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Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission – Folge 129

Verkennen einer Lungenembolie

15.12.2021 Seite 26
RAE Ausgabe 1/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2022

Seite 26

Eine Vielzahl unspezifischer Thorax- und Atembeschwerden gibt im klinischen Alltag Anlass, an die Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie zu denken [1]. Validierte Scores zur Ermittlung der klinischen Wahrscheinlichkeit (beispielsweise Wells Score) können dabei genutzt werden. Im Falle einer erniedrigten arteriellen Sauerstoffsättigung muss diese Differenzialdiagnose unbedingt bedacht und abgeklärt werden [7, 8, 9, 10]. Eine Lungenembolie stellt immer eine Notsituation dar, die einer sofortigen Behandlung bedarf. Eine klinische Untersuchung und eine Duplex-Sonografie der unteren Extremitäten des Patienten zum Aufdecken einer womöglich asymptomatischen tiefen Beinvenenthrombose ist in diesem Zusammenhang zwingend erforderlich [6].

von Michael Roesgen, Daniel Frank, Hans-Willi Laumen und Beate Weber

Die Gutachterkommission hatte sich in der Vergangenheit schon häufiger mit dem Vorwurf einer nicht erkannten tiefen Beinvenenthrombose und/oder Lungenembolie zu befassen. In den abgeschlossenen Begutachtungen des Fünfjahreszeitraumes von 2016 bis 2020 bestätigte sich in neun von 28 Fällen der Vorwurf, eine tiefe Beinvenenthrombose verkannt zu haben. Mit neun Fällen relativ häufiger berechtigt waren die 19-mal erhobenen Vorwürfe zur Verkennung einer Lungenembolie (siehe Tabelle 1).
Über einen Fall wollen wir nachfolgend exemplarisch berichten.

Ein knapp 70-jähriger Patient wirft den von ihm im Verfahren vor der Gutachterkommission belasteten Orthopäden vor, dass sie nach der Implantation einer Knie-TEP und einer nachfolgenden Revisionsoperation eine Lungenembolie nicht erkannt hätten. Man habe ihn in die Reha-Behandlung entlassen, ohne dass eine Überprüfung der von ihm mehrmals bei den Visiten geklagten Luftnot stattgefunden habe. Er habe der Physiotherapeutin berichtet, dass beim Aufstehen aus dem Bett starke Luftnot aufgetreten sei. Er habe nur eine kurze Gehstrecke auf dem Flur zurücklegen können und sei wegen Luftmangels im Rollstuhl zum Bett zurückgefahren worden. Am Tag vor der Entlassung sei die Luftnot sehr groß gewesen. Man habe zwar ein EKG gefertigt und ihm Sauerstoff verabreicht, ihn aber ohne weitere Maßnahmen in die Reha-Klinik verlegt. Dort habe man als Ursachen für seine Luftnot unmittelbar eine Lungenembolie und Thrombosen in den Beinen festgestellt. Durch die Therapieverzögerung sei eine Zustandsverschlechterung eingetreten.

Die belasteten Orthopäden bestreiten in ihrer Stellungnahme die Vorwürfe. Der Patient habe im gesamten stationären Verlauf eine sachgerechte Thromboseprophylaxe bis zur Entlassung erhalten. Gegenüber einer Physiotherapeutin habe er zwei Tage vor der Entlassung ein internistisches Konsil angefragt, da er seit der Operation eine vermehrte, allerdings bereits vorbestehende, Kurzatmigkeit bemerkt habe. Daraufhin sei am folgenden Tag ein EKG veranlasst worden, welches, wie auch der Troponin T-Wert, unauffällig gewesen sei, sodass man den Patienten wie geplant in die Reha-Behandlung habe verlegen können. Beim Entlassungsgespräch habe der Patient einen unauffälligen klinischen Befund gezeigt.

