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Meinung

Von Äpfeln, Birnen und Faktenblättern

16.10.2023 Seite 3
RAE Ausgabe 11/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 11/2023

Seite 3

Rudolf Henke © Jochen Rolfes
Auf die Protesttage der Apothekerinnen und Apotheker und der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte im Sommer dieses Jahres, reagierte das BMG mit „Faktenblättern“. Diese hatten das Ziel, die Proteste als unbegründet abzustempeln. Als die Beschäftigten der Krankenhäuser am 20. September mit bundesweiten Kundgebungen auf die fehlende Refinanzierung der Tarifabschlüsse für 2024 und die weiterhin hohen Energiekosten im nächsten Jahr aufmerksam machten, reagierte das BMG ebenfalls wieder mit einem „Faktenblatt“. 

Dazu zwei Anmerkungen: Wenn über 100.000 Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen sich in der Bedrängnis sehen, gegen die aktuelle Gesundheitspolitik zu protestieren, um auf Nöte wie teure aber insuffiziente Digitalisierung, überbordende Bürokratie, fehlende Praxisnachfolger sowie fehlende Kompensation für steigende Energie- und Personalkosten hinzuweisen, dann ist es für einen Gesundheitsminister etwas knapp bloß mit Faktenblättern zu reagieren. Da würde man sich vielmehr Gespräche und direkte Kommunikation mit jenen Berufsgruppen wünschen, die für die gesundheitliche Daseinsversorgung der Bevölkerung eine Schlüsselrolle einnehmen. Kommunikation und Zuhören würden nämlich bedeuten, die Probleme wahrzunehmen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Stattdessen: Faktenblätter.

Nun ist gegen Fakten als solche nichts einzuwenden und sich an Fakten zu halten, ist auch nicht falsch. Falsch fühlt es sich aber an, wenn das BMG über sogenannte Faktenblätter der Öffentlichkeit suggeriert, dass Ärzteschaft, Medizinische Fachangestellte, Pflege, Apothekerschaft und weitere Berufe im Gesundheitswesen gar keinen Grund zur Beschwerde hätten, weil während der Coronazeit beispielsweise an die Krankenhäuser hohe Ausgleichszahlungen und Freihaltepauschalen geflossen seien und Praxisinhaber alleine mit den mehr als 97 Millionen Corona-Impfungen einen Mehrumsatz von insgesamt mindestens zwei Milliarden Euro erzielt hätten.
Zwar stimmen diese Fakten, doch was haben beispielsweise die Zahlungen für die Coronaimpfungen im Jahr 2021 mit der finanziellen Situation der ambulanten Versorgung von heute zu tun, die von Inflation und Tarif- sowie Energiekostensteigerungen aufgrund des Angriffskriegs Putins auf die Ukraine geprägt ist? Hier werden faktisch Äpfel mit Birnen verglichen, was bei der Lösung der Probleme leider zur Fehlanzeige führt. 

Was den Unmut der ärztlichen Kolleginnen und Kollegen in der ambulanten wie in der stationären Versorgung und in der verfassten Ärzteschaft weiter steigert, ist vor allem die fehlende Kommunikationsbereitschaft des Gesundheitsministers mit denjenigen, die täglich in der Versorgung stehen und erleben, wo unser Gesundheits-wesen verbessert werden könnte. Statt diesen Erfahrungsschatz gemeinsam für Reformen zu heben, wird den ärztlichen Körperschaften Lobbyismus und Geldgier vorgeworfen. Statt uns in Überlegungen einzubeziehen, wie in einer Gesellschaft des langen Lebens und der damit verbundenen steigenden Nachfrage von medizinischen Leistungen und gleichzeitigem Fachkräftemangel die ambulante medizinische Versorgung weiter gewährleistet werden kann, werden wir mit unausgegorenen Konzepten zu Primärversorgungszentren und Gesundheitskiosken konfrontiert. Gleichzeitig erleben wir, dass Versprechungen aus dem Koalitionsvertrag wie die Entbudgetierung der Hausärzte, Entbürokratisierungsmaßnahmen oder die Umsetzung der neuen Approbationsordnung nicht eingelöst werden. 

Die anstehenden Herausforderungen unseres Gesundheitswesens werden wir nur gemeinsam bewältigen. Die ärztlichen Körperschaften haben in der Vergangenheit mehrfach – wie bei der Krankenhausplanung in NRW – bewiesen, dass sie konstruktiv und mit viel praktischer Expertise Reformen prägen und befördern können. Im Sinne einer guten Patientenversorgung wäre es für den Bundesgesundheitsminister daher sicher ratsam, weniger auf Faktenblätter als auf die Expertise der Selbstverwaltung zu setzen.

Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein