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Praxis – Arzt und Recht – Folge 138

Erste Kopie der Patientenakte ist kostenfrei

21.11.2023 Seite 21
RAE Ausgabe 12/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2023

Seite 21

Auf Vorlage des Bundesgerichtshofs (BGH) hatte sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Fragen der Auslegung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu beschäftigen und traf eine Entscheidung, die den Arbeitsalltag in vielen Arztpraxen verändern könnte: Ärztinnen und Ärzte müssen ihren Patienten auf Verlangen eine kostenlose Kopie der Patientenakte aushändigen (Urteil vom 26.10.2023, Az. C-307/22).

von Katharina Eibl und Dirk Schulenburg

Im vorliegenden Fall befand sich der Kläger bei der beklagten Zahnärztin in Behandlung. Er hatte den Verdacht, dass die Ärztin Fehler bei der Behandlung gemacht hatte. Um damit verbundene Haftungsansprüche geltend zu machen, verlangte er eine Kopie seiner Patientenakte.

Recht auf Einsichtnahme

Das Recht des Patienten, seine Krankenunterlagen einsehen zu können, folgt bereits aus dem mit dem Arzt oder der Ärztin geschlossenen Behandlungsvertrag. Der Patient hat dabei das Recht – ohne besondere Angabe von Gründen – in die ihn betreffenden Patientenunterlagen Einsicht zu nehmen (vgl. § 630g Abs. 1 BGB). Zugleich handelt es sich bei der Gewährung der Einsicht in die Krankenunterlagen auch um eine berufsrechtliche Pflicht des Arztes, welche in § 10 Abs. 2 Berufsordnung der Nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte (BO) abgebildet ist.
Anstelle (oder neben) einer Einsichtnahme kann der Patient auch die Überlassung von elektronischen Abschriften (vgl. § 630g Abs. 2 BGB) beziehungsweise die Überlassung von Kopien in Papierform verlangen. Ausdrücklich regelt § 630g Abs. 2 BGB, dass der Patient dem Behandelnden die entstandenen Kosten zu erstatten hat.

Einsichtnahme nach der DSGVO

Patientinnen und Patienten steht zudem ein Auskunftsanspruch nach Artikel 15 Abs. 3 DSGVO zu, der neben den genannten spezialgesetzlichen Regelungen steht. Bei diesem Auskunftsanspruch ist keine Übernahme der Kosten der Zusammenstellung und Übersendung der Daten vorgesehen. 

Wer trägt die Kosten? 

Nicht abschließend geklärt war mithin seit Inkrafttreten der DSGVO die Frage, wer die Kosten für Kopien der Patientenakte zu tragen hat. Im vorliegenden Fall war die Zahnärztin der Meinung, dass der klagende Patient dafür aufkommen müsse. Der Patient sah das anders. Er war der Ansicht, er habe Anspruch auf eine unentgeltliche Kopie und rief die deutschen Gerichte an.

Im ersten Rechtszug und in der Berufungsinstanz war er erfolgreich. Beide Entscheidungen beruhten auf einer Auslegung der anwendbaren nationalen Vorschriften im Lichte der Art. 12 Abs. 5 und Art. 15 Abs. 1 und 3 DSGVO. Der mit der Revision befasste BGH legte die Sache dem EuGH vor. Seiner Auffassung nach hing die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, wie die genannten Bestimmungen der DSGVO auszulegen sind.

EuGH: Keine Kosten für Patienten

Der EuGH entschied zugunsten des Patienten. Er urteilte, dass in der DSGVO das Recht des Patienten verankert sei, eine erste Kopie der Patientenakte zu erhalten, ohne dass ihm dafür Kosten entstehen. 
Dies gelte auch, wenn darin eingetragene persönliche Daten etwa vor Gericht gegen den Arzt verwendet werden könnten. Der Patient müsse sein Verlangen nicht begründen.

Anders sei der Fall gelagert, wenn der Patient bereits eine Kopie der Akte erhalten habe und eine weitere wünsche. Dann, so der EuGH, könne der Verantwortliche ein Entgelt für die Zurverfügungstellung verlangen.
Der EuGH begründet die Pflicht der Zahnärztin, unentgeltlich eine Kopie der Patientenakte zur Verfügung zu stellen, mit der Stellung der Ärztin. Als behandelnde Ärztin sei sie als Verantwortliche im Sinne der DSGVO für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten des Patienten einzuordnen. Selbst mit Blick auf den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Ärztin dürften die nationalen Regelungen dem Patienten nicht die Kosten einer ersten Kopie seiner Patientenakte auferlegen, hebt der EuGH hervor. 

Der EuGH urteilte, dass der Patient eine vollständige Kopie der Dokumente verlangen darf, die sich in der Patientenakte befinden, wenn dies für das Verständnis erforderlich ist. Dies schließe Daten aus der Patientenakte ein, die Informationen wie beispielsweise Diagnosen, Untersuchungsergebnisse, Befunde der behandelnden Ärzte und Angaben zu Behandlungen oder Eingriffen enthalten.

Einsichtsrechte Dritter

Eine dritte Person hat grundsätzlich nicht die Möglichkeit, in die Patientenunterlagen Einblick zu nehmen oder Kopien zu verlangen, es sei denn, der Patient hat dieser hierzu ausdrücklich eine Vollmacht erteilt oder es wird bestimmten Personen oder Einrichtungen gesetzlich ein Einsichtsrecht eingeräumt.

So können etwa Erben – sofern sie vermögensrechtliche Interessen geltend machen möchten – das Einsichtnahmerecht geltend machen (§ 630g Abs. 3 Satz 1 BGB). Daneben können die nächsten Angehörigen zur Verfolgung immaterieller Interessen (zum Beispiel zur Klärung der Todesursache in einem strafrechtlichen Verfahren) Einsicht nehmen (§ 630g Abs. 3 Satz 2 BGB). Voraussetzung für diese vorgenannten Rechte ist jedoch, dass der Einsichtnahme nicht der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des verstorbenen Patienten entgegensteht (§ 630g Abs. 3 BGB).

Da sich diese Rechte allerdings aus dem BGB und nicht aus der DSGVO ergeben, dürfte hier weiterhin die Verpflichtung bestehen, dass die Angehörigen die durch die Kopien entstehenden Kosten zu tragen haben. 


Dr. iur. Dirk Schulenburg, MBA, MHMM, ist Justiziar der Ärztekammer Nordrhein und Katharina Eibl, Fachanwältin für Medizinrecht, ist Referentin der Rechtsabteilung.