Sachverhalt


Der Patient stellte sich Anfang November 2019 in der belasteten orthopädischen Klinik mit seit Jahren bestehenden Beschwerden im Kniegelenk mit maximaler Gehstrecke von 100 Metern zur vereinbarten Knieendoprothese bei Gonarthrose vor. Als relevante Nebendiagnosen bestanden eine Koronare Dreigefäßerkrankung mit Z. n. vierfacher Stent-Versorgung acht Monate zuvor und alter Infarktnarbe. Die kardiologische Untersuchung sechs Wochen zuvor hatte ein gutes Langzeitergebnis ohne Hinweis auf eine belastungsinduzierbare Ischämie und eine gut eingestellte arterielle Hypertonie gezeigt. Der geplante Eingriff wurde vom Kardiologen – bei erhöhtem perioperativen Re-Infarktrisiko – als möglich eingeschätzt. Zudem bestand ein Metformin-geführter Diabetes mellitus Typ 2. Weiterhin bestand eine Adipositas mit einem BMI von 41,8. Aufgrund der Vorerkrankungen erfolgte eine Einschätzung als Hoch-Risiko-Patient. Die seit der Stenteinlage bestehende Clopidogrel-Dauertherapie wurde zuvor zeitgerecht pausiert, die ASS 100-Therapie sollte perioperativ fortgeführt werden.

Der OP-Bericht schildert einen regelrechten Verlauf der Knieoperation. Die oberhalb am Oberschenkel angelegte pneumatische Blutsperre wurde nur zum Zeitpunkt der Zementierung der Komponenten kurzzeitig auf 300 mmHg gefüllt. Postoperativ war der Patient zunächst so agitiert, dass es akzidentell zum Ausriss der tiefen Redondrainage aus dem Kniegelenk kam. Der Patient beklagte im postoperativen Verlauf immer wieder starke Schmerzen, die allenfalls „erträglich“ auf die Analgesie ansprachen. Am zweiten postoperativen Tag wurde er auf die Bettkante mobilisiert und war dann nach Mobilisation durch die Physiotherapeuten am Rollator mobil. Am Abend des dritten postoperativen Tages entwickelte der Patient leicht erhöhte Temperatur. Das Knie wurde als gerötet und angeschwollen befundet. Anderntags wurde vermerkt: „Patient eigenständig gehstockmobil, hat noch sehr starke Schmerzen“. Am sechsten postoperativen Tag erfolgte eine operative Revision. Der Operationsbericht beschreibt ein massives älteres Hämatom, welches ausgeräumt wurde. Die klinischen Parameter zeigten sich intraoperativ und im Aufwachraum stabil. Vermerkt wurde „DMS intakt…“. Die intraoperativ entnommenen Abstriche blieben steril, sodass die Antibiotikaprophylaxe abgesetzt wurde.
 
Am Morgen nach der Revisionsoperation ist notiert, dass der Patient blass wirke, die Sättigung erniedrigt sei, die anliegende Sauerstoff-Insufflation belassen und die  Mobilisation des Patienten erneut langsam gesteigert werden solle. Am Folgetag wurde der Patient vormittags und um 19 Uhr auf der Bettkante mobilisiert. Die Blutdruckwerte wurden mit 110/70 mmHg und 140/70 mmHg bestimmt. Die Sauerstoffsättigung betrug an diesem Tag um 19 Uhr 83 Prozent trotz der Gabe von zwei Litern Sauerstoff pro Minute durch die Nasensonde.
 
In der ärztlichen Visitendokumentation sind für den siebten und achten postoperativen Tag „Schmerzen“ notiert, weiterhin „Vitalwerte o.k., periphere Durchblutung, Muskulatur und Sensibilität intakt. Patient wünscht keine O2 Gabe“. Am neunten postoperativen Tag wurde im Pflegebericht eingetragen, dass das Schienbein gerötet sei und sich warm anfühle. Zwei Tage später wurde ärztlicherseits die Diagnose einer „Stauungsdermatitis“ gestellt. In den Folgetagen trägt die Wunde noch blutig aus. Eine Antibiotikaprophylaxe wurde veranlasst. Am 14. postoperativen Tag wurde eingetragen, dass die Rötung am Schienbein rückläufig und der Patient am Rollator mobilisiert sei. Es wurde an diesem Tag eine Leukozytose von 12.500 auffällig. Allerdings war ein erhöhter CRP-Wert vom siebten postoperativen Tag von 18,8 mg/dl bereits auf 10,8 mg/dl gefallen (Norm < 0,5 mg/dl). Die Thrombozytenzahl betrug 97.000 im Vergleich zu einem Anfangswert von 347.000 und stieg am 18. postoperativen Tag wieder auf 121.000 an. Der INR-Wert lag mit 1,2 im Normbereich.
 
Am 18. postoperativen Tag wurde eine Messung der Sauerstoffsättigung von 89 Prozent und ein Blutdruck von 130/57 mmHg notiert, ohne dass der Anlass zur Bestimmung dieser Werte im Krankenblatt vermerkt wurde. An diesem Tag wurde der Patient im Treppenhaus unter Beisein der Krankengymnastin mobilisiert. In der Pflegedokumentation findet sich die Notiz, dass der Patient eine internistische Untersuchung wünsche. Er sei seit der Operation vermehrt kurzatmig. Er habe auch Schmerzen und ein Enge-Gefühl in der Brust. Um 14 Uhr gab der Patient keine akuten Beschwerden an, um 19 Uhr wurde eingetragen, dass der Patient klinisch unauffällig sei. Am nächsten Tag findet sich der Eintrag, dass sich der Patient um 18 Uhr nach dem Toilettengang mit Luftnot gemeldet habe. Der diensthabende Arzt sei informiert worden und habe eine Laboruntersuchung und ein EKG angeordnet. Um 19 Uhr wurde angeordnet, dass Sauerstoff mit vier Liter laufen solle. Die Sauerstoffsättigung betrug um 18:30 Uhr 85 Prozent und um 19.45 Uhr sowie um 22 Uhr jeweils 82 Prozent. Die Sauerstoffgabe mit vier Litern/Minute sollte auf Anordnung bis zum anderen Morgen weiterlaufen. Eine klinische Untersuchung des Patienten durch den diensthabenden Arzt ist in den Unterlagen nicht dokumentiert. Das EKG ergab keine vermehrte Rechtsherzbelastung, aber eine Herzfrequenz von 100/min.; der Troponin T-Wert lag unter 40/nl.

Am Folgetag, dem 20. postoperativen Tag, wurde um 8 Uhr notiert, dass der Patient ängstlich sei und sich Sorgen mache um die weitere Behandlung in der Reha. Notiert wurde nachfolgend: „Brustenge, jetzt unauffällige Klinik“. Weiterhin „Patient fühlt sich besser, ist nur bei Belastung etwas kurzatmig“. Gegen 11 Uhr wurde der Patient, wie zuvor geplant, vom Taxifahrer abgeholt und in die Reha-Klinik verlegt. Im Arztbrief wurde ausgeführt: „Es gab keinen Anhalt für eine Thrombose oder Embolie. Die periphere Durchblutung, Motorik und Sensibilität waren allzeit intakt“.
 
Im Aufnahmebefund der Reha-Klinik wurde ein reduzierter Allgemeinzustand bei adipösem Ernährungszustand aufgeführt. Zudem Atemnot schon nach wenigen Schritten, Kraftlosigkeit. Kein Husten, kein Auswurf. Die Sauerstoffsättigung wurde zwischen 89 und 91 Prozent bestimmt. Die D-Dimere wurden mit 17,07 mg/ml erheblich erhöht bestimmt (Norm < 0,15), der Troponin T-Wert betrug 72,24/nl und die Thrombozyten lagen bei 115.000. Im Thorax-CT wurden zentrale Lungenembolien beidseits und duplexsonografisch Oberschenkelvenenthrombosen beidseits festgestellt. Es erfolgte eine Antikoagulation mit Rivaroxaban. Der Patient konnte nach acht Tagen gebessert entlassen werden. Aufgrund einer erheblichen Rechtsherzbelastung wurde eine Wiederaufnahme der Reha von der Internistischen Klinik nicht befürwortet.
 

Beurteilung des Gutachters


Der Gutachter der Gutachterkommission stellte in seinem Gutachten fest, dass den Orthopäden ein Befunderhebungsfehler anzulasten sei. In der postoperativen Phase seien weder die klinischen Parameter ausreichend erhoben noch die Laborparameter nach dem zweiten Eingriff genutzt worden, um den Verdacht auf eine Lungenembolie beziehungsweise eine Thrombose bei – laut Patient – wiederholt beklagter Luftnot und mehrfach erhobener erniedrigter Sauerstoffsättigung auszuschließen. Eine differenzierte klinische Untersuchung der unteren Extremität bezüglich Schwellung, Tastbefund oder Auslösen von Schmerzen wurde ebenso wenig dokumentiert wie eine duplexsonografische Untersuchung der Beine. Diese wäre geeignet gewesen, eine Thrombose bereits im Frühstadium zu verifizieren. Auch eine Bestimmung der D-Dimere - wenn auch mit Einschränkungen aufgrund der wenige Tagen zuvor durchgeführten Operation – hätte als einfache Screening-Untersuchung einen Hinweis für das Entstehen einer Thrombose ergeben können. Auf eine internistisch-konsiliarische Zusatzuntersuchung sei fehlerhaft verzichtet und eine Röntgen- beziehungsweise CT-Diagnostik des Thorax nicht veranlasst worden. Wären die notwendigen Befunde erhoben worden, wären mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Thrombosen und die ihr folgende Lungenembolie nachgewiesen worden. Zeitnah hätte dann eine zielgerichtete Therapie erfolgen können. Wäre dies geschehen, hätte sich das akute cor pulmonale in dieser vital gefährdenden Ausprägung nicht entwickelt. 

Antrag auf ein abschließendes Gutachten


Die belasteten Orthopäden beantragten daraufhin ein abschließendes Gutachten der Gutachterkommission. Sie begründeten ihren Einspruch damit, dass aufgrund der Vor- beziehungsweise der Begleiterkrankungen des Patienten sehr genau auf die Einhaltung einer adäquaten Antikoagulation geachtet worden sei. Das EKG und die Bestimmung des Troponin T-Wertes am Tag vor der Entlassung hätten keinen Hinweis auf ein akutes kardiales Geschehen ergeben. Der Patient sei an den Tagen zuvor auch praktisch täglich auf Thrombosezeichen untersucht worden. Der Gutachter betrachte den Sachverhalt überwiegend aus einer ex-post-Sicht. Entscheidend sei aber eine ex-ante-Sicht unter Berücksichtigung der damaligen Kenntnisse und Befunde. Für die Bestimmung der D-Dimere oder die Veranlassung eines Thorax-CT habe es keine eindeutigen klinischen Hinweise gegeben. Zudem sei völlig unklar, welchen Schaden der Patient durch die angeblich verspätete Reaktion erlitten haben wolle. Letztlich stelle das Auftreten einer tiefen Beinvenenthrombose mit nachfolgender Lungenembolie nach einer korrekt vorgenommenen Knieoperation ein schicksalhaftes Ereignis dar.

Der Patient bekräftigte daraufhin seine Vorwürfe. Aus der Krankenakte sei ersichtlich, dass trotz der geschilderten zunehmenden Beschwerden eine entsprechende ärztliche Behandlung, eine Überprüfung oder Visitation nicht stattgefunden habe. Die Durchführung eines MRT, eines CT oder einer Duplex-Sonografie oder einer Phlebografie hätte ohne erheblichen Aufwand in der Woche vor der Entlassung zu der Erkenntnis einer Thrombose beziehungsweise einer Lungenembolie führen können. Wie sich aus den Pflegeberichten ergebe, sei es auch nicht richtig, dass er von wenigen Ausnahmen abgesehen „Wohlbefinden“ oder eine fehlende Beeinträchtigung geschildert habe. 

