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Wie grün sind Kliniken und Praxen?

21.07.2021 Seite 14
RAE Ausgabe 8/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 8/2021

Seite 14

  • Die Photovoltaik auf den Dächern der Neurologie, Psychiatrie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Bonn sorgt für nachhaltigen und klimaneutralen Strom. Zudem betreibt das Klinikum drei eigene Blockheizkraftwerke mit einer elektrischen Leistung von 3 x 2050 Kilowatt und einer thermischen Leistung in Höhe von 3 x 2028 Kilowatt. © Universitätsklinikum Bonn (UKB)/J. F. Saba
  • Ein durchschnittliches Krankenhaus verbraucht etwa so viel Energie wie eine Kleinstadt. In den vergangenen Jahren arbeiten immer mehr Kliniken und auch Arztpraxen daran, ihren ökologischen Fußabdruck nachhaltig zu verbessern. © J.M. Image Factory/stock.adobe.com
Weltweit ist der Gesundheitssektor für 4,4 Prozent der globalen Treibhausgase wie CO2 verantwortlich. Damit liegt er sogar über den Emissionen des Flugverkehrs. Doch lassen sich die Großverbraucher des Gesundheitswesens tatsächlich klimafreundlicher gestalten?

von Vassiliki Latrovali

Extreme Trockenheit, Starkregen, häufigere Hitzewellen: Auch in Deutschland sind die Auswirkungen der fortschreitenden Erderwärmung zu spüren. Bereits 2009 hat die Lancet Kommission festgestellt, dass der Klimawandel die größte Bedrohung für die globale Gesundheit im 21. Jahrhundert darstellt. Für immerhin 4,4 Prozent der weltweiten Emissionen ist der Gesundheitssektor verantwortlich. Ein durchschnittliches Krankenhaus verbraucht täglich so viel Energie wie eine Kleinstadt. Dazu kommen etwa 500 Liter Wasser pro Patient und mehrere Kilogramm (Sonder-)Müll, der zum Teil aufwendig entsorgt werden muss. Wenn Hygienevorschriften eingehalten und die Sicherheit von Patienten garantiert werden soll, scheinen viele dieser energieaufwendigen Prozesse unumgänglich zu sein.
 

Das Projekt „KLIK green“ hat es sich seit 2016 zur Aufgabe gemacht, den ökologischen Fußabdruck deutscher Kliniken zu verbessern. In bundesweit 250 beteiligten Krankenhäusern und Reha-Kliniken wird dazu Personal zu Klimamanagerinnen und -managern weitergebildet. Mit energie- und ressourcenschonenden Maßnahmen seien seither mehr als 100.000 Tonnen Treibhausgase und viele Millionen Euro Betriebskosten in den teilnehmenden Einrichtungen eingespart worden, heißt es vonseiten der Initiatoren. Begleitet und unterstützt wird „KLIK green“ durch das Bundesumweltministerium, den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen und das Universitätsklinikum Jena.
 
Auch das Marien Hospital in Düsseldorf-Pempelfort, das zum Verbund Katholischer Kliniken Düsseldorf (VKKD) gehört, nimmt am Projekt „KLIK Green“ teil. Hier ist Annegret Voß Klimamanagerin. „Im Rahmen meiner Tätigkeit als Qualitätsmanagerin am Klinikum bin ich im ständigen Austausch mit allen Abteilungen und habe dadurch natürlich auch die Möglichkeit, Anregungen und Ideen aller Beteiligten entgegenzunehmen“, sagt Voß. Ziemlich schnell sei dabei deutlich geworden, dass sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach klimafreundlicheren Alternativen sehnten. „Der Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen ist dafür unheimlich wichtig. Denn jeder weiß für seinen Arbeitsplatz am besten, wo sich Energiefresser verbergen und was unter dem Umweltschutz-Aspekt verbessert werden kann. Bei ‚KLIK Green‘ geht es darum, den Klima-Gedanken in die bestehenden Strukturen und Arbeitsabläufe zu integrieren und zu einem Teil des Arbeitsalltags zu machen.“ Die Klimamanager seien ein Teil davon. „In einer Projektgruppe mit Vertretern aus den Abteilungen Technik, Hauswirtschaft, Arbeitssicherheit, Qualitätssicherung und der Geschäftsführung bewerten wir regelmäßig Vorschläge von Kolleginnen und Kollegen zum Klimaschutz hinsichtlich ihrer Machbarkeit. Dann suchen wir nach Möglichkeiten der Umsetzung. Da braucht es manchmal gar nicht den großen Wurf mit teuren Anschaffungen.
Kleine positive Veränderungen in die richtige Richtung können viel bewirken.“ Das Projekt konzentriere sich dabei auf die Aktionsfelder Technik, das besonders im Fokus steht, Ressourcen, Ernährung, Mobilität und Abfallmanagement. Die jährlichen Aufwendungen zur Verbesserung der Energieeffizienz und zum Klimaschutz liegen in den Einrichtungen des VKKD im mittleren sechsstelligen Bereich – die Kosten werden überwiegend aus Eigenmitteln finanziert. „Wir sehen großes Potenzial in den Themenfeldern Bau und Energie, Speisenversorgung und beim individuellen Verhalten. Unsere Ideen und Aktivitäten reichen von der Einführung eines vegetarischen Tages über eine konsequente Mülltrennung in allen Bereichen des Krankenhauses und klimafreundliches Bauen mit Solarpanels und Wärmedämmung bis hin zum Thema Elektromobilität bei den Pool-Fahrzeugen – deren Einführung ist noch für dieses Jahr vorgesehen“, erklärt Voß. Vieles sei schon umgesetzt: In den vergangenen 15 Jahren sind am Marien Hospital beispielsweise aufwendige Sanierungsarbeiten erfolgt, bei denen statt klimaschädlicher Klimaanlagen temperaturregulierende Decken eingebaut wurden.

„Auf manchen Ebenen, wie bei der Patientensicherheit, können wir natürlich keine Abstriche machen. So sind viele OP-Bestecke oder Hygieneartikel Einwegmaterialien,“ sagt Voß. Doch selbst hier könne zumindest auf unnötiges Verpackungsmaterial verzichtet werden. Bei den regelmäßigen Routineprüfungen von Elektrogeräten lohne sich der Aufwand besonders: Hier würden nicht nur Funktionsmängel entdeckt, sondern vor allem Ressourcenfresser gefunden und gegen energiesparende Modelle ausgetauscht – das sei auch bei medizinischen Großgeräten möglich, die für die optimale Versorgung von Patienten unverzichtbar sind.
 

Auch am Universitätsklinikum Bonn (UKB) werden bereits seit vielen Jahren Klimaschutzprojekte verwirklicht, darunter KLIK Green, Zukunft Krankenhaus Einkauf (ZUKE) und Klimaretter-Lebensretter. „Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Ressourcenschonung haben sich bei uns zu einem zentralen Schlüsselthema entwickelt“, sagt Professor Dr. Wolfgang Holzgreve, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender des UKB. „Eigens dazu haben wir vor geraumer Zeit ein Nachhaltigkeitskonzept ins Leben gerufen. Unsere Geschäftsbereichsleiterin für Facility Management kümmert sich, zusammen mit vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus allen Berufsgruppen, in vorbildlicher Weise um dieses Thema.“ Zudem verfüge das UKB über eine interne Arbeitsgruppe „ukbGreen“ mit über 35 Mitgliedern aus den verschiedensten Fachbereichen des Klinikums. „Jede bereits vorhandene und jede neue Maßnahme wird bei uns sowohl durch die Fachbereiche als auch durch unsere Nachhaltigkeits-Arbeitsgruppe beleuchtet und bewertet“, führt der UKB-Vorstandsvorsitzende weiter aus.

Bei allen neuen Projekten und Ideen sei es wichtig, nicht außer Acht zu lassen, dass die Hauptaufgabe des Klinikums darin bestehe, Patienteninnen und Patienten bestmöglich medizinisch zu versorgen. „Wir sehen uns aber selbstverständlich auch in der Verantwortung für nachfolgende Generationen“, betont Holzgreve. Die ersten zukunftsweisenden Entscheidungen und Maßnahmen habe bereits vor vielen Jahren der UKB-Vorstand getroffen. „Als modernes Klinikum der Maximalversorgung sind wir davon überzeugt, dass wir es uns nicht leisten können, nicht in nachhaltige Entwicklung zu investieren. Ökologie und Ökonomie müssen nicht im Widerspruch stehen. Nur umweltbewusst wirtschaftenden Kliniken wird es in Zukunft gelingen, medizinische Höchstleistungen bei tragbaren Kosten zu erbringen.“ 

Innovative Impulse

Einige Beispiele: Zur Strom- und Wärmeerzeugung betreibt das Klinikum drei eigene Blockheizkraftwerke mit einer elektrischen Leistung von 3 x 2050 Kilowatt und einer thermischen Leistung in Höhe von 3 x 2028 Kilowatt. „Wir setzen zudem auf Photovoltaik auf einigen unserer Dachflächen, um nachhaltigen und klimaneutralen Strom zu erzeugen“, so Holzgreve. Zudem nutze das UKB ein digitales Wertstoffmanagementsystem für medizinische Einrichtungen, das in Kooperation mit einem jungen Technologieunternehmen entwickelt wurde. Im Bereich der Anästhesie habe man erfolgreich den Einsatz von volatilen Anästhetika reduzieren können. „Selbst Suchanfragen im Internet sind bei uns klimafreundlich. Als bundesweit erstes Universitätsklinikum setzen wir als Standard die nachhaltige Suchmaschine Ecosia ein und finanzieren dadurch monatlich die Pflanzung von durchschnittlich 800 Bäumen“, erläutert der Ärztliche Direktor. Als drittgrößter Arbeitgeber in Bonn steht das Klinikum außerdem hinter den Plänen für den Bau einer Seilbahn für Pendlerinnen und Pendler. „Wir sind davon überzeugt, dass die Seilbahn die Verkehrsbelastung deutlich verbessert und mit einem klugen Energiekonzept klimaneutral betrieben werden kann. Das wäre ein Quantensprung und ein großartiges Signal für unsere Stadt. Es wird ein Umdenken stattfinden müssen. Wir werden unserem Planeten die Belastungen der vergangenen Jahre nicht weiter zumuten können“, sagt Holzgreve.
 

