Etwa 20 Prozent aller operativ versorgten Nervenverletzungen haben eine iatrogene Ursache, mit steigender Tendenz. Nach der Literatur entstehen circa 40 Prozent aller iatrogenen Nervenverletzungen bei unfallchirurgischen oder orthopädischen Operationen [1]. Die Inzidenz in der Hüftendoprothetik wird mit 0,2 bis 3,7 Prozent angegeben [2 ].
von Klaus Rehm, Ulrich Gras, Peter Lange und Beate Weber
Zusammenfassung
Die in den üblichen Vordrucken zur Dokumentation der Risikoaufklärung genannte „Nervenverletzung“ bezieht sich in der Regel auf kleinere, meist sensible Nerven in der anatomischen Region des Operationszugangs. Dabei kann es sich auch um eine scharfe Verletzung handeln. Tritt ein direkter Schaden durch Druck oder Zug ein, so ist zu prüfen, ob der Operateur mit angemessener Sorgfalt vorgegangen ist, was dem Operationsbericht zu entnehmen sein sollte [3]. Dies ist besonders bei Eingriffen am Hüftgelenk zu prüfen, wenn die Nervi femoralis und/oder ischiadicus betroffen sind. Denn dabei kann es sich unter Umständen, wie zum Beispiel bei Revisionsoperationen, um den Eintritt einer Komplikation handeln, über die der Patient aufgeklärt wurde. Eine scharfe Durchtrennung eines namhaften Nervens ist bei Kenntnis des anatomischen Verlaufs und fachgerechtem Vorgehen in der Regel zuverlässig vermeidbar. Die Diagnose kann eventuell früh mithilfe einer MRT oder langfristig, im mehrjährigen Verlauf, im neurophysiologischen Befund erhärtet werden. Wird die Läsion eines bestimmten Nervenastes in Betracht gezogen oder ist gar seine Opferung geplant, so ist eine mündliche Risikoaufklärung des Patienten einschließlich der zu erwartenden Folgen unerlässlich. Hierzu ist eine Dokumentation anzuraten, da die Beweislast einer sachgerechten Risikoaufklärung beim Arzt liegt.
Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich auf periphere Nervenläsionen. Wirbelsäuleneingriffe sind wegen deren spezifischer Problematik nicht berücksichtigt.
Man unterscheidet direkte Schädigungen durch scharfe Durchtrennung, Kompression durch Haken oder Hämatom von indirekten Schädigungen, zum Beispiel infolge von Traktion oder Hyperthermie [4,5].
Eine zeitnahe Diagnostik erlaubt die Definition des Schweregrades der Schädigung zur Therapieplanung und Einschätzung der Prognose. Dabei ist die Einteilung nach Seddon (1942) in Neurapraxie, Axonotmesis und Neurotmesis immer noch ausreichend [1, 2]. Die MR-Neurografie liefert dazu frühzeitig die notwendigen Informationen, wogegen neurophysiologische Untersuchungen erst nach zwei bis sechs Wochen brauchbare Ergebnisse zeitigen. Zur Begutachtung des Verlaufs und der Prognose sind neurologische Berichte über mehrere Jahre und aktuelle Befunde unerlässlich.
Fall 1: Nervenläsion, kein Behandlungsfehler feststellbar
Bei einem 82-jährigen Patienten trat unmittelbar nach der Implantation einer Kniegelenksendoprothese eine Taubheit des linken Fußes mit Ausfall der Fußhebung auf. Die fachneurologische Untersuchung am sechsten postoperativen Tag wies eine inkomplette Parese der Nervi peroneus und tibialis nach. Der ursächliche Zusammenhang mit der OP wird vom belasteten Orthopäden nicht in Abrede gestellt.
Als Schädigungsursache wird eine perioperative Schädigung angenommen. Der Sachverständige diskutiert folgende Ursachen [6]:
1. Eine intraoperative mechanische Schädigung durch Instrumente, Zug oder Druck
Eine teilweise Beschädigung der Nervi tibialis und peroneus sei denkbar und gelte als nicht zuverlässig vermeidbare Komplikation, die durch die Aufklärung abgedeckt sei. Nur im Falle einer versehentlichen Durchtrennung könne ein Behandlungsfehler vorliegen. Da sich der Nervus ischiadicus bereits auf Höhe des Hüftgelenks in seinen peronealen und tibialen Verlauf teilt, wären dazu auf Höhe des Kniegelenks Verletzungen in zwei unterschiedlichen anatomischen Regionen nötig. Dann müsste ein kompletter Ausfall der sensiblen und motorischen Funktionen ohne Zeichen einer Regeneration vorliegen. Der Verlauf und die neurologischen Befunde zeigten aber eine inkomplette Schädigung mit langsamer funktioneller Besserung, allerdings noch ohne elektrophysiologisch messbare Zeichen.
2. Eine Druckschädigung durch den Tourniquet zur Blutsperre
Es sei zwar eine pneumatische Manschette am linken Bein angelegt worden, diese sei aber nicht gefüllt worden, sodass diese Möglichkeit ausscheide.
3. Eine Nervenläsion durch den Schmerzkatheter
Eine Läsion beim Legen des Schmerzkatheters wäre in der Höhe der linken Leiste lokalisiert. Der Neurologe beschreibe aber die Läsion knienah, sodass ein Zusammenhang mit dem Schmerzkatheter nicht wahrscheinlich sei.
4. Ein Lagerungsschaden
Ein Lagerungsschaden am Nervus peroneus, der auf Höhe des Fibulaköpfchens eine geringe Weichteilpolsterung aufweist, sei grundsätzlich möglich. Da der Patient aber nicht in Linksseitenlage operiert wurde, scheidet diese Möglichkeit ebenfalls aus. Eine gleichzeitige Läsion des Nervus tibialis sei ebenso nicht vorstellbar.
5. Ein Bandscheibenvorfall
Der Patient wies zwar Bandscheibenschäden mit Protrusion auf. Der Neurologe konnte jedoch eine Lokalisation des Nervenschadens an der Wirbelsäule ausschließen.
6. Eine raumgreifende Nachblutung im Operationsgebiet
Diese wurde durch eine CT-Untersuchung ausgeschlossen.
Beurteilung
Eine haftungsbegründende scharfe Durchtrennung beider Nervenäste liegt nicht vor. Eine weitere Präzisierung der Ursachen wäre spekulativ, da sie objektiv nicht zu erbringen ist. Folglich lässt sich auch nicht feststellen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt und dieser die Nervenschädigung verursacht hat. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Schädigung auf der Verwirklichung eines eingriffsimmanenten Risikos beruht, das auch bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt nicht sicher zu vermeiden ist und das deshalb Gegenstand der Aufklärung des Patienten durch den Orthopäden und den Anästhesisten war. Ein ärztlicher Behandlungsfehler ist nicht nachweisbar.
Fall 2: Nervenläsion nach Behandlungsfehler, Aufklärung strittig
Ein 54-jähriger Berufskraftfahrer wirft dem im Verfahren in Anspruch genommenen niedergelassenen Chirurgen vor, dass im Zusammenhang mit einer Operation wegen einer Epicondylitis humeri ulnaris zusätzlich ein Weichteiltumor am Handgelenk reseziert wurde, was nicht von seiner Einwilligung gedeckt gewesen sei. Bei diesem rechtswidrigen Eingriff sei außerdem der Nervus medianus durchtrennt worden, was zu erheblichen postoperativen Schmerzen und Funktionseinschränkungen geführt habe. Als Vorschaden wird ein 30 Jahre zurückliegender Unfall am linken Unterarm angegeben.
In der Patientenakte findet sich der Eintrag, dass der Patient auch die Entfernung des Weichteiltumors am linken Unterarm wünsche. Dies wird vom Patienten bestritten. Die Operation erfolgte in Allgemeinnarkose. Der Neurologe diagnostizierte vier Wochen postoperativ eine erhebliche Läsion des Nervus medianus links auf Höhe des Karpaltunnels. In der MRT nach sechs Wochen findet sich eine spindelförmige Auftreibung des Nervus medianus mit Kontrastmittelanreicherung im Sinne einer akuten Blut-Nerven-Schrankenstörung. Zwei Monate später wird durch einen anderen Arzt eine Rekonstruktion des Nervus medianus mit einem Suralis-Interponat durchgeführt.
