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Erneute Diskussion um Härtefallfonds für Patienten

18.06.2024 Seite 29
RAE Ausgabe 7/2024

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 7/2024

Seite 29

Erneute Diskussion um Härtefallfonds für Patienten
Der Bundesgesundheitsminister will zeitnah mit der Novellierung des Patientenrechtegesetzes einen Härtefallfonds auf den Weg bringen. Mit diesem Thema befasste sich auch die Tagung der Medizinrechtlehrenden in Köln.

von Thomas Gerst 

Das kann man gutes Timing nennen: Bei der Tagung der Wissenschaft­lichen Vereinigung der deutschsprachigen Medizinrechtslehrerinnen und Medizinrechtslehrer, die vom 9. bis 11. Mai in Köln stattfand, galt ein Schwerpunkt dem Thema Patientenentschädigungsfonds. Kurz zuvor, am 24. April, hatte Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach bei der Regierungsbefragung im Bundestag eine Novellierung des Patientenrechtegesetzes angekündigt. Insbesondere sei ein Härtefallfonds für Patientinnen und Patienten in Vorbereitung. Eine solche Regelung hatten die Regierungsparteien ohne weitere Konkretisierung im Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode 2021-2025 vereinbart. Es sei zwar keine Beweisumkehr vorgesehen, teilte Lauterbach im Bundestag mit, aber eine deutliche Stärkung der Patientenrechte. 

Von den Befürwortern eines solchen ­Härtefallfonds werde das bestehende Haftungsrecht als unzureichend empfunden, um Patienten bei Behandlungsschäden zu schützen – so die Einschätzung von Professor Dr. jur. Mark Makowsky vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht, Medizinrecht sowie Privatversicherungsrecht der Universität Mannheim bei der Medizinrechtstagung. Dies gelte sowohl für allgemeine Behandlungsrisiken, die außerhalb des Schutzbereichs des Haftungsrechts lägen, als auch für die dem Haftungsrecht unterliegenden Behandlungsfehlerschäden; bei Letzteren werde oft kein hinreichender Schutz gesehen, weil es zu hohe Hürden bei der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gebe. Viele Patienten scheiterten mit ihrer Arzthaftungsklage, weil ihnen entweder der Fehlernachweis oder der Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität nicht gelinge. Der Härtefallfonds solle dieses Problem beheben, betonte Makowsky, indem eine Entschädigung gezahlt werde in den Fällen, in denen der Behandlungsfehler selbst oder die haftungsbegründende Kausalität überwiegend wahrscheinlich ist, wenn auch nicht nachweisbar nach geltender Rechtsbestimmung in der Zivilprozessordnung, oder auch bei seltenen und bisher nicht bekannten Komplikationen, bei denen das Haftungsrecht nicht greift. Die Befürworter erhofften sich ein schnelles, unbürokratisches und kostengünstiges Verfahren mit weniger Belastungen für die Patienten.

Blick ins Nachbarland Österreich

Die politische Auseinandersetzung über einen Härtefallfonds für Patienten ist hierzulande nicht neu. Bereits im Zuge der Beratungen des Patientenrechtegesetzes, das im Jahr 2013 in Kraft trat, hatte es Vorstöße aus dem Bundesrat und aus der SPD-Fraktion im Bundestag zur Einrichtung eines solchen Fonds gegeben. Diese waren jedoch von der damaligen Bundesregierung mit der Begründung abgelehnt worden, dass ein ­Entschädigungsfonds dem deutschen Haftungssystem, das eine individuelle Haftung des Schädigers vorsieht, widerspreche. Die Aussicht auf individuelle Fehlerhaftung ­stelle einen wirksamen Anreiz zur Fehlervermeidung dar, und mit einem Entschädigungsfonds würde das Haftungssystem überwiegend seine Präventivwirkung verlieren. Makowsky verwies auch auf Überlegungen zur Schaffung einer Patientenversicherung in Deutschland ähnlich der gesetz­lichen Unfallversicherung bei Arbeitsunfällen. Ideen zu einer solchen großen Lösung nach schwedischem Vorbild, mit der das Haftungs­recht faktisch verdrängt würde, hätten sich aber nicht durchsetzen können. Heute gehe es in der Diskussion allein noch um haftungs­ergänzende Fondslösungen. 

Dass ein Blick ins Ausland im Zuge der erneuten Diskussion um einen Härtefallfonds hilfreich sein könnte, dachten offenbar auch die Organisatoren der Medizinrechtstagung am Institut für Medizinrecht der Universität zu Köln. Professor Dr. jur. Karl Stöger vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht, Abteilung Medizinrecht, der Universität Wien stellte bei der Tagung in Köln die Rechtslage in Österreich vor und ging der Frage nach, ob die dortige Regelung der Patientenentschädigung Vorbild für Deutschland sein kann. Ausgehend von grundsatzgesetzlichen Vorgaben des Bundes aus dem Jahr 2001 gibt es in den neun österreichischen Bundesländern haftungsergänzende Systeme der Patientenentschädigung. Diese treten ein bei Härtefällen, bei denen der Nachweis einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ eines Schadens infolge eines Behandlungs- oder Aufklärungsfehlers nicht erbracht werden kann. Stöger wies allerdings darauf hin, dass das Entschädigungssystem auf die gemeinnützigen Krankenhäuser beschränkt sei. Die Krankenhäuser ziehen von ihren Patienten bei stationärer Aufnahme 73 Cent pro Tag ein, die in den Entschädigungsfonds des jeweiligen Bundeslandes fließen. Dieser kommt für Fälle auf, bei denen eine Haftung des Rechtsträgers nicht eindeutig gegeben ist. Problematisch sei, dass der niedergelassene Bereich durch den Entschädigungsfonds nicht abgedeckt ­werde und nicht alle Krankenhäuser erfasst würden. Für Stöger stellt insbesondere die uneinheitliche Ausgestaltung der Fonds in den Bundesländern ein Problem dar. Als Vorbild für Deutschland sei der Entschädigungsfonds in Österreich nicht geeignet, lautete sein Fazit, doch immerhin lasse die praktische Leistungsfähigkeit des österreichischen Modells seine rechtlichen Schwächen ein Stück in den Hintergrund rücken.

Neuregelung birgt Risiken

Der Mannheimer Medizinrechtler Makowsky zeigte sich bei der Tagung in Köln grundsätzlich skeptisch gegenüber der Schaffung eines Härtefallfonds in Deutschland. Bei einem Fonds unterhalb der Nachweisschwelle eines Zivilprozesses sieht er insbesondere zwei Entwicklungen voraus: Zu befürchten sei erstens die faktische Verdrängung des Haftungsrechts, das heißt, ein haftungsrechtlicher Nachweis wäre möglich, aber der Patient begibt sich auf den vermutlich leichteren Weg; und zweitens würden Ansprüche vermutlich auch dann schon geltend gemacht werden, wenn nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit im Raum steht, sich aber wohl eher ein Krankheitsrisiko verwirklicht habe. Dieses Risiko einer bestimmungswidrigen Inanspruchnahme ließe sich nur vermeiden durch eine sehr sorgfältige Anspruchsprüfung, die sich dann kaum von einer zivilrechtlichen Überprüfung unterscheiden würde.