Dass auch Arztpraxen klimafreundlicher gestaltet werden können, beweist Dr. Ralph Krolewski aus Gummersbach. Der niedergelassene Facharzt für Allgemeinmedizin ist in der Region als „Klima-Doc“ bekannt – und das nicht nur, weil er Hausbesuche seit vielen Jahren mit seinem E-Bike erledigt. „Der zunehmende Klimawandel hat viele Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Neue Pollenarten, FSME-Erkrankungen durch Ausbreitung von Zecken, heftigere Hitzewellen und vieles mehr. Das ist alles durch Studien belegt“, sagt Krolewski. Als Mediziner könne man da nicht wegschauen.

Für einen besseren ökologischen Fußabdruck bezieht die Praxis Ökostrom. Gerne, so der Allgemeinmediziner, würde man auch eine klimaneutrale Wärmeversorgung nutzen. Für Praxen sei dies allerdings etwas schwieriger: „Man benötigt dafür eine Nahwärmeversorgung, Blockheizraftwerke oder photovoltaikbetriebene Wärmetauscher im Gebäudebestand.“ Eine weitere Herausforderung stellen auch in der Praxis die Einwegprodukte dar. Krolewski setzt hier auf Gespräche mit der Industrie, die Alternativen schaffen sollte. Was in diesem Bereich umgestellt werden konnte, hat die Praxis bereits verändert. „Die britischen Kolleginnen und Kollegen machen das schon im großen Stil. Sie treten beispielsweise mit der Pharmaindustrie in Verhandlungen, um die gesamten Prozesse, also auch Lieferketten und Einpacksysteme, klimaneutraler zu gestalten. Sie wollen in 650 Handlungsfeldern bis 2040 ein klimaneutrales Gesundheitswesen auf den Weg bringen“, schildert Krolewski. Zwölf Prozent der in der Praxis anfallenden Treibhausgase gingen auf Arzneimittelverordnungen zurück. „Zwei Hübe eines Gas-Inhalators bei Asthma- oder COPD-Patienten haben die gleiche Ökobilanz wie fünf Kilometer Autofahren. Wenn man sich dessen bewusst ist, kann man auch bei Arzneimittelentscheidungen klimaschonend handeln. Das wären in diesem Fall Pulver-Inhalatoren“, erklärt der Allgemeinarzt. Des Weiteren sei es wichtig, medizinische Geräte mit Stand-by-Funktion zu benutzen und in der Praxisverwaltung, so gut es gehe, auf Papiermüll zu verzichten. Bereits seit vielen Jahren fährt Krolewski zu Hausbesuchen mit seinem E-Bike. „Das sind 70 bis 100 Kilometer in der Woche. Das tut mir persönlich sehr gut. Ich arbeite knapp 50 bis 60 Stunden als Hausarzt im Bergischen, das Fahrrad ist ein schöner Ausgleich. Auch meine Mitarbeiterinnen bewegen sich mehr aus eigener Kraft“, sagt Krolewski. „Während meiner Teilnahme an Fachkonferenzen der WHO bei den letzten Weltklimakonferenzen wurde mir zudem klar, dass ich mein erlangtes Wissen auch in meiner Praxis umsetzen wollte. Daraus entstand das Konzept der ‚Klima-Sprechstunde‘, welches die in Studien nachgewiesenen enormen gesundheitlichen Benefits bei einem nachhaltigen Lebensstil mit Patienten bei Vorsorgeuntersuchungen und akuten Behandlungsanlässen erörtert und damit eine Verbesserung der Prognose in den Fokus nimmt.“ Der Allgemeinarzt ist überzeugt davon,dass der Ansatz von „Planetary Health“ in der Verknüpfung mit individueller Gesundheit und dem Erhalt der natürlichen Erdsysteme einen wesentlichen und notwendigen Paradigmenwechsel darstellt und das Wissen der umfassenden UN-Synthesereports zum Zustand des Planeten in den ärztlichen Alltag integriert werden sollte. „Eine pflanzenbasierte Ernährung und Alltagsbewegung sind neben sozialen und psychischen Faktoren und Konsumweisen wesentliche Kontextfaktoren zur Vermeidung von Erkrankungen.“