Vorlesen
Interview

„Organspende ist wertvoll und wichtig“

15.12.2021 Seite 25
RAE Ausgabe 1/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2022

Seite 25

„Hierzulande sind die Organspenderzahlen in der Coronapandemie nicht eingebrochen“, sagt Dr. Gero Frings. © SBK
913 Menschen haben im vergangenen Jahr nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. Zugleich standen nach Angaben der Deutschen Stiftung Organtransplantation 9.183 Patienten auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Um die Spendenbereitschaft zu erhöhen, sollen die Menschen künftig regelmäßig auf das Thema angesprochen werden, etwa beim Besuch des Hausarztes oder beim Einwohnermeldeamt. Eine gute Idee, findet der Transplantationsbeauftragte Dr. Gero Frings.

RÄ: Herr Dr. Frings, am 1. März tritt das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende in Kraft. Es sieht unter anderem vor, dass die Ausweisstellen den Bürgerinnen und Bürgern ab dann Aufklärungsmaterial über die Organspende und Spenderausweise aushändigen sollen. Was kann man damit bewirken?
Frings: Die Behörden sind Orte, an denen man Menschen direkt ansprechen und damit auch Impulse setzen kann. Um die Bürger zu erreichen, benötigt man aber griffiges und verständliches Informationsmaterial, das die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erstellt und regelmäßig aktualisiert. Es geht darum, die Botschaft zu transportieren, dass Organspenden wertvoll und wichtig sind. Wer sich dafür entscheidet, tut etwas Gutes. Wer sich nicht dafür entscheiden kann, tut aber auch nichts Schlechtes. Wir sollten plakativ für eine Entscheidung werben.

RÄ: Hausärztinnen und Hausärzte sollen künftig ihre Patienten alle zwei Jahre ergebnisoffen über die Organ- und Gewebespende beraten. Was versprechen Sie sich von dieser Regelung?
Frings: Die Hausärzte sind häufig die ersten Ansprechpartner der Patientinnen und Patienten, wenn es zum Beispiel um Patientenverfügungen geht. Da spielt auch das Thema Organspende hinein. Das sind oft zeitintensive Beratungsgespräche, die den Ärzten auch vergütet werden sollten. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass die Hausärzte dafür nun eine eigene Abrechnungsziffer erhalten. 
Viele, vor allem ältere Menschen, können sich gar nicht vorstellen, dass sie überhaupt noch als Organspender in Betracht kommen. Da ist es Aufgabe von uns Ärztinnen und Ärzten, den Menschen zu vermitteln: Es ist wichtig, die Bereitschaft zur Spende zu dokumentieren. Der Rest findet sich, wenn es soweit ist. 

"Wir sollten für eine Entscheidung werben."

RÄ: Das Thema Organspende soll nach dem Gesetz verstärkt in der ärztlichen Ausbildung verankert werden. Was sollte dort vermittelt werden?
Frings: Zurzeit ist es vom Engagement einzelner Hochschullehrer abhängig, welche Kenntnisse vermittelt werden. Deshalb würde ich es begrüßen, wenn das Thema Organspende Teil des Curriculums würde. In die Gestaltung der Lehrinhalte sollten idealerweise auch die Transplantationsbeauftragten eingebunden werden. Vermittelt werden sollten Grundlagen der Transplantationsmedizin, Aspekte der Spendererkennung und der Hirntoddiagnostik, das System der Organspende in Deutschland, Europa und der Welt, aber auch Chancen und Risiken der Transplantationsmedizin inklusive der ethischen Aspekte. 
Kenntnisse über die Organspende sollten im Übrigen auch in der Facharztweiterbildung strukturierter vermittelt werden. 

RÄ: Das Gesetz sieht vor, dass potenzielle Organspender künftig ihren Willen in einem Online-Register beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) dokumentieren können. Wie muss man sich das vorstellen? 
Frings: Geplant ist, dass alle Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, zu jeder Zeit in dem Register eine Erklärung zur Organ- und Gewebespende abgeben, ändern oder widerrufen können. Auf die Daten zugreifen können neben der Person selbst auch Ärzte oder Transplantationsbeauftragte, die dem BfArM von einem Krankenhaus als auskunftsberechtigt benannt wurden. Für die Sicherheit der Daten ist die Behörde verantwortlich.
 
RÄ: Was kann das Gesetz für die Spendenbereitschaft leisten?
Frings: Wie nachhaltig die Maßnahmen wirken, wird man wahrscheinlich erst in ein paar Jahren sehen. Allerdings zeichnen sich in Deutschland durchaus schon Verbesserungen ab. Im Gegensatz zu anderen Staaten in Europa sind hierzulande die Organspenderzahlen in der Coronapandemie nicht eingebrochen. Wir verzeichnen nur einen leichten Rückgang von zwei Prozent. Das ist für mich ein Signal dafür, dass Ärzte und Pflegekräfte auf den Intensivstationen die Organspende nicht aus den Augen verloren haben. Zu dieser besonderen Sensibilität hat sicherlich das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende von 2019 samt dem darauf aufbauenden Initiativplan beigetragen. Das hat insbesondere die Stellung der Transplantationsbeauftragten in den Krankenhäusern gestärkt. 
Hier in Nordrhein-Westfalen haben sich seither gut 80 ärztliche Transplantationsbeauftragte in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen. Wir wollen uns jetzt auch für die Pflegenden öffnen. Denn wir müssen uns besser austauschen und uns auch gemeinsam fort- und weiterbilden. Ich würde mir wünschen, dass es in Zukunft in jedem Entnahmekrankenhaus Teams aus ärztlichen und pflegerischen Transplantationsbeauftragten gibt. Dadurch würde sich auch der Zugang zu den Patienten und deren Angehörigen verbessern. 


Das Gespräch führte Heike Korzilius


Dr. Gero Frings ist Chefarzt und Transplantationsbeauftragter am St. Bernhard-Hospital in Kamp-Lintfort. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Transplantationsbeauftragten in NRW, Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer und des Beirates der „Selbsthilfe Organtransplantierter NRW“. Außerdem engagiert er sich im Beirat des „Netzwerk Organspende Nordrhein-Westfalen“.