Vorlesen
Thema

„Mit der Impfwelle vor die Infektionswelle kommen“

25.03.2021 Seite 12
RAE Ausgabe 4/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 4/2021

Seite 12

Zum zweiten Mal tagte das Parlament der rheinischen Ärztinnen und Ärzte pandemiebedingt audiovisuell. Der Kampf gegen COVID-19, insbesondere der Fortgang der Impfkampagne, prägte die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein am 13. März. Wichtige Themen, die das Selbstverständnis und die Zukunft des Berufs berühren, waren der assistierte Suizid und die Reform der ärztlichen Ausbildung.

von Heike Korzilius

Die Diskussion im Plenum, das Gespräch am Rande der Sitzung, der Austausch über Fach- und Fraktionsgrenzen hinweg – bereits zum zweiten Mal in diesem Pandemie-Jahr 2020/2021 fand all das anstatt im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf per Videokonferenz und Chat statt. Routiniert und gründlich arbeiteten die Mitglieder der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein (ÄkNo) am 13. März eine umfangreiche Tagesordnung ab. Im Vordergrund stand dabei zunächst der Kampf gegen die Corona-Pandemie. 

Deutschland verzeichne seit Mitte Februar wieder eine stetige, inzwischen deutlich beschleunigte Ausbreitung des Infektionsgeschehens, erklärte ÄkNo-Präsident Rudolf Henke. Am 13. Februar habe die 7-Tage-Inzidenz in Nordrhein-Westfalen noch bei 56,1 pro 100.000 Einwohner gelegen. „Heute sind wir bei einer Inzidenz von 73,2 angekommen“, sagte Henke. Dabei sei der Anteil der deutlich ansteckenderen britischen Virusmutation mittlerweile für 55 Prozent der Infektionen verantwortlich. Der Kammerpräsident wies zugleich darauf hin, dass die zur Jahreswende begonnene Impfkampagne erste Erfolge zeige. Inzwischen seien vier Impfstoffe in der Europäischen Union zugelassen. „Und wir sehen, dass die priorisierte Impfreihenfolge der letzten Monate wirkt“, betonte Henke. Es gebe deutlich weniger schwere Erkrankungen und Todesfälle in der Gruppe der über 80-Jährigen. Unter den rund 190.000 Bewohnern nordrhein-westfälischer Alten- und Pflegeheime habe es vor dem Start der Impfungen zu Weihnachten 5.265 Infizierte gegeben, am 12. März seien es dagegen nur noch 281 gewesen. „Das ist ein großer Erfolg“, sagte Henke.

Mit Impfungen, Schnelltests, dem Einsatz von Apps und den bekannten Hygieneregeln – Abstand halten, Masken tragen, Lüften – habe man ein Bündel an Maßnahmen an der Hand, mit denen ein möglicher exponentieller Anstieg in der dritten Infektionswelle abgewendet werden könne. Die Kombination all dieser Maßnahmen sei weiterhin dringend notwendig, weil die beginnenden Öffnungen von Schulen, Kitas und Einzelhandel Risiken bergen. „Jetzt heißt es, gemeinsam so lange vernünftig mit den noch nötigen Einschränkungen umzugehen, bis wir mit der Impfwelle vor die Infektionswelle kommen“, mahnte Henke. 

Die Kammerversammlung forderte in einem Beschluss, sämtliche in Deutschland zugelassenen Impfstoffe auch zu nutzen. Man könne es sich angesichts der ernsten Lage schlicht nicht leisten, dass Impftermine verfielen und Impfstoff liegenbleibe oder gar verfalle. Um das Impftempo zu erhöhen, müssten zudem die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie die Betriebsärzte so schnell wie möglich in die Impfkampagne einbezogen werden (siehe „Entschließungen der Kammerversammlung am 13. März 2021“ auf Seite 17 ff.). Henke hatte zuvor betont, die Impfzentren, in denen gute Arbeit geleistet werde, könnten es alleine nicht schaffen, das Ziel von einer Million Impfungen täglich zu erreichen. Er hoffe, dass man das Potenzial von bundesweit 75.000 Praxen und von Impfungen in Betrieben spätestens ab dem 2. Quartal nutzen könne, für das insgesamt knapp 77 Millionen Impfdosen avisiert seien.
 

