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Meinung

Digitalisierungsstrategie mit vielen Fragezeichen

20.03.2023 Seite 3
RAE Ausgabe 4/2023

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 4/2023

Seite 3

Rudolf Henke © Jochen Rolfes

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat am 9. März seine Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen vorgestellt. Er verspricht nicht weniger als den „Turbo-Schub“: Für die elektronische Patientenakte ist eine Opt-out-Lösung vorgesehen, mit dem E-Rezept soll es ab 2024 vorangehen. Geplant ist zudem, die Nutzung von Gesundheits- und Pflegedaten für Versorgung und Forschung sowohl im deutschen als auch im europäischen Gesundheitsdatenraum zu ermöglichen sowie in ländlichen Regionen durch Telemedizin und zusätzliche digital unterstützte Versorgungspfade einen besseren Zugang zu hochwertiger Versorgung zu schaffen. 

Soweit lässt sich das in dem vom BMG erstellten Papier „Gemeinsam digital – Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege“ nachlesen. Auch steht da geschrieben, dass die vorliegende Strategie allen Akteuren im Gesundheits- und Pflegewesen sowohl einen handlungsleitenden Kompass mit der Perspektive 2030 als auch konkrete Orientierung für das Hier und Jetzt bietet. Ob es da versteckte Zeilen gibt? Konkretes lässt sich nämlich nach unserer Lesart kaum entnehmen, bis auf den Punkt, dass die gematik künftig eine bundeseigene Digitalagentur werden soll. Ob das am Ende für mehr Praxistauglichkeit steht, da kann ich meine Zweifel nicht verschweigen. Denn schon heute besteht das größte Problem darin, dass bei der Entwicklung und Testung der digitalen Anwendungen im Gesundheitswesen und deren Umsetzung durch entsprechende Software die Anwender kaum zu Wort kommen. 
Nach Lauterbach sollen ab Ende 2024 alle Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) bekommen. Wer damit nicht einverstanden ist, muss aktiv widersprechen. Ein solches Opt-out-Verfahren hat auch der Deutsche Ärztetag 2022 in Bremen gefordert. Allerdings mit dem Zusatz, dass sie, die ePA, dann auch funktioniert, sprich die Sicherheit der Patientendaten gewährleistet und ein sicherer und einfacher Zugriff auf die in der ePA abgelegten Daten möglich ist. Inwiefern die geplante ePA zukünftig tatsächlich einen Nutzen für die Versorgung entfalten wird, wird daher sehr stark von den einzelnen Umsetzungsbestimmungen abhängen, die in einem Digitalgesetz und einem Gesundheitsdatennutzungsgesetz in den kommenden Monaten formuliert werden sollen. Doch es schwant einem nichts Gutes, wenn der Minister vorsorglich schon einmal sagt, dass man am Anfang ja auch einmal „PDFs oder Worddokumente“ in eine ePA einstellen könnte. Das ist übrigens auch jetzt schon möglich und entfaltet für sich genommen keinerlei Wirkung. Denn keine Ärztin, kein Arzt wird die Zeit haben, sich durch einen unstrukturierten Wust von PDFs zu scrollen. Auch die Frage welches Opt-out-Verfahren zum Einsatz kommen soll, Fragen zur Migration bereits vorhandener Daten und wer die Aufklärung der Patientinnen und Patienten über Nutzung oder Widerspruch übernehmen soll, bleibt im vagen. 


Digitalisierung ist kein Selbstweck, sondern sie muss einen direkten Nutzen für Patienten und die ihnen Hilfe leistenden Berufe im Gesundheitswesen entfalten. Am Beispiel der elektronischen Patientenakte heißt das: Sie muss eine praktikable Befüllung, einen einfachen Zugriff auf die in der Akte abgelegten, strukturierten Daten sicherstellen und gleichzeitig Sicherheit der Patientendaten gewährleisten. Auch dass valide aggregierte Daten für seriöse Versorgungs- und Forschungszwecke abrufbar werden, ist sicher für die Forschungsstandorte Deutschland oder Europa sinnvoll, aber der Weg dahin muss rechtssicher geebnet werden.
Auch hier kommt es auf die Umsetzung an. Nutzer einer elektronischen Patientenakte müssen einfach festlegen können, welcher Arzt oder welche sonstigen Nutzer auf welche Gesundheitsdaten zugreifen dürfen (granuläre Zugriffsrechte). Ein „Alles oder Nichts“, so hat es unsere Kammerversammlung bekräftig, ist der falsche Weg.


Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein