Die Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) tagte am 10. Juni im Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft. Neben einem Kurswechsel bei der Telematikinfrastruktur (TI) ging es den Delegierten schwerpunktmäßig um notwendige Maßnahmen der Politik zur finanziellen Entlastung der Praxen.
von Christopher Schneider
Nach Meinung des Vorstands der KVNO, Dr. Frank Bergmann, sowie seines Stellvertreters, Dr. Carsten König, ist der Gesetzgeber dringend gefordert, für eine langfristige Planungs- und Finanzsicherheit für die Niedergelassenen zu sorgen. „Die Kolleginnen und Kollegen gehen nach über zwei Jahren Pandemiebetrieb finanziell und auch beim Personal sprichwörtlich auf dem Zahnfleisch. Um die Situation finanziell zu verbessern, sollte seitens der Kassen kurzfristig das ambulante Potenzial viel stärker abgerufen und aufgewertet werden – etwa beim ambulanten Operieren“, hieß es auch mit Blick auf die zum Zeitpunkt der VV noch laufenden Verhandlungen im Bund zwischen GKV-Spitzenverband, Deutscher Krankenhausgesellschaft und Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV). VV-Delegierte und KVNO-Vorstand erneuerten in diesem Kontext auch ihre eindringliche Forderung an den Gesetzgeber, dass neben den Intensivpflegekräften auch die medizinischen Angestellten der Praxen ob ihrer enormen Leistungen in der Pandemie eine Anerkennung in Form einer steuerfinanzierten Corona-Bonuszahlung erhalten sollen.
Kurswechsel bei Digitalisierung eingefordert
Entschieden kritische Töne gab es vom KVNO-Vorstand beim Thema Telematikinfrastruktur. Angesichts anhaltender Probleme mit der TI beziehungsweise deren Anwendungen mahnte er einen dringend erforderlichen Kurswechsel an, der konsequent auf die Versorgung ausgerichtet sein müsse. Die KVNO habe den Gesetzgeber wiederholt aufgefordert, neben verbindlichen Testkonzepten für sämtliche TI-Komponenten und -Anwendungen auch eine Anpassung der Finanzierungswege vorzunehmen – zuletzt in einer gemeinsamen Resolution aller KVen im Rahmen der letzten KBV-VV in Bremen. Es könne nicht sein, dass im Zusammenhang mit der TI stehende Zusatzkosten nach wie vor den Praxen zugemutet würden – etwa beim bevorstehenden Austausch der TI-Konnektoren. Das sei eine „originär staatliche Aufgabe“, kommentierte der KVNO-Vorstand.
Ähnlich klare Worte gab es zur derzeitigen Schieflage beim Datenschutz. Es sei nicht hinnehmbar, dass Ärztinnen und Ärzte für Mängel eines Produktes haftbar gemacht werden sollten, welches sie selbst gar nicht frei wählen könnten. Der Zuständigkeitsbereich der Praxen dürfe nur so weit reichen, wie sie den Prozess selbst beeinflussen könnten. Da dies im Fall der Konnektoren nicht so sei, dürfe die Verantwortung demzufolge auch nicht bei den Niedergelassenen liegen.
Dieser Kritik schlossen sich die VV-Delegierten an. Mit großer Mehrheit beschlossen sie einen Antrag, der eine gesetzeskonforme Komplettfinanzierung der TI-Hardwarekosten via Sacherstattung fordert. Einstimmig verabschiedet wurde in einem weiteren Antrag die Aufforderung der VV an den Gesetzgeber, umgehend das bei einer nutzungskonformen Anwendung der TI denkbare Sicherheits- und Datenschutzrisiko vollständig und lückenlos auf den verantwortlichen Betreiber der TI – die gematik – zu verlagern und klarzustellen, dass die Praxen keinerlei Haftungsrisiken zu tragen haben. Bis zur formalen Klarstellung durch den Normgeber sei aus Sicht der Delegierten auch eine finanzielle Sanktionierung derjenigen Praxen, die die TI aufgrund dieses Haftungsrisikos nicht nutzten, unverhältnismäßig und auszusetzen.
