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Meinung

Schrittfolge einhalten

21.04.2021 Seite 3
RAE Ausgabe 5/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 5/2021

Seite 3

Rudolf Henke © Jochen Rolfes
Am 4. Mai wird sich der Deutsche Ärztetag (DÄT), der pandemiebedingt im Onlineformat stattfindet, mit dem Urteil des Bundesverfassungs-gerichts zum Paragrafen 217 StGB aus dem vergangenen Jahr -beschäftigen. Dabei geht es um die Konsequenzen des Urteils für die Musterberufsordnung. 

Der DÄT wird sich mit der Frage beschäftigen, ob das Urteil zum jetzigen Zeitpunkt eine Änderung der Musterberufsordnung erfordert, in der es in § 16 bislang heißt: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“. 

Fakt ist, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes die strafrechtlichen Vorschriften zum Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid nicht mehr wirksam sind. Politisch ist es nun zunächst einmal Sache des Deutschen Bundestages, über die Konsequenzen aus dem Verfassungsgerichtsurteil für die Gesetzgebung zu beraten und zu entscheiden. Derzeit ist noch nicht absehbar, wann und in welcher Form das geschehen wird. 

Von daher gibt es aus meiner Sicht keine Eile, zum jetzigen Stand unsere Musterberufsordnung im Vorgriff zu ändern. Denn wenn wir diese jetzt ändern, dann machen wir den zweiten Schritt vor dem ersten. Der erste Schritt wäre doch, dass wir als Ärzteschaft eine Haltung dazu finden, wie wir uns zukünftig in unserer Profession eine Begleitung von Sterbenden und von Menschen mit Suizidwunsch vorstellen. Erst wenn wir diese Haltung gefunden haben, formulieren wir diese als Grundsatz in unseren Berufsordnungen. 

Ich persönlich kann mir aber nur schwer vorstellen, dass wir diese fundamentalen berufsethischen Fragen auf einem zeitlich limitierten Online-Ärztetag verhandeln können. Die Diskussion zu dem Thema in unserer eigenen Kammerversammlung im März hat mir einmal mehr gezeigt, wie groß der Wunsch nach einer ausführlichen Debatte ist. Für Ende April haben wir kurzfristig einen Rheinischen Ärztetag angesetzt, um möglichst noch vor dem Deutschen Ärztetag einen Austausch in der nordrheinischen Ärzteschaft zu ermöglichen und unseren Delegierten damit eine erste Orientierung zu geben. Aber das kann meiner Ansicht nach nur der Anfang der Debatte sein.

„Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten.“ Dieser Satz aus dem Eid des Hippokrates prägt seit jeher das ärztliche Selbstverständnis. Heute formuliert es die Bundesärztekammer so: „Die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten ist es, unter Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zu ihrem Tod beizustehen. Die Beihilfe zum Suizid gehört unverändert grundsätzlich nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten.“ 

Auf diesen Grundsätzen fußen auch die geltenden berufsrechtlichen Regelungen. Dabei gilt, dass lebensverlängernde Maßnahmen vom Patientenwillen abhängen. Bei Sterbenden kann die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen, dass eine möglicherweise dadurch bedingte unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf. Kein Arzt muss Sorge haben, sich dabei einer berufs- oder strafrechtlichen Sanktionierung auszusetzen. Dies gilt heute und das galt auch unter den Bedingungen der nun vom Bundesverfassungsgericht aufgehobenen Regelungen. Weil hier kein Handlungsdruck besteht, werbe ich sehr dafür, unsere Musterberufsordnung erst dann zu ändern, wenn wir unsere Rolle, die wir am Lebensende unserer Patientinnen und Patienten einnehmen wollen, klar definiert haben.

Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein