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Außerklinische Intensivpflege: Neuregelung führt zu Umsetzungsproblemen

15.09.2023 Seite 25
RAE Ausgabe 10/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 10/2023

Seite 25

Ab dem 1. November 2023 gilt die neue Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Sie zielt darauf ab, das Dekanülierungspotenzial bei tracheotomierten oder beatmeten Patientinnen und Patienten besser zu erheben. Probleme bei der Umsetzung sind allerdings absehbar.  

von Wilhelm Rehorn

Die außerklinische Intensivpflege wird neu organisiert. Im November 2021 hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die neue Außerklinische Intensivpflege-Richtlinie (AKI-RL) beschlossen. Damit wird die außerklinische Intensivpflege aus der Richtlinie zur häuslichen Krankenpflege herausgelöst und als eigenständige Leistung definiert. Ursprünglich sollte die Neuregelung ab Januar 2023 gelten. Doch aufgrund fehlender ärztlicher Kapazitäten entschied der G-BA Ende Oktober 2022, Verordnungen von Leistungen zur außerklinischen Intensivpflege weiter nach der Richtlinie zur häuslichen Krankenpflege bis zum 30. Oktober 2023 zu ermöglichen. Nun endet diese Übergangsregelung.

Die AKI-RL legt fest, in welchen Fällen eine außerklinische Intensivpflege ärztlich verordnet werden darf. Sie schreibt vor, dass bei allen tracheotomierten oder beatmeten Patienten sowohl vor der Entlassung aus dem Krankenhaus als auch anschließend in der ambulanten Versorgung von spezialisierten Fachärztinnen oder -ärzten eine sogenannte Potenzialerhebung vorgenommen werden muss. Das bedeutet konkret: Vor der Entlassung aus dem Krankenhaus müssen die Patienten von zwei Fachärzten mit der Zusatzbezeichnung Intensivmedizin untersucht werden, um festzustellen, ob ein kurzfristiges, mittelfristiges, langfristiges oder kein Dekanülierungspotenzial erkennbar ist.

Neu ist ebenfalls, dass die Krankenkassen mindestens 14 Tage vor der Entlassung informiert werden müssen, damit das Genehmigungsverfahren starten kann. Für dieses Verfahren sind die Kassen verpflichtet, ein Gutachten des Medizinischen Dienstes einzuholen.
Ist ein kurzfristiges Potenzial erkennbar, müssen die Versicherten in eine spezialisierte Klinik überwiesen werden. „Kurzfristig“ bedeutet, dass in den nächsten Wochen eine Dekanülierung möglich ist. Sollte ein mittel- oder langfristiges Potenzial erkennbar sein, also eine Dekanülierung in zwei bis sechs Monaten, können die Versicherten in die außerklinische Versorgung entlassen werden. In allen Fällen muss eine nahtlose Versorgung gewährleistet sein. Liegen die benötigten Kapazitäten am vorgesehenen Leistungsort nicht vor, müssen Maßnahmen zur Sicherstellung der ununterbrochenen Leistungserbringung ergriffen werden. 

Doch hier zeichnen sich deutliche Probleme ab: Bereits heute sind je nach Region weder Physio- oder Ergotherapeuten noch Logopäden in ausreichender Zahl vorhanden. Doch gerade bei Patienten mit einem mittel- oder langfristigen Potenzial kann die Dekanülierung nur durch eine begleitende intensive Logopädiebehandlung sichergestellt werden. 

Versorgung in Weaning-Zentren

Um die kontinuierliche Versorgung der Patienten zu gewährleisten, müssten sich die weiterbehandelnden Ärzte, Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten bereits vor der Entlassung aus der Klinik mit den Klinikärzten über die Behandlungshäufigkeit und den Behandlungszeitraum abstimmen. Nur so könnten, wie in der Richtlinie vorgeschrieben, die Therapeuten nahtlos nach Verlegung mit ihrer Arbeit beginnen. Die aktuellen Erfahrungen zeigen jedoch, dass Verzögerungen von 14 bis 30 Tagen keine Seltenheit sind.

Weiterhin ist geregelt, dass nach der Entlassung speziell qualifizierte Ärzte im Abstand von sechs Monaten persönliche Visiten vornehmen müssen, um das Dekanülierungspotenzial zu überprüfen. Zusätzlich müssen die verordnenden Ärzte unter anderem ein Netzwerk aller beteiligten Professionen aufbauen und regelmäßige Konsultationen abhalten. 

In den vergangenen acht Jahren wurden allein in Nordrhein mehr als 3.500 Patienten in der außerklinischen Intensivversorgung vom Medizinischen Dienst begutachtet. In diesem Jahr werden es voraussichtlich 700 Patienten sein. Diese Patienten müssen ab sofort zweimal jährlich persönlich von besonders qualifizierten Ärzten zusätzlich begutachtet werden. Das stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Denn aktuell (Stand 3.8.2023) stehen nur 36 zugelassene niedergelassene Ärzte für die Potenzialerhebung zur Verfügung.

Und es besteht ein weiteres Problem: Die spezialisierten Ärzte sind vor allem in den großen Zentren zu finden. Die Wohngemeinschaften (WG), in denen die Versicherten in der außerklinischen Intensivversorgung anzutreffen sind, befinden sich jedoch zumeist in der Peripherie. Das bedeutet einen großen Zeitaufwand je Visite.

Eine Alternative wäre eine sektorenübergreifende enge Zusammenarbeit mit den von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) zertifizierten Weaning-Zentren oder den zertifizierten neurologischen Rehabilitationskliniken. Diese könnten Patienten, die ein kurz- bis mittelfristiges Dekanülierungspotenzial aufweisen, übernehmen. Je nach Situation würde dann die Dekanülierung erfolgen, oder die Patienten, die einer längeren Erholungszeit bedürfen, würden in eine WG verlegt und dort bezüglich der Atem- oder Schluckstörungen weiter betreut werden. Zurzeit wird an einer niedrigschwellig zugänglichen Plattform gearbeitet, die die Übernahme in diese Zentren erleichtern wird.
Nordrhein kann von bestehenden Strukturen profitieren, die in anderen Bundesländern so nicht gegeben sind.  Schon heute gibt es in Nordrhein neun DGP-zertifizierte Weaning-Zentren, die diese Versorgung regional sicherstellen könnten.
Zudem wird der Medizinische Dienst Nordrhein weiterhin die Erstbegutachtung im Krankenhaus anbieten. Damit wird auch kleineren Krankenhäusern wie bisher die Möglichkeit der unkomplizierten Potenzialerhebung geboten werden. Dies ist mit den Krankenkassen in Nordrhein konsentiert.
Diese Vorteile sollten genutzt werden, um in Nordrhein eine optimale Versorgung für die schwer erkrankten Patienten zu schaffen. 


Dr. Wilhelm Rehorn ist als Referent beim Medizinischen Dienst Nordrhein tätig.