Der Erstgutachter stellt einen Behandlungsfehler fest: Die präoperative Diagnostik habe sich durchgehend nur auf die Epicondylitis humeri ulnaris im linken Ellenbogengelenk bezogen; hinsichtlich einer Exstirpation des Tumors im Bereich des linken körperfernen Unterarmes hätte zumindest eine präoperative bildgebende Diagnostik erfolgen müssen. Es sei unverständlich, dass bei der Aufklärung zur Operation nicht auf die Risiken einer Neuromentfernung hingewiesen worden sei. Das Aufklärungsgespräch sei nicht vom operierenden Arzt geführt worden. Die verbliebenen glaubhaften Beschwerden und Funktionseinschränkungen seien auf den Eingriff zurückzuführen.
Der belastete Chirurg beantragte daraufhin ein abschließendes Gutachten der Gutachterkommission. Er vertritt die Auffassung, dass der Hinweis auf Nervenverletzung, Taubheit, Kribbeln und Restbeschwerden im Aufklärungsbogen enthalten sei und dem Eingriff ausreichend Rechnung getragen habe.
Beurteilung
Nach erneuter vollständiger Überprüfung des Sachverhaltes hat die Gutachterkommission in ihrem abschließenden Gutachten zunächst darauf hingewiesen, dass es ihr gemäß ihrem Statut nicht möglich ist, den zwischen den Beteiligten streitigen Inhalt des Aufklärungsgesprächs zu klären, da sie nicht berechtigt ist, die Beteiligten oder Zeugen hierzu anzuhören. Dies bleibe einem etwaigen späteren Rechtsstreit vorbehalten.
Vor Entfernung des Tumors an der Beugeseite des körperfernen Unterarms hätte der Chirurg nach Ansicht der Gutachterkommission aufgrund seiner eigenen anamnestischen Erhebung („intermittierend Schmerzen und Taubheitsgefühl“) sowie der Lokalisation des Tumors den dringenden Verdacht auf eine frühere Nervenverletzung hegen müssen. Insofern wäre im Vorfeld eine bildgebende Diagnostik, auf jeden Fall aber eine neurologische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung des körperfernen Nervus medianus notwendig gewesen. Die Unterlassung dieser Untersuchungen wird von der Gutachterkommission als einfacher Befunderhebungsfehler bewertet.
Selbst wenn der Arzt der Auffassung gewesen sei, seine klinische Untersuchung habe ausgereicht, so hätte er als erfahrener Chirurg nach Präparation des Tumors an der distalen Unterarmbeugeseite feststellen müssen, dass es sich um einen Prozess im Bereich des Nervus medianus handelte. Nach Auffassung der Gutachterkommission hätte der Arzt den Eingriff sofort ohne Durchführung weiterer Maßnahmen abbrechen müssen, da ohne entsprechende Ausrüstung (Mikro-Instrumentarium und Lupenbrille beziehungsweise Operationsmikroskop) eine Exploration nicht hätte fortgeführt werden dürfen. Auch sei für einen derartigen Eingriff am Nerven die vorliegende Aufklärung unzureichend gewesen.
Zusammenfassend wird festgestellt, dass der von dem Patienten gegenüber dem Chirurgen erhobene Vorwurf eines ärztlichen Behandlungsfehlers insbesondere in Form eines Befunderhebungsfehlers berechtigt ist.
Fall 3: Fehlerhafte Aufklärung
Den Ärzten einer orthopädischen Klinik wird vorgeworfen, anlässlich einer Lipomentfernung ohne vorherige Einwilligung den intratumoral verlaufenden Nervus radialis reseziert und hierdurch den Gesundheitsschaden einer sogenannten Fallhand links verursacht zu haben.