Beurteilung und Diskussion


Entsprechend seiner körperlichen Konstitution und Vorerkrankungen wurde der Patient von den belasteten Orthopäden korrekt als Hoch-Risiko-Patient, insbesondere kardial, eingeschätzt und unter anderem auf die Risiken einer Thrombose und eine Embolie hingewiesen. Entsprechend wurde leitliniengerecht zur Thromboseprophylaxe am OP-Tag Fondaparinux 10 mg verordnet und später auf Enoxaparin 40 mg ab dem fünften postoperativen Tag umgestellt.

Als hinweisende Zeichen für das Krankheitsbild einer Lungenembolie gelten plötzlich akute Atemnot, wiederholte Anfälle von Atemnot und/oder fortschreitende Atemnot. Diese Kriterien waren bei dem Patienten wiederholt erfüllt. Gemessen und im Krankenblatt mehrfach dokumentiert waren eine Pulsfrequenz von über 100 Schlägen pro Minute sowie ein über viele Tage anhaltender Abfall der Sauerstoffsättigung im Blut unter 94 Prozent, erstmals am sechsten postoperativen Tag im Rahmen der Revisionsoperation sogar auf 84 Prozent. Dazu kamen Beinschwellungen als Hinweis auf Thrombosen der Beine, die auch nach der Revisionsoperation fortbestanden, die kurz zurückliegenden Operationen einschließlich einer Revision bei ausgeprägtem Hämarthros sowie die beschriebenen patienteneigenen Risikofaktoren (Alter über 65 Jahre, Adipositas per magna und Diabetes mellitus Typ 2). Damit waren die PERC-Kriterien erfüllt, die eine Abklärung des Krankheitsbildes einer Lungenembolie erforderten [5, 7, 9, 10] und es bedurfte des Ausschlusses einer Thromboembolie der Beine, da ebenfalls die Kriterien des WELLS Scores mit drei Punkten erfüllt waren [6].

Insbesondere der anhaltende Abfall der Sauerstoffsättigung über mehrere Tage hätte zwingend einer Abklärung bedurft. Die angeordnete Sauerstoff-Insufflation über eine Nasensonde hatte nachweislich keinen Effekt auf einen Anstieg der Sauerstoffsättigung im Blut. Gerade die ausbleibende Reaktion auf die Sauerstoffgabe beweist, dass die Lungenfunktion dauerhaft erheblich eingeschränkt war. Eine Kontrollbestimmung der Sauerstoffsättigung im weiteren Verlauf der Nacht oder in den Morgenstunden des 20. postoperativen Tages vor der Verlegung erfolgte fehlerhaft nicht.
 
Der harsche Abfall der Thrombozytenwerte am 14. postoperativen Tag, wobei in den Tagen zuvor diese Blutbildwerte nicht bestimmt worden waren, hätten schon früher einen pathognomonischen Hinweis auf ein thrombotisches Geschehen geben können. Die Thrombozytenwerte blieben unbeachtet und ohne folgende diagnostische Konsequenz. Im Kommentar des untersuchenden Labors wurde auch auf den möglichen Verbrauch durch eine Infektion hingewiesen. Mit Entstehen einer Thrombose ist eine abakterielle entzündliche Reaktion verbunden. Der für die Eingrenzung eines pathologischen Geschehens der Fibrinolyse markierende D-Dimere-Wert hätte Hinweise geben können. Trotz der Schwellung in beiden Beinen vor und nach der Revisionsoperation wurden weiterhin fehlerhaft keine Screening-Untersuchungen zur venösen Durchblutungssituation veranlasst. Insbesondere die Duplex-Sonografie als einfach und sogar am Krankenbett durchführbare Methode wurde nicht ins Kalkül gezogen und fand nicht statt [6, 2]. Somit wurden die entscheidenden Untersuchungen für die differenzialdiagnostisch in Betracht zu ziehende Ursache der Luftnot in der postoperativen Phase nicht veranlasst.
 
Die Anhiebsdiagnose, wie sie nach der Verlegung in die Reha-Klinik von den dortigen Ärzten gestellt wurde, hätte bei Beachtung der bekannten Scores mehrere Tage zuvor in der operierenden orthopädischen Klinik gestellt werden müssen. Infolge der in mehrfacher Hinsicht fehlenden Befunderhebung ist der Patient vital gefährdet gewesen, sowohl im postoperativen Akutverlauf der Re-Mobilisierung als auch im Zusammenhang mit der Verlegung in die Reha Klinik.
 
