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Meinung

Das Warten auf Reformen

14.12.2022 Seite 3
RAE Ausgabe 1/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2023

Seite 3

Rudolf Henke © Jochen Rolfes

Europa erlebt eine frühe Welle synchron verlaufender RSV- und Grippe-infektionen. Besonders viele Kinder kommen in diesem Winter erstmals gleichzeitig mit diesen Viren in Kontakt. Das ist – auch – eine Reaktion auf die unterbliebenen Infektionen infolge der Schutzmaßnahmen während der Coronapandemie. Denn die Schließung von Kindertagesstätten und Schulen und die Einhaltung von Abstandsgeboten hatten den Kontakt zu den Erkältungsviren unterdrückt. Jetzt sind Kinder-kliniken, Notaufnahmen und Kinderarztpraxen überlastet.

Wieder einmal trifft eine Erkrankungswelle auf eine Versorgungslage, die sich über die letzten Jahre nach und nach chronisch verschärft hat. So ist die Zahl der Kinderstationen in den Kliniken in den vergangenen 20 Jahren zurückgegangen, obwohl die Zahl der Kinder wieder gestiegen ist. Darüber hinaus haben viele Pflegekräfte wegen der belastenden und während der Coronapandemie noch einmal verschlechterten Arbeitsbedingungen ihre Tätigkeit quittiert. In der ambulanten Versorgung finden Kinder- und Jugendärzte zunehmend schwerer Praxisnachfolger.

Die Politik gibt sich über die problematische Versorgungssituation in Praxen und Kliniken teilweise überrascht. Das überrascht insofern, als der Betten- und Personalabbau und seine Ursache in der DRG-Systematik in den Kinderkliniken kein neues Thema ist. Auf zahlreichen Ärztetagen haben wir darauf hingewiesen. 

Am 2. Dezember hat die Ampel im Bundestag nun das Krankenhauspflegeentlastungsgesetz beschlossen. Immerhin sieht es kurzfristig für zwei Bereiche – die Pädiatrie und Geburtshilfe – zusätzliche finanzielle Mittel für die Jahre 2023 und 2024 vor. Für Kinderkliniken soll es 2023 und 2024 jeweils 300 Millionen Euro extra geben. In einem Korridor von 80 bis 100 Prozent erhalten die Kinderkliniken Geld, egal wie viele Fälle sie abrechnen. Damit ist der Einstieg in den Ausstieg aus der DRG-Systematik gemacht. Gut so. Und wir können nur hoffen, dass die nach Redaktionsschluss verkündete große Krankenhausreform den Ausstieg aus den Fallpauschalen für alle Bereiche zügig fortsetzt. Besonders hoffen wir zeitnah auf eine auskömmliche Finanzierung der Vorhaltekosten. Die Bundesländer müssen dann flankierend, wie in NRW bereits eingeleitet, die notwendigen Strukturveränderungen und Investitionen in der Krankenhauslandschaft vornehmen, um den ruinösen Wettbewerb zwischen den Kliniken zu beenden.

Für diesen Winter kommt das Gesetz, gerade was die aktuelle Versorgung von Kindern und Jugendlichen in den Kinderkliniken angeht, allerdings zu spät. Denn es fehlt hier und heute an ärztlichem und pflegerischem Personal sowie an Intensivbetten. Und wer das Thema Fachkräftegewinnung und -sicherung im nächsten Jahr nicht ebenfalls mit einem großen Wurf angeht, der wird am Ende immer wieder vor Versorgungsproblemen stehen, wie wir sie aktuell in den Kinderkliniken erleben.

Wer nicht bereit ist, in Ausbildung, Studien- und Arbeitsplätze zu investieren und wer nicht bereit ist, die uferlose und unsinnige Bürokratie in Kliniken und Praxen zurückzufahren, der wird in einer immer älter werdenden Gesellschaft erleben, dass das System zunehmend fragiler wird und zwar auf Kosten der verbleibenden Ärzte und Pflegekräfte, die in diesem Winter erneut die Versäumnisse der Politik und Kassen durch zusätzlichen Arbeitsaufwand kompensieren müssen. 

Ich wünsche uns daher für das Jahr 2023 parallel zu der dringend benötigten Krankenhausreform eine Gesundheitspolitik, die in allen Sektoren eine Patientenversorgung nach medizinischer Notwendigkeit ermöglicht und uns damit Arbeitsbedingungen, die uns unsere Freude an unserem Beruf erhalten. Ihnen liebe Kolleginnen und Kollegen wünsche ich ein privat und beruflich erfolgreiches neues Jahr 2023.

Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein