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Forschungsobjekt: Astronaut

25.05.2022 Seite 16
RAE Ausgabe 6/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 6/2022

Seite 16

  • Mehr als ein Ausflug ins All: Über 100 Experimente hat Matthias Maurer während seiner Mission auf der internationalen Raumstation durchgeführt, darunter Untersuchungen zum sogenannten Spaceflight Associated Neuroocular Syndrome (SANS). © NASA/ESA
  • Mit einer Augenlinse nahm Maurer dazu Bilder seiner Netzhaut auf der ISS auf. So werden Augenveränderungen und -bewegungen erfasst, untersucht und ausgewertet. Zukünftig sollen mithilfe von künstlicher Intelligenz eventuelle Netzhautveränderungen von Astronautinnen und Astronauten automatisch erkannt werden. © NASA/ESA - M. Maurer
Anfang Mai hat der deutsche Astronaut Matthias Maurer nach sechs Monaten seinen Einsatz auf der internationalen Raumstation ISS beendet und ist zur Erde zurückgekehrt. In dem fliegenden Weltraumlabor suchen Astronautinnen und Astronauten gemeinsam mit Forschern aus der ganzen Welt nach Lösungen für globale Herausforderungen wie Gesundheit und Klimawandel. Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln forschte Maurer an Bord der ISS zum Beispiel zu Flüssigkeitsverschiebungen im Körper während der Schwerelosigkeit. 

von Jocelyne Naujoks

Es ist der 6. Mai 2022, als Astronaut Matthias Maurer an Bord einer Crew Dragon-Kapsel auf die Erde zurückkehrt. Insgesamt sechs Monate hat der Saarländer auf der Internationalen Raumstation ISS verbracht. Auf der Erde angekommen, fliegt Maurer umgehend weiter nach Köln. Nach der Landung auf dem militärischen Teil des Köln-Bonner Flughafens geht es für den Astronauten nicht nach Hause, sondern auf direktem Weg in das angrenzende Forschungszentrum :envihab des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln. Hier habe Maurer wie schon viele seiner Vorgänger die ersten Tage auf der Erde mit medizinischen Untersuchungen und wissenschaftlichen Experimenten verbracht, erzählt Professor Dr. Jens Jordan, der das Institut unmittelbar neben dem Europäischen Astronautenzentrum (EAC) leitet. Im Rahmen des sogenannten Direct Return werden die Astronautinnen und Astronauten nach vielen Monaten im All einerseits wieder an das Leben auf der Erde gewöhnt, andererseits setzen sie ihre Mission mit zahlreichen wissenschaftlichen Experimenten fort. Ärztinnen und Ärzte des Instituts untersuchen zum Beispiel, wie der Körper der Astronauten auf die Bedingungen im All reagiert hat und ob körperliche Veränderungen aufgetreten sind.

Für viele Probleme nur wenige Lösungen

„Im Weltall herrschen sehr harsche Umweltbedingungen, die sich von denen auf der Erde stark unterscheiden“, erklärt Jordan, der selbst Internist und klinischer Pharmakologe ist. Diese stellten den menschlichen Körper vor enorme Herausforderungen. Einer der großen Unterschiede zwischen dem Leben auf der Erde und im All sei die Schwerelosigkeit. Da der Körper auf die Schwerkraft ausgerichtet sei, reagiere er in der Schwerelosigkeit mit einer Reihe an Veränderungen, erklärt Jordan. „Muskeln und Knochen werden entlastet und bauen sich ab. Das Herz-Kreislauf-System wird weniger leistungsfähig.“ Zwei Probleme, die in der Raumfahrt schon länger bekannt sind. Trotzdem wirken entsprechende Gegenmaßnahmen nur bedingt und kosten vor allem viel Zeit. Zeit, die kostbar ist im Weltraum. Zwei Stunden pro Tag müssen die Astronautinnen und Astronauten trainieren. Völlig verhindern kann aber auch das intensive Training den Muskelabbau nicht. „Als die Raumfahrt noch in den Kinderschuhen steckte, waren die Astronauten nach ihrer Rückkehr fast komplett immobilisiert. Auch heute können wir dies mithilfe von Ernährung, Wasser- und Salzzufuhr sowie entsprechendem Training nicht vollständig verhindern“, erklärt Jordan. Nach ein paar Tagen auf der Erde normalisiere sich der Zustand allerdings wieder. „Wenn die Astronauten jedoch auf dem Mars aussteigen und nicht gehen können oder einen Ohnmachtsanfall erleiden, ist das ein Problem“, so der Institutsleiter mit Blick auf zukünftige Raumfahrtprojekte.  

Relativ neu sei die Entdeckung, dass in der Schwerelosigkeit Flüssigkeitsverschiebungen im Körper in Richtung Kopf zu einer Erhöhung des Hirndrucks führen können. Bei einigen Astronautinnen und Astronauten sei eine Veränderung des Augenhintergrunds festgestellt worden, wie sie bei einer Stauungspapille auftritt, jedoch ohne neurologische Beschwerden zu verursachen, berichtet Jordan. Doch anders als auf der Erde gebe es im All keinen Augenarzt, der die Untersuchung vornehmen könne. „Wir müssen Methoden entwickeln, die es den Astronautinnen und Astronauten erlauben, die Untersuchungen selbst durchzuführen.“ Aktuell fänden solche Experimente, die auch Maurer bei sich selbst durchgeführt habe, etwa vierhundert Kilometer von der Erdoberfläche entfernt statt - ein Katzensprung sozusagen. In einer solchen Entfernung sei mithilfe der Telemedizin medizinische Expertise von der Erde jederzeit verfügbar. „Die Astronauten können im Zweifelsfall mit einem Arzt sprechen, der bestimmte Untersuchungsmethoden per Videoübertragung steuern kann. In dem Moment aber, in dem Raumfahrt auf dem Mond oder Mars stattfindet, sind die Funksignale so stark verzögert, dass wir autonome Systeme brauchen, die zum Beispiel selbst Diagnosen stellen können“, nennt Jordan nur eine der vielen Herausforderungen der Weltraummedizin. 

„Vieles ist im Weltraum schlichtweg nicht möglich.“

Eine weitere Belastung für die Astronauten sind dem Internisten zufolge die Isolation und das Eingesperrtsein auf engem Raum. „Es lässt sich vor dem Start einer Mission nur schlecht einschätzen, wer besser und wer schlechter damit umgehen kann oder wie ein Team zusammengesetzt sein muss, um die Isolation besser zu ertragen. Es gibt aktuell auch keine Gegenmaßnahmen, mit denen wir die Auswirkungen der Isolation auf die Raumfahrenden abmildern können“, sagt Jordan. Die Psyche der Astronautinnen und Astronauten spiele eine enorme Rolle für den Erfolg einer Mission. Nicht nur ihre psychische, auch ihre physische Gesundheit leide, wenn zum Beispiel die Motivation fehle, um jeden Tag zu trainieren. Dann sei nicht nur die Sicherheit des Teams, sondern die gesamte Mission gefährdet.
Ziel sei es daher herauszufinden, was genau im Körper passiere und geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. „Wir wollen wissen, ob es Prädikatoren gibt, die auf gewisse Risiken frühzeitig hinweisen und wie und wo wir ansetzen können, um die Auswirkungen der Umweltbedingungen auf den Menschen möglichst gering zu halten“, sagt Jordan. Dabei stelle die Raumfahrt die medizinische Forschung vor enorme Herausforderungen. „Wir sind sehr eingeschränkt in unseren Untersuchungsmethoden. Schon eine Blutabnahme ist im Weltall nicht mehr trivial, da die Astronauten sie selbst vornehmen müssen.“ In der Raumfahrtmedizin müsse man sich traditionell behelfen. Und vieles sei im Weltraum schlicht nicht möglich. „Wir entwickeln daher Modelle, mit denen wir die Menschen auf der Erde in Umgebungsbedingungen versetzen, die denen im Weltraum ähnlich sind. Gleichzeitig erforschen wir Methoden, mit denen wir diese Menschen sehr genau untersuchen und schon subtile physische und psychische Veränderungen nachweisen können.“ 
 