Zuzustimmen ist der Argumentation der belasteten Orthopäden, dass trotz suffizienter Thromboseprophylaxe Beinvenenthrombosen entstehen können mit nachfolgender Embolie. Gerade in Kenntnis dieser möglichen schicksalhaften Komplikation befreit diese jedoch nicht von der Untersuchung und den aktiven Ausschluss dieser Komplikation. Hinweise für das Vorliegen einer schweren Komplikation gab es im Krankheitsverlauf mehrfach. Sie wurden nicht angemessen bewertet. Eine diagnostische, geschweige denn therapeutische Reaktion habe nicht stattgefunden.

Demnach liegen Befunderhebungsfehler sowohl in Bezug auf die Erkennung der tiefen Beinvenenthrombose als auch auf die Erkennung der Lungenembolie vor. Bei sachgerechter Befunderhebung hätten sich bereits frühzeitig ausreichende Hinweise ergeben. Eine Nichtreaktion auf diese Befunde wäre insbesondere im Hinblick auf die Lungenembolie als grob fehlerhaft zu bewerten gewesen. Der Patient hat, neben dem Ausmaß der Thrombose und deren möglicher Folge eines postthrombotischen Syndroms, infolge der zunächst unbehandelt gebliebenen Lungenembolie eine lebensgefährliche Zweitkomplikation erlitten mit der Folge einer dauerhaft eingeschränkten Lungenfunktion. Eine Soforttherapie hätte diese Folgen unter Umständen gänzlich verhindern, zumindest jedoch lindern können.

Privat-Dozent Dr. Michael Roesgen und Dr. Daniel Frank sind stellvertretende geschäftsführende Kommissionsmitglieder, Dr. jur. Hans-Willi Laumen ist stellvertretender Vorsitzender und Dr. Beate Weber ist die für die Dokumentation und Auswertung der Begutachtungen zuständige 
Referentin der Gutachterkommission.

Literatur

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[2]    J. Jerosch, J. Heisel, C.O. Tibesku. 11.1.4 Neurovaskuläre Komplikationen bei Knieendoprothetik, Springer Verlag Heidelberg, 2. Auflage 2015
[3]    IQTIG – Knie Endoprothesen Versorgung. Qualitätsindikatoren (2018)
[4]    A. Schellhaaß, A. Walther, St. Konstantinides, B.W. Böttiger. The Diagnosis and Treatment of Acute Pulmonary Embolism. Dtsch. Ärzteblatt Int 2010, 107 (34-35): 589-95;DOI: 10.3238/aerztebl. 2010.0589
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[6]    AWMF Leitlinien,Register Nummer 065-002 (2015): Venenthrombose und Lungenembolie: Diagnostik und Therapie, AWMF online Zugriff 27.09.2021
[7]    Freund,Y.; M. Aubry et al.: Effect oft he Pulmonary Embolism rule-out criteria on supsequent thromboembolic events among low risk emergency patients. JAMA 2018: 319, 6: 559 -566 doi: 10.1001/jama.2017.21904; Zugriff 27.09.2021
[8]    R. Meyer. Verdacht auf Lungenembolie: Unnötige Diagnostik vermeiden. Dtsch.Arztebl. (2018): 115 (11): A-483/B-422/C-422
[9]    lungenärzte-im-netz: Wie sich eine Lungenembolie auch ohne CT ausschließen lässt. www.lungenaerzte-im.netz.de/news-archiv/meldung/article (2018); Zugriff:27.09.2021
[10]    A.Penalozaet al. Pulmonary embolism rule-out criteria (PERC) rule in European patients with low implisit clinical probability (PERCEPIC): an multicentre, prospective, observational study. Lanset Haematol. (2017) 4,12: 615 -621. Doi.10.1016/S2352-3026/17)30210-7.Epub 2017 Nov. 14; Zugriff 27.09.2021