Vor 20 Jahren schlossen die Ärztekammer Nordrhein und die heutige AOK Rheinland/Hamburg den bundesweit ersten Kooperationsvertrag zum Ausbau ihres Präventionsprogramms Gesund macht Schule. Seitdem lernen Kinder an über 300 Grundschulen im Rheinland nicht mehr nur Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern auch so einiges über ihren Körper, gesunde Ernährung und warum Bewegung guttut.
von Sabine Schindler-Marlow
Die vierte Klasse der Martinusgrundschule in Rheurdt hat sich im Kreis um eine Reanimationspuppe aufgestellt. Mit ihrem Patenarzt Dr. Patrick Stais, Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie, dessen Arbeitsplatz eigentlich die Lungenklinik im Krankenhaus Bethanien in Moers ist, sprechen die Kinder heute über die Rettungsmeldekette, über die Angst davor, verletzten Menschen zu helfen und über Erste-Hilfe-Maßnahmen. Nach der Theorie folgt die Praxis und die Kinder üben das Gelernte in Kleingruppen an den mitgebrachten Reanimationspuppen. Alle sind mit Enthusiasmus dabei.
Die Kinder lernen aber nicht nur an den Reanimationspuppen, sondern proben darüber hinaus mit Stais und einem weiteren Kollegen in Rollenspielen, wie sie sich in Notfallsituationen richtig verhalten und wie sie einen Notruf absetzen. „Alle sind immer begeistert dabei und machen ihre Sache sehr gut“, berichtet der Mediziner von seinem Kurs. „Viele Kinder sind ungehemmter, als wir das von Erwachsenen kennen.“
Hannah fasst das Gelernte am Ende der Stunde wie folgt zusammen: „Beim Erste-Hilfe-Kurs haben wir gelernt, was man tun muss, wenn man jemanden ohnmächtig oder regungslos liegen sieht. Manche Menschen trauen sich diese folgenden Dinge nicht zu: 1. Schütteln und gucken, ob der Mensch noch lebt 2. Notarzt 112 anrufen 3. Anfangen zu Reanimieren. Viele haben Angst, etwas falsch zu machen. Dabei kann man gar nichts falsch machen, außer wenn man gar nichts tut.“
Stais ist seit dem Schuljahr 2016/2017 Patenarzt an der Martinusschule in Rheurdt. „Es ist immer schön, wenn wir Experten einladen können. Die Kinder finden es toll, wenn auch mal jemand anders vorne steht und nicht Unterricht nach Schulbuch gemacht wird. Je praxisnäher, umso besser. Der Erste-Hilfe-Kurs, den unser Patenarzt macht, kommt bei unseren Kindern super an“, berichtet Margit Eichhöfer, Lehrerin an der Martinusgrundschule. Kinder frühzeitig mit Erster Hilfe vertraut zu machen, ist ein erklärtes Ziel der Gemeinschaftsschule. Die Schule möchte die Kinder darüber hinaus auch dafür sensibilisieren, wie man sich in Notsituationen den Helfern gegenüber verhält.
Das Programm Gesund macht Schule ist fester Baustein im Schulleben der Martinusschule und Patenarzt Stais arbeitet gerne mit der Schule zusammen. „Der Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit ist mittlerweile gut erforscht und gerade jetzt in der Coronapandemie zeigt sich diese Verbindung ganz besonders. Durch das Programm habe ich die Möglichkeit, direkt auf den ersten Metern des Bildungswesens nicht nur die Kinder, sondern auch die Lehrer und Eltern begleiten zu können. Schon vom ersten Elternabend an werde ich als Patenarzt der Schule vorgestellt und kann bei den Eltern für ein gesundheitsförderliches Aufwachsen mit praktischen Tipps werben und ihnen verdeutlichen, wie eng gesundes Aufwachsen und Lernen miteinander verzahnt sind“, begründet Stais sein Engagement.
Stais ist einer von über 180 Patenärzten, die an vielen Schulen im Rheinland regelmäßig in den Unterricht kommen, um mit den Kindern über den menschlichen Körper, über eine ausgewogene Ernährung oder über die bevorstehende Zeit der Pubertät zu sprechen.
