Die letzte Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) im Jahr 2021 fand am 19. November in Hybridform statt. Die Delegierten nahmen digital oder in Präsenz an der Sitzung teil. Hauptthema waren einmal mehr die Impfungen gegen das Coronavirus und die oft unberechenbaren Vorgaben des Bundes.
von Christopher Schneider
Mitten in den Lagebericht des KVNO-Vorstandsvorsitzenden, Dr. Frank Bergmann, platzte die Nachricht aus Berlin, wonach das Bundesgesundheitsministerium die Bestellmengen des Biontech-Impfstoffs für Praxen erneut kontingentieren wolle – sehr zum Ärger von Vorstand und VV. „Das ist wieder ein Beispiel für die Unzuverlässigkeit der Politik und für die Praxis-Impfungen wie Sand im Getriebe – zumal Bund und Land ja mehr Einsatz von uns Ärzten erwarten“, sagte Bergmann. Bereits zuvor hatte er in seinem Lagebericht die jüngsten Entscheidungen der Bundesebene kritisiert, hier vor allem die Freigabe der Booster-Impfungen für alle über 18-Jährigen. Diese von der Politik initiierte „Beliebigkeit“ sei der Bedeutung der Sache aber unangemessen, die Praxen impften bereits im Eiltempo. Allerdings handele es sich bei den Impfungen nicht um eine „Bonus-Aktion des Staates“, sondern um die medizinische Entscheidung, wer die Auffrischimpfung am dringendsten benötige.
Ärztinnen und Ärzte werden das Boostern meistern
Den vom nordrhein-westfälischen Gesundheitsministerium ausgerufenen „Impf-Advent“ und die Impf-Sonderaktionen hiesiger Haus- und Fachärzte werde die KVNO intensiv unterstützen und bewerben. „Von einer Zurückhaltung der Praxen beim Boostern kann überhaupt keine Rede sein. Wir Ärzte werden diese große Aufgabe gemeinschaftlich und solidarisch meistern, wie bereits in den vergangenen fast zwei Jahren Pandemie mehrfach bewiesen. Extrem hilfreich wären dabei auch Impfstoffe in gebrauchsfertigen Einzeldosen, hier sind die Hersteller gefordert“, erklärte Bergmann. Ein entsprechender Antrag wurde von der VV einstimmig verabschiedet.
Corona-Bonus auch für MFA gefordert
Auch an einem weiteren Punkt wurde der KVNO-Chef deutlich: „Wovor wir uns verwahren müssen, sind zunehmende Pöbeleien und Drohungen gegen unsere Praxen und Mitarbeiter, dem muss Einhalt geboten werden“, betonte Bergmann. In diesem Kontext folgte die VV mit großer Mehrheit einem Antrag des Vorstands, der Staat und Justiz aufforderte, entschlossen rechtlich gegen Personen vorzugehen, die Impfärzte oder ihre Teams diffamierten oder gar persönlich angriffen. Als Anerkennung ihres großen Einsatzes in der herausfordernden Pandemiesituation forderte die VV zudem einen finanziellen Corona-Bonus für die in Praxen tätigen Medizinischen Fachangestellten (MFA) – analog zum bereits existierenden Bonus für die Pflegekräfte.
Bergmann berichtete der VV außerdem über die finanzielle Förderung von Infektionssprechstunden durch die KVNO, um unter anderem Covid19-Verdachtsfälle von Regelpatienten getrennt versorgen zu können. In den vergangenen Monaten wurde diese Förderung von im Schnitt gut 3.000 Praxen je Quartal in Anspruch genommen, die Fördersumme lag bei 4,8 Millionen Euro. „Das war und ist gut investiertes Geld. Diese Sprechstunden tragen in der Pandemie wesentlich zur Sicherung der ambulanten Grundversorgung bei“, sagte Bergmann. Die VV beschloss, die finanzielle Förderung der Infektionssprechstunden auch im ersten Quartal 2022 für den haus- und fachärztlichen Bereich fortzusetzen. Ebenso positionierte sich die VV klar zum wachsenden Versorgungsbedarf von Long-Covid-Patienten – hier wurde beschlossen, dass der hohe Mehraufwand bei der Behandlung künftig aus staatlichen Mitteln extrabudgetär honoriert werden soll.
Zu den weiteren Themen im Bericht des Vorstandsvorsitzenden zählte der Honorarabschluss mit den gesetzlichen Krankenkassen für das Jahr 2022. Auf Grundlage der Bundesvorgaben wird das ambulante Vergütungsniveau um insgesamt rund 73 Millionen Euro steigen. Über die Fortführung wichtiger regionaler Vereinbarungen – etwa zur Pflegeheimversorgung oder zur Förderung innovativer Notdienststrukturen im Rheinland – wurde ebenfalls Einigung mit den Kassen erzielt. Weitere Zahlen präsentierte nachfolgend Dr. Carsten König, stellvertretender Vorsitzender der KVNO, zum Schutzschirm, mit dem die KV seit 2020 pandemiebedingte wirtschaftliche Verluste von Praxen auffängt. Das Volumen der Ausgleichszahlungen belief sich im letzten Jahr auf insgesamt 66 Millionen Euro. Im Schnitt haben betroffene Praxen je 6.600 Euro erhalten. Pro Quartal waren es durchschnittlich 2.000 hiesige Praxen. Im ersten Quartal 2021 hat sich die Situation vergleichsweise entspannt, das Volumen der Ausgleichszahlungen belief sich „nur“ noch auf zwei Millionen Euro, besonders betroffen waren die Pädiater und die HNO-Ärzte mit einem Rückgang der Fallzahlen von über 15 Prozent.
Über 800.000 Euro an Spenden für die Opfer der Flut
Eine dringende finanzielle Unterstützung benötigten auch jene Praxen im Rheinland, die stark von der Flutkatastrophe im Juli betroffen und zum Beispiel durch massive Gebäudeschäden nicht mehr einsatzfähig waren und zum Teil immer noch nicht wieder in Betrieb sind. König berichtete den Delegierten, dass auf dem eigens eingerichteten Spendenkonto der KVNO fast 820.000 Euro eingegangen sind, neben etwa 1.500 Einzelspenden von Ärzten aus dem gesamten Bundesgebiet auch Großspenden der KVen Westfalen-Lippe und Thüringen. „Wir werden im November mit den Auszahlungen an die Geschädigten beginnen, die uns gegenüber nachweislich wirtschaftliche Bedürftigkeit oder eine persönliche Notlage dargelegt haben“, kündigte König an. „Mein ausdrücklicher Dank geht an alle, die in den letzten Wochen gespendet und große kollegiale Solidarität bewiesen haben.“
Deutlich kritische Töne gab es vom KVNO-Vorstand und der VV im Zusammenhang mit dem Thema Digitalisierung. Obwohl die vom Gesetzgeber geplante verpflichtende Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und des elektronischen Rezeptes (eRezept) – auch auf politischen Druck der KVNO – auf Ende Juni 2022 verschoben wurde, „besteht für Freude dennoch kein Anlass“, so König. Die per Gesetz vorgesehenen Honorarkürzungen für Praxen, die unverschuldet und nicht rechtzeitig zum dritten Quartal 2021 die technischen Voraussetzungen zur Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA) vorhalten konnten, werde die KVNO nicht vornehmen. König: „Auch bei der ePA gilt: Es fehlen vielerorts noch die technischen Voraussetzungen in den Praxen, wir werden unsere Mitglieder nicht für etwas sanktionieren, was sie nicht zu verantworten haben“. Die VV-Delegierten fassten mehrheitlich Beschlüsse unter anderem zum Datentransfer in der Telematikinfrastruktur (TI), zu einem Moratorium bei der weiteren TI-Umsetzung sowie zur Aussetzung von damit verbundenen Strafzahlungen. „Zuerst müssen die bislang vorgeschriebenen Anwendungen auf Herz und Nieren geprüft werden, bevor sie in den Praxisalltag kommen“, machte König deutlich. Die VV verabschiedete zudem eine Resolution, die die gesetzlichen Krankenkassen auffordert, die Kosten für die TI-Erstausstattung auch für Neupraxen vollständig zu erstatten.
Positive Neuigkeiten gab es hinsichtlich des Notdienstes und des Strukturfonds: Im Juli wurde im Kreis Kleve die letzte Lücke im Netz der Notdienstpraxen im Rheinland geschlossen, es wurden dort insgesamt drei neue Einrichtungen etabliert. Damit sind nun in allen Kreisen und Städten des Landesteils 80 zentrale Notdienstpraxen vorhanden, davon schon 45 im Sinne moderner Portalpraxen in enger Vernetzung mit dem örtlichen stationären Bereich. Ab Ende November wird zudem im Kreis Heinsberg erstmals ein telemedizinisches Angebot die ambulante Akutversorgung im Kreis effektiv ergänzen.
Strukturfonds trägt merklich zur Versorgungsverbesserung bei
„Auch der Strukturfonds trägt seit 2018 nachhaltig zu einer Versorgungsverbesserung im Rheinland bei – insgesamt wurden in den letzten gut drei Jahren rund 15 Millionen Euro an Fördermitteln für die wohnortnahe Versorgung von der KVNO bereitgestellt“, sagte König. „Wir haben über 300 Förderungen bewilligt und insgesamt fast 230 neue Kolleginnen und Kollegen für die ambulante Versorgung gewinnen können. Zudem wurden 66 Famulaturen und 22 Hospitationen in Praxen mit Fondsmitteln unterstützt.“ Der VV-Vize kündigte an, im nächsten Jahr neue Förderschwerpunkte mit Mitteln des Strukturfonds anzugehen, so unter anderem die Förderung der Substitution in der ambulanten Versorgung. Mit Blick auf den Ausbau der ambulanten Weiterbildung folgte die VV mit großer Mehrheit einem Antrag des Vorstandes und verlängerte die Förderdauer im Bereich Allgemeinmedizin ab dem kommenden Jahr auf 48 Monate.
Wie immer am Jahresende waren die Präsentation und die Debatte um die Bilanz des Geschäftsjahres 2020 und den Haushalt für 2022 wesentliche Tagesordnungspunkte der VV. Die Delegierten genehmigten ohne Gegenstimmen beide Zahlenwerke und entlasteten den Vorstand. Der Verwaltungskostensatz der KVNO bleibt 2022 unverändert. Die Mitglieder zahlen bei IT-unterstützter Abrechnung weiterhin 2,8 Prozent ihres Arztumsatzes.
Christopher Schneider ist stellvertretender Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.