Mit dem „NotfallGesetz“ schickt sich der Gesetzgeber an, die Akut- und Notfall-versorgung grundlegend zu reformieren. Ziel ist es, Patienten künftig noch zielgerichteter behandeln zu können. Ein enger Schulterschluss ist gefragt. Im Rahmen eines Runden Tisches trafen sich auf Initiative der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein Anfang Juli alle an der Akut- und Notfallversorgung beteiligten Player aus Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf, um sich über Strategien zur Vernetzung zu beraten.
von Jana Meyer und Thomas Lillig
„Wir werden die Akut- und Notfallversorgung nicht im Alleingang und ohne unsere Partner reformieren können, sondern nur gemeinsam. Bei diesem Kick-off-Treffen geht es nicht da-rum, unbedingt sofort Lösungen präsentieren zu können, sondern in erster Linie einmal darauf zu schauen, wo in den verschiedenen Leistungsbereichen der Schuh drückt und welche unterschiedlichen Bedarfe und Wünsche es gibt“, sagte Thorsten Hagemann, Leiter der Stabsstelle eHealth bei der KV Nordrhein, der den Runden Tisch moderierte. Im Vordergrund stand, die Perspektiven der jeweiligen Partner kennenzulernen, um dadurch ein Gesamtbild der Situation zu erhalten.
Diese ist nach Ansicht der beiden KVen des Landes unter anderem dadurch erschwert, dass nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen, sowohl in personeller als auch in finanzieller Hinsicht. Es sei daher für die KVen ein „Schmerzpunkt“, dass der Ressourcenknappheit Forderungen nach einem Rund-um-die-Uhr-Bereitschaftsdienst und einem Trend zur Verstetigung von Parallelstrukturen zur Regelversorgung gegenüberstünden. Darüber hinaus belasteten ungesteuerte Patientenbewegungen die Effizienz des Systems, genauso wie das Nebeneinander uneinheitlicher IT-Systeme und zu viel Bürokratie. Dem stationären Sektor, vertreten durch Führungskräfte der Notaufnahmen aus fünf Kliniken, macht die wachsende Zahl von Patientinnen und Patienten Sorgen, die die Notaufnahmen auch mit Bagatellerkrankungen aufsuchen. Das seien mitunter auch Menschen, die wüssten, dass sie in der Notaufnahme falsch sind, im ambulanten Sektor aber keinen Behandlungstermin bekommen würden.
Auch die Leiter von sieben Rettungsleitstellen aus NRW berichteten von missbräuchlichen Inanspruchnahmen. Möglich werde das durch falsche Rahmenbedingungen. „Der Rettungsdienst wird nur für den Transport der Patientinnen und Patienten bezahlt. Wenn wir nicht transportieren, bekommen wir kein Geld für unsere Leistung“, stellte Hanjo Groetschel klar, der als Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes im Kreis Borken aktiv ist. Ursache dafür, dass die 112 angerufen werde, sei häufig aber auch Hilflosigkeit im System und dass die Patienten nicht wüssten, dass sie zum Beispiel auch die Nummer des ambulanten Notdienstes, die 116 117, hätten anrufen können.
Mängel bei Erstkontakten
Wo hakt es bei den Kostenträgern? Die zwölf Vertreterinnen und Vertreter der Krankenkassen und deren Verbände, die an dem Treffen teilnahmen, benannten unter anderem die Vielfältigkeit und damit das undurchsichtige und ressourcenintensive Versorgungssystem, das mit seinen Schnittstellen zu Zeitverzug bei der Behandlung führen könne. Rückmeldungen aus der Patientenschaft verwiesen außerdem bisweilen auf Mängel bei den Erstkontakten, wenn zum Beispiel von der 116 117 ein Rückruf avisiert werde, dann aber nicht erfolge.
Für die Teilnehmenden des NRW-Gesundheitsministeriums ist das verbreitete „Sektorendenken“ ein Grund dafür, dass es bei der Akut- und Notfallversorgung noch nicht ganz rund läuft. Das Ministerium nehme sich dabei nicht aus, denn die interne Abteilungsstruktur spiegele dieses Denken ebenfalls wider. Schuldzuweisungen führten hingegen nicht weiter, sagte der für die vertragsärztliche und sektorenübergreifende Versorgung zuständige Referatsleiter im Ministerium, Felix Lüken.
Digitalisierung als ein Weg zum Ziel
Für ihn ist der Runde Tisch deshalb vor allem ein guter Anfang, weil so ein gemeinsames Problemverständnis entstehen könne. „Ich finde es wichtig, dass wir endlich miteinander ins Gespräch kommen und nicht so sehr übereinander reden und dass wir auf dieser Basis dann gemeinsam schauen, wo die Lösungen liegen können“, sagte Lüken.
In welche Richtung das gehen könnte, ließ sich bereits in den Wünschen der beteiligten Organisationen erahnen. Nach Meinung aller spielt die Digitalisierung dabei eine große Rolle. Der Rettungsdienst visiert eine einheitliche Notfall-Nummer an, verbunden mit einer echten Vernetzung der Leistungserbringenden und einer klaren Selektion der Patientinnen und Patienten nach definierten Standards. Auch die Krankenhäuser sehen in einer „adäquaten Vorselektion“ einen Weg zur Problemlösung und wünschen sich außerdem einen medienbruchfreien Datenaustausch mit den Sektoren.
„Wir haben in der Akut- und Notfallversorgung jede Menge Druck auf dem Kessel“, fasste Thorsten Hagemann das erste Treffen der Akteure in diesem Be-reich zusammen. „Ich freue mich deshalb, dass wir alle Beteiligten an einem Tisch zusammenbringen konnten, um gemeinsam eine Vision zu entwickeln.“ An ihrer Umsetzung soll dann beim nächsten Treffen am 2. Oktober 2025 bei der KV Westfalen-Lippe in Dortmund weitergearbeitet werden. Geplant ist, in weiteren Begegnungen konkret an den Prozessen der Patientensteuerung und Fragen der technischen Umsetzung zu arbeiten.
Jana Meyer und Thomas Lillig sind Redakteure bei der KV Nordrhein
Dr. Frank Bergmann: Plädoyer für mehr Planungssicherheit
„Wir benötigen eine gesetzlich verankerte Planungssicherheit für die neuen Aufgaben, die sich durch die digitale Transformation mit und zwischen den Sektoren ergeben“, fordert der Vorstandsvorsitzende der KV Nordrhein, Dr. Frank Bergmann. „Die 116 117 kann als Plattform in den Händen der ärztlichen Selbstverwaltung professionell steuern. Damit gehört diese Struktur allerdings zur allgemeinen Daseinsfürsorge und muss zu 100 Prozent finanziert werden und darf nicht wie im aktuellen Entwurf zum Notfallgesetz mit lediglich 50 Prozent veranschlagt sein.“ Völlig außer Frage steht für Bergmann, dass es für die Bewältigung künftiger Herausforderungen im Gesundheitssystem einen Schulterschluss aller Akteure braucht. „Um eine optimale Patientenversorgung zu gewährleisten, brauchen wir einheitliche Standards sowie eine fachliche Einigung im Konsens. Eine technische Vernetzung allein reicht nicht aus. Wir als KVNO sind deshalb initiativ vorangegangen und haben den Runden Tisch zur Weiterentwicklung der Akut- und Notfallversorgung ins Leben gerufen. Ich freue mich über dieses gelungene, konstruktive Format."