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Der Weltärztebund: ethischer Kompass der ärztlichen Profession

15.09.2023 Seite 26
RAE Ausgabe 10/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 10/2023

Seite 26

Das Genfer Gelöbnis gehört zu den Kerndokumenten des Weltärztebundes. Auf dem Beratungstag wird es von den neuen Kammermitgliedern gemeinsam mit Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, gesprochen. © Jochen Rolfes
Der Weltärztebund setzt sich dafür ein, dass rund um den Globus in der Patientenversorgung die gleichen medizinethischen Prinzipien gelten. In Form von Deklarationen und Stellungnahmen versucht er, Ärztinnen und Ärzten weltweit ethische Leitlinien an die Hand zu geben.

von Marc Strohm 

Unter dem Eindruck der Gräueltaten in der NS-Zeit, bei denen auch Ärztinnen und Ärzte mitgewirkt hatten, wurde im Jahr 1947 der Weltärztebund (WMA, World Medical Association) gegründet. „Damals sollte das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die Ärzteschaft wiederhergestellt und darüber hinaus zukünftiges Fehlverhalten von Ärztinnen und Ärzten verhindert werden“, erklärt Dr. Ramin Parsa-Parsi, Leiter des Dezernats für internationale Angelegenheiten der Bundesärztekammer (BÄK) im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. In einer globalisierten Welt gebe der WMA den Patienten die Gewissheit, dass sie überall unter Beachtung der gleichen medizinethischen Standards behandelt werden. Aber nicht nur Patienten profitierten von der Arbeit des WMA. Auch wenn Ärztinnen und Ärzte durch ihre Berufsausübung in Bedrängnis gerieten, schreite der Weltärztebund ein. So drohten Ärztinnen und Ärzte in manchen Ländern beispielsweise staatliche Repressionen, wenn sie Menschenrechtsverletzungen ansprächen. Mit Stellungnahmen und öffentlichen Briefen an die jeweiligen Regierungen rücke der WMA solche Missstände ins öffentliche Bewusstsein. 

Bei der Erstellung von Grundsätzen und bei der Überarbeitung von Deklarationen gelte es, sich unter den aktuell 115 Mitgliedsorganisationen auf gemeinsame ethische Leitplanken zu einigen. Natürlich gebe es unter den Ärzten der Welt zum Beispiel kulturell oder religiös einen ebenso großen Pluralismus wie in den Staaten, aus denen sie stammen, weiß Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein und Vorstandsmitglied und Schatzmeister des WMA. In den meisten Fällen könne sich der WMA dennoch gut auf einen gemeinsamen ethischen Nenner verständigen. Global sei der Konsens groß, was den ethischen Kern der ärztlichen Arbeit ausmache. Die strittigen Themen, wie etwa beim ärztlich assistierten Suizid, bei ethisch begründeten Behandlungsgrenzen oder bei der Stammzellforschung werden auch hierzulande kontrovers diskutiert. Mehr und mehr Raum nehmen im WMA Themen wie Digitalisierung, der Umgang mit Künstlicher Intelligenz in der Medizin, aber auch Schutz vor Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte sowie Ärztegesundheit ein, erläutert Henke die Arbeit im Weltärztebund.

Die Kerndokumente des WMA

Das wohl bekannteste Dokument des Weltärztebundes ist das Genfer Gelöbnis, das die ethischen Prinzipien ärztlichen Handelns abbildet. In Deutschland ist es der (Muster-)Berufsordnung vorangestellt. In einigen Ländern werde das Gelöbnis den Medizinstudierenden nach Abschluss des Studiums ausgehändigt oder sogar gemeinsam gesprochen, so Parsa-Parsi. Als Leiter des BÄK-Dezernats für internationale Angelegenheiten war er unter anderem an der Überarbeitung dieses „modernen Hippokratischen Eides“ bis zur Fertigstellung im Jahr 2017 beteiligt. Die aktualisierte Fassung enthält neben einem Verweis auf die Patientenautonomie auch einen Aufruf zur ärztlichen Selbstfürsorge. Eine Studie, die im Zuge der Überarbeitung durchgeführt wurde, ergab jedoch, dass die weltweite Nutzung des Genfer Gelöbnisses hinter den Erwartungen zurückliegt. Allerdings habe der WMA Maßnahmen ergriffen, um das Genfer Gelöbnis auch über den Berufseintritt hinaus im Bewusstsein zu halten, sagt Parsa-Parsi. So werde das Gelöbnis vor jeder WMA-Vorstandssitzung und -Generalversammlung gemeinsam gesprochen, um sich vor einer Debatte den ethischen Kern ärztlichen Handelns vor Augen zu führen. 

Ein weiteres Kerndokument des Weltärztebundes sei die Deklaration von Helsinki, die ethische Grundsätze zur medizinischen Forschung am Menschen definiert und unter anderem das Arzneimittelgesetz in Deutschland mitgeprägt hat. Weltweit sei sie Vorgabe für klinische Studien und gelte vordringlich für forschende Ärzte. Dabei stärke die Deklaration die Rechte von Studienteilnehmern und schütze insbesondere vulnerable Gruppen.  
Weniger bekannt als die Deklaration von Helsinki und das Genfer Gelöbnis ist laut Parsa-Parsi der Internationale Kodex für Medizinethik. Dieses Dokument solle weltweit die ethischen Grundsätze der ärztlichen Berufsausübung normieren. Im Gegensatz zum Genfer Gelöbnis, das die ethischen Kernprinzipien in Kürze zusammenfasse, gehe der Medizinethik-Kodex tiefer ins Detail. So greife er beispielsweise die ärztlichen Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft auf. In der 2022 überarbeiteten Version sei er um die Punkte „Gerechtigkeit im Gesundheitswesen“, „Vereinbarkeit von Gesundheitsversorgung und Umweltverträglichkeit“ und „Fernbehandlung“ erweitert worden. 

Laut Parsa-Parsi werden diese drei Kerndokumente des WMA in einem Turnus von zehn Jahren auf Aktualität geprüft und gegebenenfalls überarbeitet. Bei den letztmaligen Überarbeitungen aller drei Dokumente war die Bundesärztekammer federführend tätig. Dies zeige, dass das internationale Vertrauen in die deutsche Delegation hoch sei, betont Parsa-Parsi. Durch ihr Engagement schärfe die deutsche Ärzteschaft ihr Profil und könne bei medizinethischen Themen gezielt Einfluss nehmen.