Vorlesen
Meinung

Falsche Signale

17.05.2023 Seite 3
RAE Ausgabe 6/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 6/2023

Seite 3

Rudolf Henke © Jochen Rolfes

Ergebnisse einer Meta-Studie des Hamburger Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung zeigen: In Ländern, in denen Cannabis zu Genusszwecken freigegeben wurde, steigt der Freizeitkonsum an. Jugendliche müssen aufgrund von Cannabis verstärkt medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Erwachsene suchen häufiger Notaufnahmen wegen akuter cannabisbezogener Probleme auf. Sogar die Zahl der Verkehrsunfälle unter Cannabiseinfluss steigt. 

Trotz Kenntnis dieser von ihr selbst in Auftrag gegebenen Studie will die Ampelkoalition Anbau und Besitz von Cannabis begrenzt ermöglichen. So soll nach einem Gesetzentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium, der nun den anderen Ministerien zur Abstimmung vorliegt, Cannabis zunächst im privaten Bereich und in Anbauvereinigungen, sogenannten Cannabis-Clubs, freigegeben werden. Die Abgabe in speziellen Läden soll in einem zweiten Schritt zunächst in einigen Kommunen als Pilotprojekt erprobt werden.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach begründet den Gesetzentwurf mit Hinweis auf einen damit verbundenen besseren Jugend- und Gesundheitsschutz und der Austrocknung des Schwarzmarktes. Wie er zu dieser Kenntnis nach Studienlage kommt, erschließt sich mir nicht.
 
Die Legalisierung einer Droge ändert nichts an den Gesundheitsgefahren, die von ihr ausgehen. Eine Legalisierung setzt gegebenenfalls nur das fälschliche Signal, dass es sich um eine harmlose Substanz, ja wie Gesundheitsminister Lauterbach sagt, um ein Genussmittel handelt. Dass auch von legalen Drogen Gefahren, gerade für Kinder und Jugendliche ausgehen können, zeigen beispielhaft die Krankenhauseinweisungen von Kindern und Jugendlichen nach Rauschtrinken oder die Unfallstatistiken von Jugendlichen nach Alkoholkonsum. Wenn denn die Argumentation der Ampelkoalition stimmen sollte, dass Prävention und Jugendschutz bei einer legalen Droge einfacher seien, dann frage ich mich, warum wir immer noch rund 12.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland pro Jahr haben, die nach Alkoholkonsum vollstationär versorgt werden müssen und warum elf Prozent der Jugendlichen monatlich Rauschtrinken praktizieren?
 
Wie man angesichts dieser ungelösten Probleme, vor die uns die legalen Drogen schon heute stellen, als Gesundheitsminister auf die Idee kommen kann, nun noch eine weitere Droge durch die Cannabislegalisierung hinzuzufügen und diese mit besserem Kinder- und Jugendschutz zu begründen, wirft Fragen auf. Kinder und Jugendliche lernen am Modell. Wir wissen, dass Kinder aus alkohol- oder drogenbelasteten Familien als eine Hochrisikogruppe für die Entwicklung einer eigenen Suchterkrankung gelten. Kinder werden dreimal häufiger selbst zu Rauchern, wenn beide Elternteile rauchen. Und nun sollen Kinder zukünftig umgeben von einem cannabiskonsumierenden Umfeld aufwachsen und wie durch ein Wunder hiervon nicht beeinflusst werden?
 
Fakt ist, dass für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene besondere Risiken beim Cannabiskonsum bestehen, wodurch wir eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung für den Schutz dieser Gruppen haben. Statt Cannabis-Clubs flächendeckend zu ermöglichen, sollte ein Gesundheitsminister eher dafür Sorge tragen, dass es flächendeckend keine Schule mehr ohne Suchtprävention gibt.

Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein