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Gesundheits- und Sozialpolitik

Schwarz-Grün stellt die Weichen in der NRW-Gesundheitspolitik

19.07.2022 Seite 20
RAE Ausgabe 8/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 8/2022

Seite 20

„Wenn man als Politiker nicht mehr streitet, soll man in Rente gehen“: Karl-Josef Laumann (64) bleibt auch unter Schwarz-Grün Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in NRW. © MAGS NRW
CDU und Grüne haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. In der Gesundheitspolitik greift die neue NRW-Landesregierung zahlreiche Forderungen der Ärzteschaft auf, darunter die Umsetzung des neuen Krankenhausplans, höhere Investitionen in die Krankenhäuser und eine Aufstockung der Zahl der Medizinstudienplätze. Der Ausbau der Hebammen geführten Kreißsäle, die Einführung von Community Health Nurses und eine weitere Akademisierung der Gesundheitsberufe dürften dagegen auf ein geteiltes Echo stoßen.

von Heike Korzilius

Von den Koalitionsverhandlungen war so gut wie nichts nach außen gedrungen. Ende Juni präsentierten dann CDU und Bündnis 90/Die Grünen ihren „Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen“, der sich auf fünf von 148 Seiten auch mit den gesundheitspolitischen Weichenstellungen für die Jahre 2022 bis 2027 beschäftigt. Gleich am Anfang des Gesundheitskapitels bekennen sich die neuen Regierungspartner dazu, die neue Krankenhausplanung, die die Vorgängerregierung von CDU und FDP noch auf den Weg gebracht hatte, zügig umzusetzen.

Nach dem „fortschrittlichsten Krankenhausrahmenplan Deutschlands“ sollen in NRW künftig statt Betten verstärkt Leistungen geplant werden. Auf diese Weise sollen Überkapazitäten insbesondere in den Ballungsgebieten abgebaut, die Spezialisierung bei komplexen medizinischen Leistungen ausgebaut sowie die Grund- und Notfallversorgung auch auf dem Land gesichert werden. Dafür sowie für Personal und Ausstattung der Kliniken wollen CDU und Grüne „erhebliche Summen“ zur Verfügung stellen. Ein Drittel der Mittel soll in Klimaschutzmaßnahmen der Krankenhäuser fließen. Aus Mitteln des Landes und des Bundes soll zudem ein Krankenhaus-Klimaschutzfonds errichtet werden. Digitale Versorgungsangebote wie das Virtuelle Krankenaus und der Telenotarzt sollen weiter ausgebaut und auf lange Sicht Bestandteil der Regelversorgung werden. 

Mit Blick auf die geplante Reform der Notfallversorgung favorisieren die Koalitionäre in NRW das „Ein-Tresen-Modell“ in Krankenhäusern, wo über die weitere Versorgung entweder ambulant oder stationär entschieden wird. Der Rettungsdienst soll weiterentwickelt werden. Wo notwendig, soll eine landesweit einheitliche Rettungsdienstbedarfsplanung geschaffen werden. Mit der Einführung von „Gemeinde-Notfallsanitätern“ und einer Regelung für einen vorbeugenden Rettungsdienst will Schwarz-Grün für „zielgerichtete, bedarfsgerechte Hilfe im Notfall“ sorgen. 

450 Medizinstudienplätze mehr

Eine langjährige Forderung der Ärzteschaft greift der Koalitionsvertrag mit der geplanten Erhöhung der Zahl der Studienplätze für Medizin auf. Sie soll um 450 auf 2.750 steigen, ein Plus von 20 Prozent. Zudem soll die Landarztquote ausgebaut werden, nach der jährlich knapp acht Prozent der Medizinstudienplätze in NRW ungeachtet des Numerus Clausus an angehende Hausärztinnen und Hausärzte in unterversorgten Regionen vergeben werden.

Um die Vernetzung ambulanter und stationärer Versorgungsangebote sowie die Kooperation der Gesundheitsberufe untereinander zu verbessern, sollen in mindestens fünf Gesundheitsregionen multiprofessionelle Gesundheitszentren als Modellprojekte entstehen, die gesundheitliche Versorgung, Prävention und Sozialarbeit miteinander verzahnen. „Community Health Nurses“ sollen „ein Ankerpunkt in der quartiersbezogenen Versorgung und Prävention“ werden.

Auch den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) will Schwarz-Grün künftig besser aufstellen. Neben der Umsetzung des ÖGD-Pakts mit einem massiven Stellenaufbau auch im ärztlichen Dienst und einer Digitalisierungsoffensive will man prüfen, ob es sinnvoll ist, das derzeitige Landeszentrum Gesundheit zu einem Landesgesundheitsamt auszubauen und damit die Koordination von Maßnahmen zwischen Land und Kommunen zu verbessern. 

Um den Anforderungen an eine moderne medizinische und pflegerische Versorgung und dem dafür notwendigen Fachkräftemix gerecht zu werden, will die neue Landesregierung die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe vorantreiben. So sollen mehr Studienplätze für Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie entstehen. In der Pflege strebe man eine Akademisierungsquote von bis zu 20 Prozent an. Auch die Rahmenbedingungen für Hebammen sollen sich verbessern, zum Beispiel dadurch, dass das Angebot an Hebammen-Kreißsälen verstetigt wird, in denen Hebammen alleinverantwortlich die Geburt begleiten. Für bessere Arbeitsbedingungen und Gehälter will sich die Landesregierung auch bei den Pflegekräften einsetzen. 

Mit Blick auf die Coronapandemie wollen die Koalitionäre den bestmöglichen Schutz vulnerabler Personengruppen bei möglichst geringen Einschränkungen persönlicher Freiheit in den Vordergrund stellen. Dazu sollen unter anderem aufsuchende Impfangebote ausgeweitet und die Impfbereitschaft der Bevölkerung gesteigert werden. 

Die ersten Reaktionen auf die gesundheitspolitischen Vorhaben der neuen Landesregierung fielen recht wohlwollend aus (siehe auch Seite 3). So begrüßten die Krankenkassen in NRW insbesondere das „klare Bekenntnis zu einer zügigen Umsetzung des neuen Krankenhausrahmenplans“. Damit werde die Qualität der Behandlungen verbessert und eine zukunftsfähige Krankenhausstruktur geschaffen. 

Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) wertete das klare Bekenntnis zur neuen Krankenhausplanung und zum Klimaschutz in den Kliniken als „wertvolles Signal“. „Die NRW-Krankenhäuser werden CDU und Grüne beim Wort nehmen“, sagte KGNW-Präsident Ingo Morell.