Am 8. September fand die Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) erstmals im neuen Service- und Beratungszentrum der KV in Köln statt. Hauptthema: der berufspolitische Status quo des ambulanten Systems.
von Christopher Schneider
Arztpraxen vor dem Kollaps: Gleich zu Beginn der Vertreterversammlung der KVNO wies deren Vorstandsvorsitzender, Dr. Frank Bergmann, auf die derzeitigen Missstände in der ambulanten Versorgung hin. Die große öffentliche Krisensitzung der niedergelassenen Ärzteschaft am 18. August in Berlin sei ein wichtiges und starkes Zeichen gegen die Schieflage in der ambulanten Versorgung gewesen, betonte er. Rund 50 Vertreterinnen und Vertreter der KV Nordrhein hatten dort vor Ort die sieben zentralen Forderungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und der Länder-KVen mit Nachdruck unterstützt (siehe auch „Krisentreffen in Berlin“ auf Seiten 21 f.). „Es war immens wichtig, dass wir auf die derzeitige Unterfinanzierung des ambulanten Systems, den Fachkräftemangel oder auch die Mängel bei der Digitalisierung öffentlich aufmerksam gemacht haben“, bilanzierte Bergmann bei der VV in Köln.
Kritik an der Bundespolitik
Insgesamt waren im August in Berlin 800 Funktionsträger aus der Vertragsärzteschaft zusammengekommen, um ihren Forderungen mit Blick auf die laufenden Honorarverhandlungen mit den gesetzlichen Krankenkassen Ausdruck zu verleihen. „Es ging dabei nicht um berufspolitische Partikularinteressen, sondern um die Zukunft der Vertragsärzteschaft insgesamt. Es ist nicht zu fassen, dass die absolut berechtigten Anliegen der niedergelassenen Vertragsärztinnen und -ärzte so wenig Beachtung finden“, sagte Bergmann. „Es kommen sehr herausfordernde Zeiten auf uns zu.“ Dazu gehörten Veränderungen in der Gesellschaft im Hinblick auf die demografische Entwicklung. Gleichzeitig veränderten sich die Strukturen in der ambulanten Versorgung, so werde etwa die ,Arztzeit‘ immer knapper, weil immer mehr Ärztinnen und Ärzte als Angestellte oder in Teilzeit arbeiteten.
Bisherige Maßnahmen reichten nicht aus, um den Status quo zu erhalten, zeigte sich der KVNO-Chef überzeugt. „Wir werden als Selbstverwaltung aber die richtigen Konzepte entwickeln – Teampraxen und Gesundheitszentren könnten hier ein Lösungsansatz sein.“
Digitalisierung mit praktischem Nutzen
Der KVNO-Vorstand forderte außerdem erneut eine sinnvolle und für die Praxen im Alltag entlastende Digitalisierung. „Unsere Praxen sind bereits zum Großteil digital organisiert und wir arbeiten bereits weitgehend digital“, betonte Dr. Carsten König, stellvertretender KVNO-Vorsitzender. Die momentanen Reformpläne des Gesetzgebers ließen für die Praxen allerdings „nichts Sinnhaftes erkennen“. Statt des von der Bundesregierung angekündigten Bürokratieabbaus, nehme die Belastung der niedergelassenen Vertragsärzteschaft künftig noch weiter zu – zum Beispiel bei der geplanten Anwendung der elektronischen Patientenakte (ePA). „Obwohl sie eigentlich automatisch befüllbar sein sollte, hat das Bundesgesundheitsministerium kürzlich selbst errechnet, dass das Befüllen teils mehrere Minuten dauern kann.
Hochgerechnet auf 50 Patientinnen und Patienten an einem Praxistag kommt da schon einiges an Zeit zusammen. Das wird klar zulasten der Behandlungszeit und somit auch der Patientinnen und Patienten gehen“, kommentierte König. Auch das eRezept habe in den Praxen bisher nicht zu unkomplizierteren oder zeitsparenden Abläufen beigetragen.
Vorbild: Antragsmanagement der KVNO
Wie Digitalisierung indes erfolgreich gelingen kann, zeigt sich KVNO-Vize König zufolge im digitalen Antragsmanagement der KVNO: „Wir werden bis Ende September voraussichtlich alle Anträge der Qualitätssicherung zur Online-Bearbeitung zur Verfügung stellen können. Dann folgen die Anträge für das Arztregister und des Zulassungsbereichs. Dies wird den Praxen nicht nur theoretisch, sondern tatsächlich viel Zeit ersparen.“
Neuauflage der Videosprechstunde im Kinder-Notdienst
Weiteres Thema bei der Vertreterversammlung der KVNO in Köln: der Blick auf die kommenden Infekt-Wellen in Herbst und Winter. Im kinderärztlichen Notdienst will die KVNO ihr erfolgreiches Angebot der ärztlichen Videosprechstunden wiederauflegen. Vom 24. Dezember 2022 bis zum 31. Januar 2023 hatten Kinderärztinnen und Ärzte aus der Region mittwochs, feiertags und am Wochenende digitale Erstberatungen durchgeführt, um die enorme Belastung der Kinderarzt- und Notdienstpraxen über den Jahreswechsel abzufedern. Damals wurden mehr als 2.300 Videosprechstunden durchgeführt. Fast der Hälfte der anrufenden Eltern konnte bereits im Rahmen der Online-Beratung abschließend geholfen werden, sodass die jungen Patientinnen und Patienten im Anschluss keine Notdienstpraxis beziehungsweise keine Notaufnahme zur weiteren Behandlung aufsuchen mussten. Das Fazit der KVNO: Nicht zuletzt in Zeiten starker Infektwellen erfüllt die Videosprechstunde eine wichtige Filterfunktion. KV-Vize König kündigte jetzt in Köln an, dass für den Zeitraum Dezember 2023 bis Ende Januar 2024 erneut zur besseren Steuerung und Entlastung der Praxen eine Kinder-Videosprechstunde im Rheinland eingerichtet wird.
Stockende Honorarverhandlungen
Im Anschluss an die VV diskutierte der KVNO-Vorstand zusammen mit dem Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, die aktuellen gesundheitspolitischen Herausforderungen. Thema waren unter anderem die momentanen Honorarverhandlungen auf Bundesebene. Gassen berichtete, dass die Positionen von Kassen und KBV derzeit noch weit auseinanderlägen. Ein grundsätzliches Problem dabei sei die gegenwärtige Honorarsystematik, die auf veralteten Daten gründet und die derzeitige Situation der Praxen nicht adäquat abbilde. „Dies muss dringend reformiert und durchbrochen werden. Dafür bräuchte es allerdings eine parlamentarische Mehrheit, die zum jetzigen Zeitpunkt illusorisch ist“, so Gassen. Der Aktionstag im August in Berlin sei ein starkes Signal gewesen, dass sich die Vertragsärztinnen und -ärzte nicht länger mit der Unterfinanzierung und weiteren, die Praxen belastenden Punkten, wie etwa Regressen oder der nicht praxisreifen Digitalisierung, abfinden wollten.
Zur Frage, wie es nach dem Protesttag nun weitergehen soll, sagte der KBV-Chef, dass hier nun das Bundesgesundheitsministerium am Zuge sei. Um Praxen aber schon sofort und spürbar zu entlasten, könne die Politik zum Beispiel die gerade eingeführten Sanktionen in der TI-Finanzierung von Praxen wieder zurücknehmen und bis Ende des Jahres eine echte Entbudgetierung der Hausärztinnen und Hausärzte auf den Weg bringen. An die VV-Delegierten appellierte Gassen, nicht nachzulassen und weiter mit Verve für ihre berechtigten Interessen einzutreten.
Die sieben zentralen Forderungen der KBV für eine zukünftige ambulante Versorgung sind hier zu finden: www.kbv.de/html/verhandlungen.php
Christopher Schneider ist stellvertretender Pressesprecher der KV Nordrhein.