Nachhaltigkeit punktet
„Mit dem Programm Gesund macht Schule der Ärztekammer Nordrhein und der AOK Rheinland/Hamburg haben wir Patenärztinnen die Möglichkeit, den Kindern eine altersgerechte uns anschauliche Vorstellung von Gesundheit und Vorsorge zu vermitteln. Wir können ihnen zeigen, wie wunderbar ihr Körper funktioniert und sie motivieren, ihn gesund zu halten“, berichtet auch Dr. Marion Mittag, die sich seit 20 Jahren im Programm engagiert und Mitautorin einiger Unterrichtsmaterialien ist. Sie ist überzeugt, dass Gesundheitsförderung gerade in der Grundschule sinnvoll ist, weil sie die Kinder in dieser Phase als besonders wissensdurstig und an den Vorgängen in ihrem Körper interessiert wahrnimmt. „Auch wenn sich in den letzten 20 Jahren vieles verändert hat: die Kinder sind nach wie vor Feuer und Flamme, mehr über ihren Körper zu erfahren“, so Mittag. Sie schätzt an dem Programm auch, dass die Kontakte zu den Schulen wachsen und sich ein Vertrauensverhältnis zwischen den Patenärzten und Lehrkräften, aber auch zu den Eltern und Kindern aufbaut. „Wir alle kennen die ,Projektitis‘ und die vielen wechselnden Präventionsprogramme. Mit Gesund macht Schule gibt es ein verlässliches Programm, in dem Gesundheitsförderung an Schulen nachhaltig etabliert und wirksame Kooperationen zwischen Schulen und Patenärztinnen und Patenärzten aufgebaut werden können“, so Mittag, die auch die Unterstützung durch die Koordinatorinnen bei der Kammer und der AOK vor Ort schätzt.
310 Grundschulen und 180 Ärztinnen und Ärzte nehmen derzeit an dem Programm Gesund macht Schule teil. Dieses hat sich zur Aufgabe gesetzt, Schulen bei der Umsetzung gesundheitsförderlicher Maßnahmen im Schulalltag zu unterstützen. Hierzu zählen die Entwicklung eines gesundheitsbewussten Ernährungs- und Bewegungsverhaltens sowie die Stärkung der kindlichen Persönlichkeitsentwicklung, der Erwerb von Grundwissen über den eigenen Körper und die Sexualerziehung. Zur Unterstützung aller Akteure bietet das Programm Unterrichtsmaterialen zu Gesundheitsthemen, Fortbildungen und moderierte Qualitätszirkel für Lehrkräfte und Patenärzte sowie Materialien für die Elternarbeit an.
Vertrauensverhältnis über Jahre
Herzstück des Programms sind die Arzt-Schulpatenschaften. Interessierte Ärztinnen und Ärzte übernehmen für mindestens ein Schuljahr eine Patenschaft für eine oder mehrere Grundschulen. Zusätzlich erhalten sie Materialmappen mit Mustervorträgen, führen Elternveranstaltungen durch und stehen den Lehrkräften fachlich zur Seite. All dies kann durch Unterrichtseinsätze oder Praxis- und Klinikbesuche ergänzend kombiniert werden. Ärztinnen und Ärzte erhalten über das Programm Gesund macht Schule eine Aufwandsentschädigung. Viele Einsätze werden aber über ehrenamtliches Engagement abgedeckt. Bei den Lehrkräften kommt das Engagement der Patenärztinnen und Patenärzte gut an, denn diese können durch ihre berufliche Expertise Kindern auch dann Auskunft geben, wenn es für die Lehrerinnen und Lehrer schwierig wird, wie zum Beispiel bei der Sexualerziehung. Das weiß auch Beate Neuhäuser zu berichten, die sich ebenfalls seit über zehn Jahren im Programm engagiert.