Der Kammerpräsident wies zudem darauf hin, dass Priorisierungsdiskussionen aus den Praxen herausgehalten werden müssten. Solange nicht genügend Impfstoff vorhanden sei, sei eine Priorisierung zum Schutz von Leib und Leben der Schwächsten unverzichtbar. Die Aufklärung über die Impfreihenfolge, wie sie die Ständige Impfkommission beim Robert Koch-Institut festlege, sei aber nicht Aufgabe der niedergelassenen Ärzte, sondern der Gesundheitsbehörden vor Ort. Je mehr Impfstoff verfügbar sei, desto flexibler müssten Ärztinnen und Ärzte „entlang der Priorisierung“ impfen können, forderte Henke: „Da muss der Staat dann auch einfach mal das Vertrauen in die Kollegenschaft setzen.“

Der Ablauf der Impfungen in den Arztpraxen müsse so unbürokratisch wie möglich gestaltet werden, forderte Dr. Oliver Funken in der anschließenden Aussprache. Wie zuvor Henke betonte auch der Hausarzt aus Rheinbach: „Wir müssen mit dem Impfen vor die dritte Welle kommen.“ Angesichts steigender Infektionszahlen entwickle sich das mehr und mehr zu einem „Hase-Igel-Rennen“. Die vulnerablen Gruppen seien inzwischen einigermaßen geschützt. Jetzt müsse man die Berufstätigen und die Jüngeren in den Blick nehmen, forderte Funken. 

Jeder Geimpfte ist ein Schutz für die ganze Gesellschaft

Dr. Ursula Stalmann, Moers, gab zu bedenken, dass zum einen noch nicht genügend Impfstoff für Massenimpfungen in den Praxen verfügbar sei und zum anderen die Impfzentren bei Weitem nicht ausgelastet seien. Deshalb halte sie es zurzeit für sinnvoller, wenn sich die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte darauf beschränkten, die zu Hause lebenden Pflegebedürftigen und deren Betreuer zu impfen. 

„Ich halte es für wichtig, dass bald und zügig in den Praxen geimpft wird, damit es weiter voran geht“, sagte dagegen Wieland Dietrich, Essen. In dieser Frage gebe es keinen Konflikt mit den Impfzentren. Diese sollten weiterarbeiten und möglichst ausgelastet werden. „Wir kommen aber deutlich schneller voran, wenn die Impfdosen, die da sind und die in den Praxen verwendet werden können, auch von den Hausärzten und von den Fachärzten verimpft werden. Die Bereitschaft ist da“, bekräftigte Dietrich. 

Für mehr Flexibilität bei den Impfungen sprach sich auch Dr. Christiane Friedländer, Neuss, aus. Zurzeit sei angesichts des noch knappen Impfstoffs die Priorisierung richtig. Aber in Kürze, wenn mehr Impfdosen verfügbar seien, sollte das Impfen der Lebensrealität angepasst und flexibel auf weitere Altersgruppen ausgedehnt werden. „Die Durchmischung der Kontakte findet im Alltag ja statt“, sagte die HNO-Ärztin. „Jeder Geimpfte ist ein Schutz für die ganze Gesellschaft.“

Neben der Corona-Pandemie diskutierte die Kammerversammlung mit der Reform des Medizinstudiums und dem ärztlich assistierten Suizid zentrale Themen, die die Zukunft und das Selbstverständnis des Arztberufs berühren. Insbesondere das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum assistierten Suizid und dessen mögliche Folgen für die ärztliche Berufsausübung führten zu einer längeren und eindringlichen Aussprache.
 