Vorbereitung auf den nächsten Herbst
Weiteres Thema war das aktuelle Pandemiegeschehen. Gegenüber den VV-Delegierten hob der KVNO-Vorstand die herausragende Leistung der Niedergelassenen hervor, die mit 85 Prozent aller im Rheinland durchgeführten Coronaimpfungen einen zentralen Beitrag dazu geleistet hätten, dass der Landesteil derzeit sehr gut dastehe. Mit Blick auf den Herbst hieß es, dass die zahlreichen Warnungen vor den Risiken einer neuen Infektionswelle beim Bund anscheinend noch nicht wirklich angekommen seien. Es fehlten jedenfalls konkrete politische Signale seitens der Politik. Nach Meinung beider KV-Vorsitzenden gibt es aber noch viel zu tun: Das Infektionsschutzgesetz laufe zum 23. September aus – am Ende müssten vermutlich erneut die Praxisteams das Virus zurückdrängen.
Mit Blick auf eine Zunahme möglicher Corona-Behandlungsfälle folgte die VV einem Antrag des HVM-Ausschusses und verlängerte unter anderem die Förderung von Infektionssprechstunden in den nordrheinischen Praxen bis zum Ende des Jahres.
Therapeutisches Angebot für Kinder
Kinder und Jugendliche zählen nach Ansicht des KVNO-Vorstandes zu den „Hauptverlierern der Coronapandemie“. Beispiele dafür seien der Verlust sozialer Kontakte durch Homeschooling und sehr beschränkte Freizeitangebote. Die KV Nordrhein plane daher, zeitnah ein therapeutisches Gruppenangebot für Kinder und Jugendliche in Nordrhein zu etablieren. So solle verhindert werden, dass sich entsprechende psychische Krankheitsbilder manifestieren. Entwickelt wurde das Programm zusammen mit nordrheinischen Kinderärztinnen und -ärzten sowie Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium hat der KV Nordrhein bereits die Finanzierung zugesagt. Starttermin für die Gruppenangebote ist der 15. August 2022.
Spezieller Qualitätszirkel zu Long COVID
Auch das Thema Long COVID wird von der KVNO angesichts der hohen Zahl von gut 20.000 unbestätigten Verdachtsfällen pro Quartal in Nordrhein engmaschig begleitet. Der Vorstand kündigte die rasche Einführung eines entsprechenden Qualitätszirkelmoduls an, um Ärztinnen und Ärzten Orientierung und Hilfe zum Beispiel bei differentialdiagnostischen Entscheidungen und Fragen der Diagnostik anzubieten.
Neue Kölner Dienststelle feiert Richtfest
Zum Neubau der KVNO am Butzweilerhof in Köln gab es einen kurzen Sachstandsbericht: Am 20. Mai konnte das traditionelle Richtfest begangen werden. Trotz erschwerter Rahmenbedingungen, etwa der anhaltenden Knappheit bei Baumaterialien, liege man noch immer sehr gut im Zeitplan, hieß es. Das Gebäude soll Ende des Jahres fertiggestellt sein – im ersten Quartal kommenden Jahres werden dann über 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der KV Nordrhein dort einziehen.
Appell zur Beteiligung an KV-Wahlen
Im Rahmen des Vorstandsberichts gab es ebenfalls einen Appell an die Vertragsärztinnen und -ärzte sowie die Psychologischen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten im Rheinland, sich an den diesjährigen KV-Wahlen zu beteiligen. Noch bis zum 12. August haben KVNO-Mitglieder die Möglichkeit, sich mit ihrer Stimme bei den Vorstandswahlen für die Kreis- und Bezirksstellen sowie an den Wahlen zur neuen VV, die ab Januar 2023 offiziell ihr Amt aufnehmen wird, einzubringen. Die Selbstverwaltung lebe in erster Linie vom Engagement ihrer Mitglieder, hieß es vonseiten des KVNO-Vorstands. Daher solle jedes Mitglied auch unbedingt von seinem Stimmrecht Gebrauch machen.
Ein Mitschnitt der VV vom 10. Juni findet sich auf www.kvno.de/vv-juni-2022
Christopher Schneider ist stellvertretender Pressesprecher der KV Nordrhein.