Seit Herbst 2020 stehen verschreibungsfähige digitale Gesundheitsanwendungen zur Verfügung. Das Angebot ist bisher übersichtlich.
von Jürgen Brenn
Sie tragen Namen wie Velibra, Kalmeda, elvida, Invirto, Selfapys, Rehappy oder somnia. Obwohl Ärztinnen und Ärzte diese Produkte zur Prävention, Diagnostik, Therapie oder Nachsorge einsetzen und auf Rezept verordnen können, können Patientinnen und Patienten diese Rezepte nicht in der Apotheke einlösen. Denn es handelt sich dabei nicht um Medikamente, die aus Blistern gedrückt werden, sondern um Computer-Software, sogenannte Gesundheits-Apps, die auf dem Handy, dem Tablet oder dem Computer ihre präventive, therapeutische oder nachsorgende Wirkung entfalten sollen. Seit 6. Oktober 2020 stehen die ersten „Digitalen Gesundheitsanwendungen“ (DiGA) zur Verfügung.
Da die Patienten die Rezepte bei ihrer gesetzlichen Krankenkasse einreichen und die Ärzte ihre Leistungen direkt mit der Kasse abrechnen, hat die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein keine Informationen über das Verschreibungsgeschehen. Auf Nachfrage des Rheinischen Ärzteblattes teilte die Techniker Krankenkasse (TK) mit, dass bundesweit seit Oktober 2020 rund 1.000 Rezeptcodes von der TK ausgegeben wurden. Die Barmer spricht von Antragszahlen im „mittleren dreistelligen Bereich“.
Die Auswahl an zertifizierten und damit verschreibungsfähigen Apps hält sich noch in Grenzen. Anfang des 4. Quartals 2020 standen zwei Apps in dem DiGA-Verzeichnis, das beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt ist. Mittlerweile finden sich dort zehn Anwendungen, die sich vor allem auf die Prävention oder Behandlung von psychischen Erkrankungen wie Angstzuständen und Depressionen konzentrieren oder bei Migräne und der Nachsorge von Schlaganfallpatienten zum Einsatz kommen.
Grundlage für die Erstattungsfähigkeit der DiGA ist das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG), das am 19. Dezember 2019 in Kraft trat. Des Bundesgesundheitsministerium schrieb damals: „Künftig können solche Apps vom Arzt verschrieben werden. Die Kosten dafür zahlt die gesetzliche Krankenversicherung (GKV). Damit das möglichst unbürokratisch möglich ist, wird der Zugang für die Hersteller erleichtert.“ Erklärtes Ziel von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn war es, mit diesem Gesetz Gesundheits-Apps rasch verfügbar zu machen. Zwischen Antrag und Prüfungsentscheidung des BfArM dürfen laut DVG maximal drei Monate liegen. Danach erfolgt bei positiver Entscheidung eine „vorläufige Aufnahme“ in das Register. Eine Aussage über den medizinischen Nutzen und die Qualität der Software trifft das BfArM zu diesem Zeitpunkt nicht. Diese Angaben müssen die Produkthersteller innerhalb des ersten Jahres nachliefern, damit eine dauerhafte Aufnahme erfolgen kann. Derzeit haben lediglich drei der gelisteten DiGA diesen Status; sieben sind vorläufig in das Register aufgenommen. Allerdings können auch diese Apps von Ärztinnen und Ärzten zulasten der GKV verschrieben werden.
Der fehlende Nachweis der Effizienz ist neben der Preisgestaltung der Apps einer der Hauptkritikpunkte sowohl der Ärzteschaft als auch der Krankenkassen. In einem Positionspapier bemängelt der GKV-Spitzenverband, dass die „gesetzlichen Rahmenbedingungen der DiGA-Zulassung und -Vergütung unzureichend ausgestaltet sind, um die Anforderungen an Nutzen, Qualität und Wirtschaftlichkeit ausreichend zu gewährleisten.“ Dr. Oliver Funken, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein und Vorsitzender des Kammerausschusses „Qualitätssicherung“ weist ebenfalls auf die „Webfehler“ des DVG hin, „die es ermöglichen, Apps ohne Evaluation an Patienten abzugeben“. Er hoffe darauf, dass das derzeit als Referentenentwurf vorliegende Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege (DVPMG) bei diesem Punkt Verbesserungen mit sich bringe. Funken betont in diesem Zusammenhang: „Nach unserer bisherigen Auffassung können DiGA als ergänzende Maßnahme den Lebensstil verändern helfen, ersetzen aber nicht eine umfassende ärztliche Betreuung.“ Auch die Bundesärztekammer sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung sehen die DiGA als Ergänzungen der geläufigen Behandlungsmethoden. Sie schreiben in ihrer Handreichung zu dem Thema: „Die ‚alte‘ und die ‚neue‘ Welt haben mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die digitalen Möglichkeiten rütteln nicht an den Grundfesten der medizinischen Behandlung.“
Weitere Informationen und Links
- Das aktuelle Verzeichnis der Digitalen Gesundheitsanwendungen findet sich beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) unter https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis.
- Zahlreiche Informationen auch für Nutzer hat das BfArM auf dem Portal zu den DiGA zusammengefasst unter https://diga.bfarm.de/.
- Tipps und Hinweise für Gesundheits-Apps in der Praxis hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung auf ihrer Homepage kompakt zusammengestellt unter www.kbv.de/html/1150_50273.php.
- Die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung haben die Handreichung für Ärztinnen und Ärzte „Gesundheits-Apps im klinischen Alltag“ veröffentlicht. Sie findet sich mit zahlreichen Praxistipps und Beispielen sowie einem Informationsblatt für Patienten auf der Homepage des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin unter www.aezq.de/gesundheitsapps
- Auf dem Portal kvappradar, das das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) betreibt, können sich Ärztinnen und Ärzte sowie Psychologische Psychotherapeuten über Nutzen und Erfahrungen mit mehr als 3.400 Gesundheitsapps, die von Softwarefirmen angeboten werden, austauschen und diese auch testen. Das Portal findet sich unter www.kvappradar.de.