„Die Unterrichtsthemen ,menschlicher Körper‘ und ,Sexualerziehung‘ sprechen alle Kinder auf einer sehr persönlichen und emotionalen Ebene an und dementsprechend lebhaft bringen sie sich im Unterricht ein“, so Neuhäuser. „In der Regel vergehen die Doppelstunden wie im Flug und ich freue mich immer sehr, wenn mir die Lehrerinnen und Lehrer rückmelden, dass auch Kinder, die sonst den Unterricht eher unbeteiligt oder unkonzentriert verfolgen, bei unseren Gesundheitsthemen engagiert dabei sind. Schön ist auch, wenn nach den Stunden zur Sexualerziehung Kinder auf mich zukommen und sagen, dass das ,Thema ja gar nicht doof oder peinlich ist und dass sie es toll erklärt bekommen haben‘.“
„Natürlich ist der Einsatz in den Schulen für uns Patenärztinnen und Patenärzte, die in der Regel diesen Einsatz mit ihrer Praxisarbeit oder Krankenhaustätigkeit verbinden müssen, ein zeitlicher Mehraufwand“, sagt Dr. Raphaela Schöfmann, die seit acht Jahren an Neusser Schulen als Patenärztin tätig ist. „Aber je länger man in einer Schule als Patenärztin tätig ist, desto einfacher werden die Absprachen und desto routinierter wird man im Umgang mit den Kindern, die immer extrem aufmerksam sind, wenn ‚Expertinnen‘ von außen extra für sie in die Schule kommen. Ich gehe zum Beispiel jedes Jahr, wenn die Erkältungszeit einsetzt, mit dem Hygienekoffer durch die Klassen und zeige den Kindern nicht nur, wie man sich am besten die Hände wäscht, sondern erkläre auch, warum das sehr sinnvoll ist und welche Krankheiten über die richtige Hygiene zu verhindern sind“, so Schöfmann.
Neue Herausforderungen
„Die Bereitschaft der Kolleginnen und Kollegen, in dem Programm Gesund macht Schule tätig zu werden, ist seit zwanzig Jahren riesengroß. Das kann man gar nicht genug würdigen. In unserem Ausschuss Prävention und Gesundheitsförderung der Ärztekammer Nordrhein arbeiten wir gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen daran, das Programm immer wieder an die aktuellen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern, aber auch von Schulen anzupassen. So kamen in den letzten Jahren immer wieder neue Themen wie zum Beispiel Resilienzförderung, Hygiene oder gesundheitskompetenter Umgang mit Medien dazu. Für das kommende Schuljahr haben wir uns vorgenommen, unsere Materialien zum Thema Essen und Ernährung um ein Kapitel Nachhaltigkeit zu erweitern. Denn am Thema Klimaschutz in enger Verzahnung mit dem Gesundheitsschutz wird zukünftig keiner mehr vorbeikommen“, sagt Dr. Oliver Funken, Vorsitzender des Ausschusses Prävention und Gesundheitsförderung der Ärztekammer Nordrhein, zur zukünftigen Ausrichtung des Programms und setzt hinzu, dass das Programm ohne die Unterstützung der AOK Rheinland/Hamburg in dieser Kontinuität nicht möglich wäre.
Die neuen Pläne kommen bei den Patenärztinnen und Patenärzten gut an. „Das Tolle an Gesund macht Schule ist, dass es so ein unbürokratisches Programm ist, das sich extrem flexibel auf die Bedürfnisse der Schulen einstellt, und dass wir alle durch aktuelle Themen und didaktische Unterstützungen immer wieder dazulernen“, ergänzt Dr. Marion Mittag. „Ich freue mich schon auf den Einsatz der neuen Materialien zur nachhaltigen Ernährung und ich kann alle Kolleginnen und Kollegen, die Interesse an der Arbeit mit Kindern in Schulen haben, nur dazu ermutigen, sich näher über das Programm zu informieren und mitzuwirken.“
Weitere Informationen zum Programm Gesund macht Schule
finden Sie auf www.gesundmachtschule.de.
Ansprechpartnerin ist Snezana Marijan
, snezana.marijan(at)aekno.de