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Gesundheits- und Sozialpolitik

Kommt mit der Ampel eine neue Krankenhausfinanzierung?

15.12.2021 Seite 19
RAE Ausgabe 1/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2022

Seite 19

Krankenhäuser sind Teil der Daseinsvorsorge: Das DRG-System sollte nach Ansicht von Krankenhausvertretern durch einen Vorhaltekostenanteil ergänzt werden. © Gordon Grand/ Fotolia.com
Der 44. Deutsche Krankenhaustag stand ganz im Zeichen der Erwartungen der deutschen Kliniken an die neue Bundesregierung. Das Motto: „Kurswechsel in der Krankenhauspolitik?!“

von Jürgen Brenn

Der Forderungs- und Wunschkatalog der Krankenhäuser an die neue Regierungskoalition ist lang. Beim Deutschen Krankenhaustag, der vom 15. bis 17. November im Rahmen der Medica in Düsseldorf stattfand, drängten die Vertreter der Krankenhausgesellschaft, der Leitenden Krankenhausärzte und -direktoren sowie der Pflegeberufe darauf, dass sich rasch etwas ändern müsse in der Krankenhauspolitik.

Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und Kongresspräsident des 44. Deutschen Krankenhaustags, Dr. Gerald Gaß, stellte die Leistungsfähigkeit der Kliniken während der vergangenen 20 Monate in der Coronapandemie heraus. Gleichzeitig habe die Krise fortlaufend die Grenzen und Mängel des Systems deutlich ans Licht gebracht. „Neben kurzfristigen Maßnahmen zur Stabilisierung der Krankenhäuser in der vierten Coronawelle benötigen wir daher einen nachhaltigen Reformprozess für eine leistungsfähige Kliniklandschaft“, erklärte Gaß, der kürzlich in den Vorstand des Internationalen Krankenhausverbands gewählt wurde. Auch bräuchten die Kliniken dringend einen finanziellen Rettungsschirm über das Jahresende hinaus. Ein solcher Schutzschirm räume den Kliniken wie während der ersten Welle den maximalen Handlungsspielraum ein, um nach medizinischen Kriterien das Regelsystem zurückzufahren und gezielt an die konkrete Belastung vor Ort anzupassen, erläuterte er. „Es kann nicht sein, dass Kliniken wegen Corona schließen müssen, weil ihnen die Einnahmen aus der Regelversorgung wegbrechen.“

Gaß sprach sich angesichts der mäßigen Impfquote und der drohenden Überlastung der Kliniken mit schwer an Covid-19 erkrankten Menschen für eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen aus. „Wir werden dies unterstützen“, bekräftigte er. Dem schloss sich auch Dr. Sabine Berninger an. Das Mitglied im Vorstand des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe erklärte, eine Impfpflicht beispielsweise für Pflegekräfte halte sie für sinnvoll.

Um die Krankenhäuser für die Zukunft neu aufzustellen und eine nachhaltige Strukturreform voranzutreiben, forderte der DKG-Vorsitzende die Einrichtung einer „Bund-Länder-Zukunftskommission Krankenhaus“. Nur so sei ein abgestimmtes Handeln zwischen Bund und Ländern gewährleistet. „Die Menschen erwarten Antworten: Wieviel Krankenhaus will die Politik in Zukunft noch? Wieviel Zentralisierung, wieviel Wohnortnähe? Das sind schwierige Fragen, denen sich die Politik aber stellen muss“, so Gaß.

Pflegevertreterin Berninger rückte die enorme Belastung der Pflegekräfte in den Blick. Die Pflege in Deutschland befinde sich derzeit in einer „Abwärtsspirale“. Pflegekräfte stiegen aus dem Beruf aus oder entschieden sich erst gar nicht für eine pflegerische Ausbildung. Angesichts des Mangels an Pflegekräften hätten die im System verbliebenen immer weniger Zeit für ihre Aufgaben. Sie hätten keine Kraft und Perspektive mehr. „Wir stehen jetzt mit dem Rücken zur Wand“, beschrieb Berninger die Situation. Als Sofortmaßnahme benötigte man in den Krankenhäusern ein Personalbedarfsbemessungsinstrument, das am Bedarf der Patientinnen und Patienten ausgerichtet sei, so die Pflegevertreterin. Mit der Pflegepersonal-Regelung (PPR 2.0), auf die sich DKG, Deutscher Pflegerat und die Gewerkschaft Verdi geeinigt hätten, liege ein fundierter Vorschlag auf dem Tisch, der umsetzbar sei, sagte Berninger. Neben sicheren Arbeitsbedingungen, die vor psychischer und physischer Überlastung schützen, wozu etwa die Einhaltung von Dienstplänen und -zeiten zähle, regte Berninger an, die Aufgabenzuordnungen zwischen den Gesundheitsberufen neu zu überdenken. „Pflegende haben mehr Kompetenzen, als sie heute einsetzen dürfen“, so Berninger.

Der Präsident des Verbandes der Leitenden Krankenhausärzte Deutschlands, Dr. Michael A. Weber, regte an, das leistungsorientierte Entgeltsystem der Kliniken (DRG) um einen Vorhaltekostenanteil von 40 Prozent zu ergänzen. Die Kliniklandschaft dürfe nicht über eine „kalte Strukturbereinigung“ weiter ausgedünnt werden. Eine Krankenhausreform müsse sich am Bedarf vor Ort orientieren. Weber sagte, dass kleine und mittlere Häuser einen großen Beitrag zur flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung leisteten, was sich auch während der Pandemie gezeigt habe. Die Finanzierung der Vorhaltekosten sei ein Beitrag zur Strukturerhaltung und helfe dabei, die Versorgung zu sichern. Mit Blick auf die Ausgestaltung des Pflegebudgets, das die Pflegepersonalkosten seit 2020 zusammenführt und das Krankenhäuser und Krankenkassen jährlich verhandeln müssen, kritisierte Weber, dass vielen Kliniken die Kosten noch nicht erstattet wurden und die Häuser in Vorleistung getreten seien. Der Präsident des Verbandes der Krankenhausdirektoren, Dr. Josef Düllings, ergänzte, dass mehr als 60 Prozent der Häuser noch kein Pflegebudget für das Jahr 2020 hätten aushandeln können. Dieser Zustand bringe zahlreiche Häuser in die Nähe einer Insolvenzgefährdung, warnte Düllings. Die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten führe im Übrigen dazu, dass nun bei anderem Personal gespart werde, etwa bei Ärztinnen und Ärzten, bemängelte Weber.