Ist der ärztliche Einzelkämpfer ein überholtes Konzept? Kann oder muss medizinische Versorgung Teamarbeit werden? Was bedeutet Delegation für den ärztlichen Beruf? Diese und andere Fragen zum Thema „Delegation ärztlicher Leistungen als Herausforderung und Chance“ diskutierten Expertinnen und Experten bei einem Kongress des Westens
Anfang September.
von Jocelyne Naujoks
„Wir brauchen interprofessionelle Teams unter ärztlicher Supervision“, sagte Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Seines Erachtens ist die interprofessionelle Zusammenarbeit die Lösung in der Diskussion um die Delegation ärztlicher Leistungen. So könnten die Fähigkeiten der einzelnen Berufsgruppen optimal genutzt werden, sagte er bei einer Expertenrunde zum Thema „Medizinische Versorgung als Teamarbeit? Delegation ärztlicher Leistungen als Herausforderung und Chance“ auf dem diesjährigen Gesundheitskongress des Westens Anfang September. Die Sorge, mehr Delegation führe zu einem Abbau von Arztstellen, hält Gehle mit Blick auf die junge Ärztegeneration, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf fordert, für unbegründet.
Gehle zufolge müssen jedoch zunächst die Rolle und die Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten klar definiert werden. Er fügte hinzu: „Ob das nur mit Delegation ohne Substitution möglich ist, können wir erst beurteilen, wenn wir die Möglichkeiten der Delegation so genutzt haben, wie wir sie nutzen könnten.“ Ziel müsse sein, Ärztinnen und Ärzte zu entlasten und ärztliche Arbeitszeit effizienter und effektiver einzusetzen. Gleichzeitig forderte Gehle eine geregelte Aus- und Weiterbildung in den medizinischen Berufen: Es müsse eine klare Weiterbildungsordnung geben – auch mit einem staatlichen Siegel.
Es gehe nicht um den Ersatz von Ärztinnen und Ärzten, sondern um ein anderes Arbeiten im Team, sagte Dr. Volker Schrage, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Aus der eigentlichen ärztlichen Leistung müsse eine Teamleistung unter Verantwortung der Ärztin oder des Arztes werden. „Es geht um das Arbeiten auf Augenhöhe mit klaren Zuständigkeiten und einer gelebten Wertschätzung in beide Richtungen“, betonte Schrage. Obwohl viele, vor allem jüngere Ärzte ebenso wie Patienten der Delegation gegenüber aufgeschlossen seien, blieben in der Praxis viele zögerlich. Zum einen sei der enge Rechtsrahmen der Delegation ein Hindernis. Nur sehr wenige Leistungen können laut Schrage wirklich rechtssicher delegiert werden. Die Delegationsvereinbarungen im Bundesmantelvertrag müssen deshalb seiner Meinung nach dringend überarbeitet und geöffnet werden. Ein weiterer Grund ist laut Schrage auch die finanzielle Belastung. Die Qualifizierung einer Mitarbeiterin koste schlichtweg Geld.
Mehr Arbeit, gleiches Geld
Fortbildungskosten und eventuelle Gehaltsanpassungen dienten vielen Ärztinnen und Ärzten als Ausrede, um ihre Medizinischen Fachangestellten (MFA) nicht weiterzubilden, kritisierte Christina Taccetta, MFA und Entlastende Versorgungsassistentin in einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis. Häufig sei die Kompetenzerweiterung für die MFAs mit mehr Arbeit und mehr Belastung bei gleichbleibender Arbeitszeit und teilweise gleichem Gehalt verbunden, so Taccetta. Es könne nicht sein, dass Ärzte MFAs teilweise noch immer untertariflich bezahlten, kritisierte sie.
Auch zur Entlastung der Ärzte fortgebildete MFA benötigten in der Regel noch ärztliche Unterstützung bei der Ausführung delegierter Leistungen. Stattdessen heiße es im Alltag oft nur: „Mach mal! Fahr mal!“ Gleichzeitig fehle vielen Ärztinnen und Ärzten das Vertrauen in ihre Mitarbeiter, bemängelte Taccetta.
Ärzte können etwas wagen
Mit Blick auf Haftungsfragen gelte in Deutschland das Verschuldensprinzip, erläuterte Professor Dr. jur. Karsten Scholz, Leiter der Rechtsabteilung der Bundesärztekammer: „Man haftet nur, wenn man schuldhaft, vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat.“ Der Arzt könne also in Deutschland „etwas wagen“ und auch Leistungen delegieren, die bislang noch nicht alle ärztlichen Kolleginnen und Kollegen delegieren, solange er dabei sorgfältig vorgehe. Dazu gehöre, die Patientinnen und Patienten zuvor über die Delegation aufzuklären und sie zu Beginn zu überwachen und in regelmäßigen Zeitabständen zu kontrollieren.
Scholz riet, bei der Delegation von Leistungen auf standardisierte Qualifizierungen aufzubauen und die erworbenen Qualifikationen regelmäßig zu kontrollieren und Patientenbefragungen durchzuführen. Es brauche zudem klare Anweisungen, in welchen Situationen ein Arzt hinzugezogen werden müsse. „Was trauen Sie sich zu? Was würden Sie lieber lassen? Und was würden Sie sich nach einer Fortbildung noch zutrauen? Das seien Fragen, die man ansprechen sollte, wenn man gemeinsam mit der MFA überlegt, welche Leistungen delegierbar sind, sagte Scholz.
„Es wird viel über Delegation gesprochen. Die Implementierung ist aber rudimentär und punktuell“, sagte Professor Dr. Gabriele Meyer, Direktorin des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Der Großteil der tatsächlichen Delegation von Leistungen an MFAs oder Pflegefachpersonal erfolge auf persönlicher Vertrauensbasis – ohne formale Weiterbildung.
Über die Effekte der Delegation liegen laut Meyer in Deutschland kaum Erkenntnisse vor. Die digital unterstützte Delegation wie Videokonsultation oder tragbare Diagnostik wird Meyer zufolge als aussichtsreiche Option diskutiert. Hier braucht es ihrer Meinung nach noch wissenschaftliche Untersuchungen zur Wirksamkeit und Patientensicherheit.
Ein Beruf mit Zukunft
Mehr Informationen zu Fortbildungen für MFAs sowie Fördermöglichkeiten finden Sie auf der Homepage der Ärztekammer Nordrhein unter
https://www.aekno.de/mfa/fortbildungen-fuer-mfa.