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Notvertretungsrecht des Ehepartners: in der Praxis schwer umsetzbar

15.09.2023 Seite 27
RAE Ausgabe 10/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 10/2023

Seite 27

Seit dem 1. Januar 2023 ist das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in Kraft. Mit den für die ärztliche Berufsausübung wesentlichen Änderungen befasste sich ein Online-Symposium von Ärztekammer Nordrhein und Rheinischer Notarkammer.

von Thomas Gerst

Die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts soll vor allem für ein verbessertes Selbstbestimmungsrecht unterstützungsbedürftiger Personen sorgen. Der Gesetzgeber wollte insbesondere die Autonomie betreuter Menschen, das Binnenverhältnis zu den Betreuenden stärken und deren Pflichten umfassender regeln. Wichtig für Ärztinnen und Ärzte ist vor allem die Neuregelung des ehelichen Notvertretungsrechts, mit der in medizinischen Notsituationen die Vertretungsmöglichkeiten des Ehepartners deutlich erweitert werden. 

Sofern ein Ehepartner akut aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit über seine medizinische Versorgung nicht mehr entscheiden kann, darf der andere Ehepartner vertretungsweise und begrenzt auf einen Zeitraum von sechs Monaten in Untersuchungen und Behandlungen einwilligen oder diese untersagen, Behandlungsverträge abschließen oder vorübergehend freiheitsentziehende Maßnahmen billigen. Ohne das Vorliegen einer Vorsorgevollmacht galt bisher für diesen Fall, dass vom Betreuungsgericht ein Betreuer bestellt werden musste. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sind nunmehr im Notfall auch von der Schweigepflicht gegenüber dem vertretenden Ehepartner entbunden.  

Diese Neuregelung in § 1358 BGB mit ihren Auswirkungen auf das ärztliche Handeln stand im Mittelpunkt des Online-Symposiums, bei dem sich rund 560 Ärztinnen und Ärzte zugeschaltet hatten. Die Ausführungen der Referentinnen und Referenten zeigten vor allem eines: Die neuen Vorgaben erleichtern ärztliches Handeln nicht und sind im Rahmen der Notfallversorgung auch kaum umsetzbar. So wies Notarin Dr. jur. Karin Raude darauf hin, dass der vertretende Ehepartner den gleichen Beschränkungen unterworfen ist wie ein gerichtlich bestellter Betreuer. Es seien also in bestimmten Fällen weiterhin gerichtliche Genehmigungen erforderlich, etwa wenn darüber zu entscheiden sei, in einer Notfallsituation eine ärztlich angebotene, potenziell lebensrettende Maßnahme zu unterlassen. Für Raude ist das Notvertretungsrecht aufgrund seiner inhaltlichen und zeitlichen Beschränkungen kein Ersatz für eine individuelle Vorsorgevollmacht. Zudem erscheint ihr die im Zusammenhang mit dem Notverordnungsrecht vorgesehene ärztliche Dokumentationspflicht problematisch. Auf einem Formular solle der Arzt oder die Ärztin dokumentieren, dass und ab wann die rechtlichen Voraussetzungen für eine Notvertretung des Ehepartners gegeben sind. Nach Einschätzung der Notarin ist die gesetzlich vorgesehene Dokumentation nicht rechtswirksam, das heißt, die Vorlage des Formulars entbinde weiterbehandelnde Ärzte nicht von der Verpflichtung, das Vorliegen des Vertretungsrechts erneut zu überprüfen. Eine Entlastung des medizinischen Personals werde damit nicht erreicht. 

Verantwortung nicht abgeben

Die Ausführungen der ärztlichen Referenten zeigten, dass die Neuregelung im Betreuungsrecht im Behandlungsalltag wenig verändert. Die Aufhebung der Schweigepflicht bei Ehepartnern im Notfall ist für den Allgemeinarzt Dr. Peter Kaup kaum mehr als die rechtliche Bestätigung einer in den Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte schon lange „gelebten Realität“. Die Überprüfung im nunmehr für Ärzte direkt zugänglichen Zentralen Vorsorgeregister, ob möglicherweise eine Patientenverfügung vorliegt, ist für ihn derzeit noch wenig praktikabel in die ärztliche Telematikinfrastruktur eingebunden. Zudem lasse sich dort lediglich das Vorhandensein einer Vorsorgevollmacht feststellen; auf den Inhalt selbst könne nicht zugegriffen werden. Kaup plädierte für eine Anbindung der Verfügung „nahe am Patienten“, am besten auf der Versichertenkarte oder einer App.

Notfallmediziner Thomas Franke, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst in Mülheim an der Ruhr, bezweifelte, dass das neue Notvertretungsrecht des Ehepartners im Notarztdienst überhaupt Anwendung finden könne, „jedenfalls hat es in Notfallsituationen nur einen sehr begrenzten Anwendungsbereich“. Zur Verdeutlichung führte er das folgende Beispiel an: Eine Frau kollabiert ohne erkennbaren Grund. Der eingetroffene Notarzt stellt einen Herz-Kreislauf-Stillstand fest. Der Ehemann der Patientin teilt dem Notarzt mit, er wünsche nicht, dass seine Ehefrau reanimiert werde. Zwar könne, sagte Franke, der Ehemann qua Notverordnungsrecht auf das ärztliche Handeln einwirken, doch kollidiere dies in diesem Fall mit § 1829 Abs. 2 BGB, wonach die Genehmigung eines Betreuungsgerichts erforderlich ist, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Die Untersagung lebensrettender Maßnahmen durch den vertretenden Ehemann sei also mangels der erforderlichen gerichtlichen Genehmigung nicht zu beachten. Wichtig erscheint es dem Notfallmediziner, dass hier die ärztliche Verantwortung nicht aus der Hand gegeben wird; Angehörigen dürfe in einer solch emotional belastenden Situation nicht allein die Verantwortung aufgebürdet werden, sondern ärztliches Bestreben müsse die gemeinschaftliche Feststellung des Willens des Patienten sein.

Auch in der Klinik für Notfallmedizin gebe es im lebensbedrohlichen Notfall zunächst einmal kaum Behandlungsalternativen, betonte Dr. Ingmar Gröning vom Krankenhaus Maria-Hilf in Krefeld. Bei zumeist unsicherer Datenlage seien zunächst Stabilisierung und Schmerzlinderung vorrangig. Im Notfall bleibe keine Zeit, detektivische Nachforschungen zum Willen des Patienten oder der Patientin anzustellen. In dieser Situation helfe auch der Zugriff auf das Zentrale Vorsorgeregister nicht weiter, da die Inhalte der Verfügungen nicht abrufbar seien. Eine Befragung unter Kollegen habe zudem ergeben, dass gerade einmal die Hälfte über die nunmehr direkte Zugangsmöglichkeit zum Zentralen Vorsorgeregister informiert gewesen sei, niemand aber bisher diese Möglichkeit genutzt habe.