Kopfüber für die Raumfahrtforschung

Ein Beispiel dafür sei die Bettruhestudie, bei der zwölf Studienteilnehmer im luft- und raumfahrtmedizinischen Forschungslabor :envihab 30 bis 60 Tage in 6 Grad-Kopftieflage im Bett liegen, berichtet Jordan. „Wie im Weltall werden hier Muskeln, Knochen und Herzkreislaufsystem entlastet und es findet eine Flüssigkeitsverschiebung zum Kopf hin statt. Wir simulieren Veränderungen, wie sie im Weltall stattfinden und können detaillierte Untersuchungen durchführen“, erklärt Jordan. Gleichzeitig testet das Team des :envihab auch Gegenmaßnahmen. Eine Idee sei, mithilfe einer Kurzarm-Human-Zentrifuge im All künstlich Schwerkraft zu erzeugen. Die Forschungsmöglichkeiten im Institut helfen laut Jordan auch dabei, Fragen der medizinischen Grundlagenforschung zu beantworten. „Das relevante Modell in der Medizin ist der Mensch. Und wir können Untersuchungen beim Menschen machen, die woanders nicht möglich sind.“

Im Weltraum arbeiten die Astronautinnen und Astronauten in Schichten. Der Tag ist stark durchgetaktet, die Arbeitsbelastung hoch. Viele und ständige, laute Geräusche und der fehlende Tag-Nacht-Rhythmus bringen die innere Uhr der Astronauten durcheinander, berichtet Jordan und fügt hinzu: „Astronauten schlafen nicht liegend auf einer Matratze. Sie flotieren auch im Schlaf frei im Raum.“ Das störe den Schlaf. Ähnliche Probleme gebe es in der Luftfahrt, sagt Jordan. „Schichtarbeit, Jetlag und Schlafmangel gefährden die Gesundheit und Sicherheit des fliegenden Personals.“ Die Forschung des Instituts hat bereits ergeben: Manche Menschen halten Schlafmangel besser aus als andere. „Doch obwohl Menschen sehr unterschiedlich auf Schlafmangel reagieren, funktionieren Schichtsysteme pauschalisiert, nicht individualisiert“, erklärt Jordan. Ein Problem, dass viele Menschen auf der Erde mit Beschäftigten in der Luftfahrt teilen. Laut Jordan mindern all diese Faktoren die kognitive Leistungsfähigkeit und erhöhen die Fehlerhäufigkeit. Dazu kommen gesundheitliche Folgen wie Stoffwechselstörungen. „Die Forschungsergebnisse, die wir hier für die Luft- und Raumfahrt gewinnen, lassen sich auch auf Schichtarbeitssysteme in anderen Berufen übertragen.“  

Forschung auf Erdlinge übertragbar

Auch die Folgen von Isolation und mögliche Gegenmaßnahmen seien Themen, die nicht ausschließlich für die Luft- und Raumfahrt relevant sind, sagt Jordan und meint damit nicht nur die soziale Isolation in der Coronapandemie. Ältere Menschen seien oft sozial isoliert. Auch sie könnten von den Forschungsergebnissen des Instituts profitieren. Jordan nennt das ein „Voneinander lernen“. Denn die Forschung des Instituts komme nicht nur einer relativ kleinen Gruppe von Menschen im All zugute, sondern auch Menschen auf der Erde. „Viele unserer Forschungsergebnisse lassen sich für die Menschen auf der Erde übersetzen“, so Jordan. Gleichzeitig lernten die Raumfahrt-Wissenschaftler viel von bestimmten Patientengruppen. Jordan verweist auf eine Studie, die die Forscher des Instituts gemeinsam mit der Kinderkardiologie der Universitätsklinik Bonn und der University of Texas Southwestern durchführen. Dabei simulieren die Forscherinnen und Forscher im :envihab Umweltbedingungen, wie sie zum Beispiel hoch in den Bergen oder in der Luftfahrt vorherrschen. Sie wollen herausfinden, ob Menschen mit nur einer funktionierenden Herzkammer in der Lage sind, den Sauerstoffgehalt im Körper unter solchen Bedingungen aufrecht zu erhalten. Immer mehr Kliniken nutzen die Möglichkeiten, die das Forschungszentrum ihnen bietet und greifen auf die Expertise des Instituts zurück, erzählt Jordan. „Kolleginnen und Kollegen aus der Klinik machen bei uns Forschungsaufenthalte. Wir sind auch dabei, uns immer mehr zu vernetzen und arbeiten gerade mit den Unikliniken in Nordrhein-Westfalen eng zusammen.“