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Gesundheits- und Sozialpolitik

Krisentreffen in Berlin: KVen senden starkes Zeichen an die Politik

15.09.2023 Seite 21
RAE Ausgabe 10/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 10/2023

Seite 21

  • In Berlin forderte KVNO-Chef Bergmann eine nachhaltige Finanzierung der Weiterbildung des ärztlichen Nachwuchses.
  • Praxen schlagen Alarm: Um auf die eklatanten Missstände in der ambulanten Versorgung aufmerksam zu machen, fanden sich auf Einladung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung rund 800 Mitglieder aller Länder-KVen zu einer Krisensitzung in Berlin ein. © KBV
„Ein ‚Weiter so‘ ist keine Option!“ – im Rahmen einer Krisensitzung haben die Niedergelassenen am 18. August ein deutliches Zeichen an die Politik gesendet. Gemeinsam machten knapp 800 Ärztinnen und Ärzte in Berlin auf die eklatanten Missstände in der ambulanten Versorgung aufmerksam und erinnerten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach an nicht eingehaltene Versprechen.

von Christopher Schneider 

Mehrere hundert Ärztinnen und Ärzte aus dem gesamten Bundesgebiet, darunter fast 50 aus dem Rheinland, haben sich entschieden dafür stark gemacht, dass die chronische Unterfinanzierung der ambulanten Versorgung dringend ein Ende finden muss. Sie sind damit dem gemeinsamen Aufruf der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder und zahlreichen ärztlichen Berufsverbänden gefolgt, um in der Bundeshauptstadt im Rahmen einer Krisensitzung gegen aktuelle Missstände in der Patientenversorgung zu protestieren. Hierzu zählen neben der massiven Unterfinanzierung des ambulanten Systems der Fachkräftemangel im medizinischen Bereich und die Bevormundung der Haus- und Facharztpraxen bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens.

Erhöhter Bedarf an ärztlicher Weiterbildung

Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), fokussierte sich in Berlin auf das Thema Weiterbildung: „Die Praxen und das KV-System leisten an dieser Stelle eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sie in dem erforderlichen Umfang finanziell nicht mehr alleine stemmen können. Wir haben in den vergangenen fünf Jahren einen Zuwachs an Fördervolumen um fast 60 Prozent ermittelt. Das Gesamtbudget beträgt in Nordrhein aktuell über 56 Millionen Euro. Das sind Gelder, die die Ärzteschaft aus ihren erwirtschafteten Einnahmen bezahlt“, erklärte Bergmann.
Der Bedarf an ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten werde in den nächsten 20 Jahren dramatisch hoch sein. Wenn das System hier adäquat mit finanzieller Förderung gegensteuern würde, müsse die Förderung rund 70 Millionen Euro pro Jahr betragen. „Das sind 14 Millionen Euro mehr als wir zurzeit pro Jahr aufwenden“, sagte Bergmann. „Dies entspricht keiner soliden und gerechten Finanzierung der Ausbildung des ärztlichen Nachwuchses. Wir brauchen hier wie bei Lehrern oder Juristen eine staatliche Finanzierung der Ausbildung. Wir sind nicht nur die einzigen Freiberufler, die die Kosten für die Sicherstellung der Versorgung selbst zahlen müssen – wir sind auch die einzigen Freiberuflerinnen und Freiberufler, die regelhaft einen Rabatt auf ihre Vergütungen geben müssen.“

Weiter betonte Bergmann, dass die Weiterbildung durch niedergelassene Vertragsärztinnen und Vertragsärzte ein immens wichtiger Baustein im Gesundheitssystem sei, der noch massiv unterschätzt werde: „Durch die, nicht zuletzt auch politisch gewollte, zunehmende Ambulantisierung wächst der Bedarf an ambulanter Weiterbildung in allen Fachgebieten. Die Krankenhäuser sind schon heute faktisch nicht mehr in der Lage, alle notwendigen Inhalte der ärztlichen Weiterbildung in allen Fachgruppen anzubieten und zu vermitteln. Denn viele der entsprechenden Prozeduren finden gar nicht mehr stationär statt. Wesentliche Weiterbildungsinhalte können mithin nur noch ambulant vermittelt werden“, stellte Bergmann klar.

Budgetierung ist längst überholtes „Relikt“

Auch für die Budgetierung ärztlicher Leistungen fand der KVNO-Chef deutliche Worte: „Allein in Nordrhein sind zwischen Frühjahr 2022 und 2023 rund 347 Millionen Euro an Vergütungen für die hiesigen Haus- und Fachärzte nicht ausgezahlt worden. Weil das Budget dafür nicht ausreicht – das entspricht rund 85 Millionen Euro pro Quartal. Diese Zahl macht fassungslos! Gleichzeitig müssen wir pro Quartal zusätzlich 14 Millionen Euro für die Finanzierung von Weiterbildung aufwenden – Geld, das ebenfalls für die Auszahlung der Honorare fehlt. Wir brauchen dieses Geld dringend für unsere Praxisteams und können nicht weiter aus eigenem Vermögen zuschießen. Das ist indiskutabel und nicht anständig“, sagte Bergmann.  

Weltweit einmalige Versorgungsstrukturen

„Unsere ambulante flächendeckende wohnortnahe hausärztliche, fachärztliche und psychotherapeutische Versorgung ist weltweit einmalig. Damit diese Versorgung auch in Zukunft ohne Einschränkungen aufrechterhalten werden kann, müssen jetzt dringendst unsere Forderungen gehört und umgesetzt werden“, forderte Bergmann abschließend.

Christopher Schneider ist stellvertretender Pressesprecher der KV Nordrhein.
 

Das fordern die Praxen von der Politik:

  1. Tragfähige Finanzierung: Retten Sie die Praxen aus den faktischen Minusrunden und sorgen Sie für eine tragfähige Finanzierung, die auch in der ambulanten Gesundheitsversorgung insbesondere Inflation und Kostensteigerungen unmittelbar berücksichtigt!
  2. Abschaffung der Budgets: Beenden Sie die Budgetierung, damit auch Praxen endlich für alle Leistungen bezahlt werden, die sie tagtäglich erbringen!
  3. Ambulantisierung: Setzen Sie die angekündigte Ambulantisierung jetzt um – mit gleichen Spielregeln für Krankenhäuser und Praxen!
  4. Sinnvolle Digitalisierung: Lösen Sie mit der Digitalisierung bestehende Versorgungsprobleme. Sorgen Sie für nutzerfreundliche und funktionstüchtige Technik sowie die entsprechende Finanzierung und belassen Sie die datengestützte Patientensteuerung in ärztlichen und psychotherapeutischen Händen!
  5. Mehr Weiterbildung in Praxen: Stärken Sie die ärztliche und psychotherapeutische Weiterbildung! Diese muss – um medizinisch und technisch auf dem aktuellen Stand zu sein – schwerpunktmäßig ambulant stattfinden. Beziehen Sie auch hier die niedergelassene Vertragsärzte- und Psychotherapeutenschaft ein!
  6. Weniger Bürokratie: Schnüren Sie das angekündigte Bürokratieabbaupaket, damit wieder die Medizin im Vordergrund steht und nicht der „Papierkram“!
  7. Keine Regresse: Schaffen Sie die medizinisch unsinnigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen ab! Die Arzneimittelregresse müssen weg!