Der 73-jährige Patient macht geltend, dass er bei der ersten Vorstellung in der Ambulanz der belasteten orthopädischen Klinik über eine seit etwa vier Jahren bestehende Umfangsvermehrung am linken Arm geklagt habe. Dort sei ein Tumor zu tasten gewesen, der sich im Verlauf nicht verändert habe. In letzter Zeit seien jedoch störende Taubheiten an der linken Hand aufgetreten. Daraufhin sei zwei Monate später in der belasteten Klinik eine operative Entfernung des Tumors, der als Lipom interpretiert worden war, erfolgt, die zu einer seither bestehenden Fallhand geführt habe. Über ein solches Risiko sei er nicht aufgeklärt worden.
In den Unterlagen der belasteten Klinik wird festgehalten, dass der Patient zum Zeitpunkt der Erstvorstellung zunächst in der nicht belasteten Neurologie des Hauses behandelt wurde. Niedergelegt wurde dort ein Z. n. Apoplex vor vier Jahren. Vor drei Jahren war ein maligner Nierentumor im Stadium pT1a beidseits chirurgisch behandelt worden. In einer drei Wochen alten MRT wurde der Befund einer großen Raumforderung von 6 x 2 x 10 x 14 Zentimetern im linken Arm mit Ausdehnung bis zur Axilla beschrieben, die den Nervus ulnaris und die Vasa axillaris verlagerte. Eine Kompression des Nervus radialis beziehungsweise eines Astes des Nervus radialis wurde nicht erwähnt. Klinisch habe sich eine große, derb verschiebliche Umfangsvermehrung im Bereich des Oberarms gezeigt. Taubheiten der Hand hätten bestanden.
Der Patient sei daraufhin an die belastete orthopädische Klinik überwiesen worden. Dort wird über die Wachstumsprogredienz unterschiedlich berichtet. Einerseits wird ein kontinuierliches Wachstum notiert, andererseits wird im Brief der Orthopäden nach dem Eingriff ein Wachstum explizit verneint.
Auch bezüglich der Kommunikation der möglichen Therapieoptionen gibt es unterschiedliche Sachverhaltsdarstellungen. Die belasteten Orthopäden geben in ihrer Stellungnahme an, dass dem Patienten die Option eines abwartenden und beobachtenden Vorgehens dargelegt worden sei, der Patient aber eine komplette Resektion des Tumors gewünscht habe, nachdem ihm vermittelt worden sei, dass eine Exzisionsbiopsie aufgrund des bestehenden Risikos einer malignen Entartung anzuraten sei. Der Patient bestreitet, dass eine Biopsie besprochen wurde. Insbesondere sei auf das Risiko einer möglichen Durchtrennung und/oder Entfernung von Nerven nicht hingewiesen worden.
Bei dem Eingriff habe sich laut dem OP-Bericht gezeigt, dass ein Ast des Nervus radialis in der Tumormasse verlief. In Abwägung der Risiken einer malignen Entartung habe man sich daher für eine Nervenresektion entschieden und zugleich eine marginale Exzisionsbiopsie durchgeführt. Aufgrund der Resektion des Nervens sei eine Fallhand aufgetreten. Man habe dem Patienten umgehend die Nervenrekonstruktion mit einem Nervus suralis-Interponat empfohlen und ihn hierzu in eine andere Klinik überwiesen.
Von der Gutachterkommission wurde zunächst ein externes Gutachten eingeholt, das einen Behandlungsfehler verneinte. Die Resektion des zutreffend identifizierten atypischen lipomatösen Tumors im Wege einer Exzisionsbiopsie habe den aktuellen medizinischen Behandlungsgrundsätzen entsprochen. Insbesondere die Entscheidung, den Tumor nicht zu öffnen, sondern eine Resektionsbiopsie vorzunehmen, sei nachvollziehbar im Hinblick auf die klinische Praxis zum Vorgehen bei einer Tumorerkrankung. Ob – wie vom Patienten behauptet und von den Orthopäden bestritten – über verschiedene Therapieformen und insbesondere die Biopsie als Option gesprochen und auf die Entfernung hingewiesen worden sei, könne den Behandlungsunterlagen nicht entnommen werden.
Der Patient beantragte daraufhin ein abschließendes Gutachten der Gutachterkommission. Insbesondere verwies er darauf, dass nur über mögliche Nervenverletzungen gesprochen worden sei. Von einer Durchtrennung oder gar Entfernung eines Nervens sei nicht die Rede gewesen. Der Tumor habe nur den Umfang von 14 x 12 x 10 Zentimetern gehabt. Es sei aber ein Nerveninterponat von etwa 20 Zentimetern nötig geworden. Ein derartig aggressives Vorgehen sei nicht gerechtfertigt gewesen, da die Natur des Tumors zum Zeitpunkt des Eingriffs noch nicht bekannt gewesen und man von einem Lipom ausgegangen sei.
Beurteilung
Die Gutachterkommission hat den Sachverhalt einer erneuten vollständigen und eigenständigen Überprüfung unterzogen. Sie stimmt dem Sachverständigen insofern zu, dass der operative Eingriff indiziert war und beanstandungsfrei erfolgte.
Das Vorgehen war bei dem fakultativ maligne entarteten Weichteiltumor in Form einer onkologischen Strategie mit dem Ziel einer R0-Resektion unter Mitnahme des Nervus radialis sachgerecht gewählt und vorgenommen. Für den Fall einer malignen Entartung hätte sich nach Eröffnen des vermeintlichen Lipoms mit Freilegung des Nervus radialis eine schlechtere Langzeitprognose wegen der unsicheren Radikalität ergeben, selbst wenn sich der Tumor in den letzten vier Jahren nicht verändert hatte.
Die präoperative MRT wurde von der Gutachterkommission einer eigenständigen Bewertung unterzogen. Sie zeigt ein Lipom von 12 x 14 Zentimetern, das der dorsalen Oberfläche des Oberarmknochens im Schaftbereich anliegt. Der Nervus radialis wird vom Tumor nicht durch eine Zwischenschicht abgegrenzt, sodass davon auszugehen ist, dass er sich im Tumor befindet.
Risikoaufklärung
Inwieweit der Patient im persönlichen Gespräch vor der Operation Informationen zu möglichen Behandlungsalternativen erhalten hat, lässt sich anhand der vorgelegten Dokumentation der Aufklärung, auf die sich die Kommission in ihrer Beurteilung stützt, nicht entnehmen. Es fehlen die Aufzeichnungen zu der insoweit maßgeblichen ambulanten präoperativen Konsultation.
Ebensowenig kann die Gutachterkommission eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung im schriftlich geführten Begutachtungsverfahren feststellen. Vorgelegt wurde ein pro Compliance-Formular zur „Operativen Behandlung von Knochentumoren“. Im gedruckten Text finden sich keine Markierungen. Die handschriftlichen Einträge enthalten unter anderem den pauschalen Hinweis auf eine mögliche „Verletzung von Nerven, Nachbarstrukturen“. Es wurde notiert, dass eine Kopie nicht gewünscht wurde.
Mit Blick auf den klinischen Befund und die MRT-Bilder mit durchziehendem Nerven wäre es nach Ansicht der Gutachterkommission erforderlich gewesen, dezidiert über das Risiko einer iatrogenen Schädigung des Nervus radialis bis hin zur begründeten Opferung des peripheren sensiblen und motorischen Nervens mit den daraus resultierenden Folgen für die Funktion des Unterarms und der Hand aufzuklären.
Das vorgebrachte Argument, dass in der MRT-Untersuchung der Verlauf des Nervens im Lipom nicht offensichtlich gewesen sei und deshalb erst intraoperativ die Opferung habe entschieden werden müssen, überzeugte die Gutachterkommission nicht. Die Kenntnis der anatomischen Beziehung des Nervus radialis zum Knochenschaft in der mittleren Diaphyse des Humerus ist chirurgisches Allgemeingut. Sekundäre Radialisparesen stellen eine häufige Komplikation bei Operationen in diesem Bereich dar, weshalb das Risiko an erster Stelle zu nennen war, und das bereits unabhängig von der intraoperativen Entscheidung der Opferung.
Fazit
Die gewählte und für viele Eingriffe übliche pauschale Nennung von „Nervenverletzungen“ beschränkt sich auf kleine sensible Nervenäste oder Druckschädigungen größerer Nerven durch Haken ohne Kontinuitätsunterbrechung, nicht aber auf die Resektion großer, namhafter Nervenstämme.
Bei bekanntem Verlauf des Nervus radialis im Tumorbereich war der Eingriff nach der vorgelegten Dokumentation der Risikoaufklärung nicht von der Einwilligung des Patienten getragen. Ob das Risiko einer Schädigung des Nervus radialis abweichend von der Dokumentation Gegenstand des mit dem Patienten geführten Aufklärungsgesprächs war, lässt sich mit den Mitteln der Kommission nicht klären, denn ihr ist – anders als in einem Gerichtsverfahren – die Anhörung der Beteiligten oder von Zeugen nicht möglich. Wird aber aufgrund der anatomischen Gegebenheiten eine Opferung eines bestimmten Nervenastes in Betracht gezogen, so ist eine dokumentierte Risikoaufklärung einschließlich der zu erwartenden Folgen unerlässlich.
Die Beweislast, dass die Risikoaufklärung sachgerecht erfolgte, liegt bei den behandelnden Orthopäden. Zur sachgerechten Aufklärung gehört, dass diese den Hinweis auf die bei Operationen in diesem Bereich stets möglichen sekundären Folgen enthält. Im vorliegenden Fall muss mit Blick auf das Tumorausmaß und die nicht bekannte Dignität des Tumors aber auch auf die nötige Radikalität mit der Folge einer primären Radialisparese hingewiesen werden. Bis zum Beweis des Gegenteils, zum Beispiel im Rahmen eines Gerichtsverfahrens, ist davon auszugehen, dass der Eingriff rechtswidrig erfolgte und den Orthopäden die Folgen in Bezug auf den Nervus radialis links mit teilweisem Funktionsverlust der Hand bei Linkshändigkeit anzulasten sind.
Vor dem Kölner Landgericht wurde kürzlich einer linkshändigen Klägerin wegen einer iatrogenen Schädigung des N. ulnaris am li. Ellenbogen eine Entschädigung von 134.000 Euro und eine lebenslange Rente von 10.000 Euro jährlich zugesprochen.
Professor Dr. med. Klaus Rehm ist ehemaliger Direktor der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Universität zu Köln
Dr. med. Ulrich Grasist Stellvertretendes Geschäftsführendes Kommissionsmitglied,
Dr. jur. Peter Langeist Stellvertretender Vorsitzender und
Dr. med. Beate Weber ist die für die Dokumentation und Auswertung zuständige Referentin in der Geschäftsstelle der Gutachterkommission
Literatur
[1] Bergmeister KD, Schwarz D, Kneser U, Harhaus L: Nervenläsionen bei orthopädischen und unfallchirurgischen Eingriffen. Orthop Unfallchir up2date 15, 1 (2020) 87-103
[2] Weynandt CL, Kowski A, Perka C, Raskow A: Iatrogene Nervenläsionen in der Hüft- und Knieendoprothetik. Z Orthop Unfall. Online publiziert 09.07.2020. CME Artikel
[3] Rosenberg R, Weber B. Ärztliche Informations- und Dokumentationspflichten nach dem Patientenrechtegesetz. RÄ 2020 (3): 28 – 31
[4] Knahr K , Krugluger J, Pluschnig U: Periphere Nervenläsionen nach Hüft-Totalendoprothesen. Z Orthop 137 (1999) 140-144
[5] Schoellner C, Schoellner D: Nervenläsionen bei der Hüft-TEP- Implantation – Strategien zur Lähmungsprophylaxe. Qualitätssicherung und Risk-Mangement in der Operativen Orthopädie und Unfallchirurgie. Z Orthop 141 (2003) 289-295
[6] Antoniadis G, Kretschmer T, Pedro MT König RW Heinen CPG Richter HP: Iatrogenic neurological damage – prevalence, diagnosis and treatment.Dtsch Arztebl Int 2014; 111(16): 273–27