Patientinnen und Patienten brauchen heute und in Zukunft die Sicherheit, dass sie von Ärztinnen und Ärzten ihres Vertrauens behandelt werden. Und ebenso brauchen sie die Gewissheit, dass ihre Behandlung, ob in Praxis oder Klinik, grundsätzlich an ihrem Wohl und nicht an ökonomischen Zielen orientiert ist.
All dies scheint eigentlich selbstverständlich und doch sind diese Selbstverständlichkeiten in Gefahr. Ärztliches Handeln findet seit jeher im Spannungsfeld zwischen Medizin, Ökonomie und Ethik statt. Die sinnstiftende Richtschnur für uns Ärztinnen und Ärzte ist in diesem Gefüge die Orientierung am Patientenwohl, die einen sorgsamen Umgang mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen einschließt. In unserer Berufsordnung heißt es nicht umsonst an prominenter Stelle: „Ärztinnen und Ärzte dienen der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung. Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe. Er ist seiner Natur nach ein freier Beruf.“ Das muss unser Beruf unbedingt auch in Zukunft bleiben, denn Freiberuflichkeit sichert freie medizinische Entscheidungen.
Doch zurzeit sehen wir uns zunehmend mit Strukturen konfrontiert, die offen oder verdeckt versuchen, sowohl die ärztliche Entscheidung unter das Diktat betriebswirtschaftlicher Zielsetzungen zu stellen, als auch unsere Freiberuflichkeit dauerhaft einzuschränken. Seit Jahren sind Finanzinvestoren im deutschen Gesundheitssektor vor allem in Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten, Krankenhäusern und Rehakliniken sowie in Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) und Facharztpraxen auf dem Vormarsch. Ganz offen preisen sie beispielsweise die ambulante Versorgung als Anlagen- und Wachstumsmarkt mit Renditen deutlich über zehn Prozent an. Und sie kaufen mit dem Ziel, Marktmacht deutschland- und europaweit herzustellen. Das ist aus meiner Sicht eine Fehlentwicklung in einem aus Solidarmitteln finanzierten Gesundheitssystem. Denn wenn es in einer Region egal ist, an welche Tür ein Patient klopft, weil immer derselbe Konzern hinter der Praxis steht, engt das die freie Arztwahl und das Einholen von Zweitmeinungen ein.
Erstaunlich dabei ist, wie wenig dies politisch Beachtung findet. Dabei müssten Politik, Krankenkassen und Patientenschützer durchaus alarmiert sein, wenn das Zweitmeinungsverfahren, das seinerzeit zur transparenten, umfassenden und ausgewogenen Patienteninformation etabliert wurde, zukünftig durch Kettenmonopole in einigen Regionen sehr erschwert wird. Auch ist fraglich, wie ein Patient an eine Zweitmeinung gelangen soll, wenn für ihn nicht erkenntlich ist, welche Gesellschafter für die Betriebe der MVZ oder privaten Kliniken verantwortlich sind. Fehlende Angaben dieser Art sind meiner Ansicht nach mit dem Anspruch eines transparenten Gesundheitssystems unvereinbar und stehen dem Patienteninteresse entgegen.
Hier muss die Ampelkoalition im Sinne der Transparenz und zum Erhalt der freien Arztwahl gesetzgeberisch nachbessern. Eine wichtige Forderung hierzu hat 2018 der Gesundheitsausschuss des Bundesrats in seiner Stellungnahme zum Terminservice- und Versorgungsgesetz formuliert: „Anträge auf Zulassung eines MVZ sowie auf Genehmigung der Anstellung eines Arztes in einem zugelassenen MVZ müssen dann abgelehnt werden, wenn das MVZ eine marktbeherrschende Stellung erlangt. Diese kann dann angenommen werden, wenn ein oder mehrere MVZ unter gleicher Trägerschaft mehr als 50 Prozent der Arztsitze der jeweiligen Fachgruppe innerhalb des Planungsbereiches innehaben.“ Ausnahmen sollte es laut Bundesratsgesundheitsausschuss nur für Gebiete geben, für die der Landesausschuss Unterversorgung oder drohende Unterversorgung festgestellt hat. Das wäre nach meiner Auffassung ein erster wichtiger Schritt. Weitere müssen folgen.
Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein