ist Barrierefreiheit im Gesundheitswesen ein Thema, mit dem sie auf Dauer befasst ist. Die LAG Selbsthilfe NRW als Dachorganisation einer Vielzahl von Verbänden von Menschen mit Behinderungen, chronischen Erkrankungen und ihren Angehörigen setzt sich für deren gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe ein und versucht dementsprechend seit ihrer Gründung im Jahr 1971, auf die erforderlichen Veränderungen in den Einrichtungen des Gesundheitswesens hinzuwirken – ganz im Sinne auch von Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention, zu deren Umsetzung sich Deutschland verpflichtet hat. Danach stellen die Vertragsparteien „Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen“.

Für die flächendeckende Umsetzung einer entsprechenden barrierefreien Gesundheitsversorgung sieht Lisa Handeck zunächst den Gesetzgeber in der Pflicht. Dieser müsse auch die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Ärzte vor Ort die geeignete Unterstützung etwa in Form von Beratung oder Investitionsförderung angeboten wird. „Es ist schwierig für einen Arzt, sich in Sachen Barrierefreiheit der Praxis auf den Weg zu machen, wenn er ohne konkrete Hilfe vor Ort bleibt“, sagt Handeck. Diese Hilfestellung könnten die Selbsthilfeorganisationen nicht leisten, dafür fehlten ihnen die Ressourcen. Handeck geht allerdings nicht davon aus, dass es kurzfristig zu grundsätzlichen Veränderungen kommt.

Nicht zuletzt deshalb hat die LAG Selbsthilfe NRW in einem Arbeitskreis mit ihren Mitgliedsverbänden Anregungen für niedrigschwellige Lösungen für mehr Barrierefreiheit in Praxen entwickelt. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass bereits mit wenigen Mitteln Verbesserungen im Sinne der Barrierefreiheit umgesetzt werden könnten, etwa durch die Gestaltung der Praxiswebsite oder durch kontrastreichere Gestaltung in den Praxisräumen, aber auch dadurch, dass im Kontakt mit Menschen mit Behinderungen auf eine angemessene Form der Kommunikation geachtet wird.

Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass Informationen zur Barrierefreiheit in Vertragsarztpraxen bereitgestellt werden. Gemäß § 75 SGB Vsollen diese bundeseinheitlich auf den Internetseiten der KVen eingestellt werden. Für die Umsetzung einer Richtlinie, die zum 15. Juli 2024 in Kraft trat, hatte die KBV mit den Betroffenenverbänden auf Bundesebene einen rund 80 Kriterien umfassenden Katalog zur Barrierefreiheit entwickelt. Die KV Nordrhein geht davon aus, die Umsetzung der Richtlinie wie geplant im Jahr 2025 realisieren zu können. Derzeit werde noch über Zusammenfassungen des umfangreichen Kriterienkatalogs auf Bundesebene zur Erleichterung der Informationserhebung diskutiert. Vor dem Hintergrund, dass die Ärzte nicht zur Beantwortung der abgefragten Kriterien verpflichtet sind, mag dies sinnvoll sein. Lisa Handeck von der LAG Selbsthilfe hofft auf eine hohe Rücklaufquote, um ein verlässliches Informationsangebot schaffen zu können, und darauf, dass die Ärzte durch ihre KV hinlänglich motiviert werden, den Fragenkatalog zu beantworten.
 

Informationsmaterial zum Thema bieten beispielsweise:

Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe NRW: Anregungen für niedrigschwellige Lösungen für mehr Barrierefreiheit in Praxen (www.aekno.de/barrierefreiheit/lag),
Kassenärztliche Bundesvereinigung: Barrieren abbauen. Ideen und Vorschläge für Ihre Praxis (www.aekno.de/barrierefreiheit/kbv),
Ärztekammer Nordrhein: Kommunikation im medizinischen Alltag. Ein Leitfaden für die Praxis (www.aekno.de/leitfaden-kommunikation).