Das Gericht hatte im Februar 2020 das fünf Jahre zuvor vom Deutschen Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung zum Beispiel durch Sterbehilfevereine für verfassungswidrig erklärt. Das „Recht auf selbstbestimmtes Leben“ schließe die Freiheit ein, „sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“, urteilte das Verfassungsgericht. Es räumte dem Gesetzgeber jedoch Handlungsspielraum ein, um zu verhindern, dass sich der assistierte Suizid in der Gesellschaft als normale Form der Lebensbeendigung durchsetzt. Der Gesetzgeber „darf einer Entwicklung entgegensteuern, welche die Entstehung sozialer Pressionen befördert, sich unter bestimmten Bedingungen, etwa aus Nützlichkeitserwägungen, das Leben zu nehmen“, entschieden die Karlsruher Richter. 
Für die Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein wirft das die Frage auf, ob sie infolge des Urteils ihre Berufsordnung ändern müssen. Denn § 16 verbietet es, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Wörtlich heißt es dort: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Der Passus entspricht dem in der (Muster-)Berufsordnung der Bundesärztekammer, den aber nicht alle Ärztekammern in den Ländern so übernommen haben. Die Berufsordnung der Ärztinnen und Ärzte in Westfalen-Lippe zum Beispiel formuliert lediglich: „Sie sollen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“

Suizidprävention in den Blick nehmen

Kammerpräsident Henke wies darauf hin, dass sich der Deutsche Ärztetag, der im Mai pandemiebedingt verkürzt und virtuell stattfindet, mit den Konsequenzen des Urteils beschäftigen wolle. „Ich persönlich plädiere für sehr gründliche Beratungen in dieser fundamentalen Frage und würde vor einer berufsethischen Entscheidung erst einmal die Beratungen des Gesetzgebers abwarten“, empfahl Henke. Er rechne damit, dass es noch in diesem Frühjahr zu einer Orientierungsdebatte im Deutschen Bundestag komme. Eine gesetzliche Neuregelung erwartet Henke jedoch vor der Bundestagswahl im September 2021 nicht mehr. 

Der Kammerpräsident warb dafür, die Zeit bis dahin zu nutzen und das „verwandte Thema“ der Suizidprävention stärker in den Blick zu nehmen. Einem entsprechenden Beschluss stimmten die Mitglieder der Kammerversammlung mit großer Mehrheit zu. Die rheinischen Ärztinnen und Ärzte fordern darin verbesserte Hilfen für suizidgefährdete Menschen und eine sofortige und umfassende Bestandsaufnahme der bestehenden Unterstützungsprogramme. Den Gesetzgeber forderte die Kammerversammlung auf, Werbung für Suizid oder Suizidbeihilfe zu verbieten.

In der Debatte über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und dessen mögliche Folgen forderten sämtliche Redner eine grundlegende Diskussion darüber, ob das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe aufrechterhalten werden kann und soll. Viele sprachen sich für eine eigene Veranstaltung zum Thema aus, bei der eine breite ärztliche Öffentlichkeit zu Wort kommen solle. 
 

Zu den Befürwortern einer Änderung der Berufsordnung gehört Hans-Peter Meuser, Langenfeld. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts stehe im Gegensatz zu paternalistisch und christlich geprägten Auffassungen, dass der Mensch vor sich selbst geschützt werden müsse und Selbsttötung eine Sünde sei, erklärte Meuser. „Das Berufsrecht hat sich an der Verfassung zu orientieren, nicht an religiösen Vorstellungen“, sagte er. Ohne Frage müsse jeweils eine bestmögliche Suizidprävention angeboten werden, die sicher in einem Großteil der Fälle eine Selbsttötung verhindern könne. Es werde aber immer einige wenige, objektiv ausweglose Fälle geben, in denen den Betroffenen eine Selbsttötung als einziger Ausweg bleibe. „Hier ist es dann besser, dass der behandelnde Arzt, der den Patienten kennt und die Entwicklung des Sterbewunsches über die Zeit verfolgt hat, diese Hilfe leistet, als irgendwelche gewerblichen Anbieter“, erklärte Meuser. Die Ärzteschaft dürfe nicht warten, bis der Bundestag ein neues Gesetz beschlossen habe. Den Rahmen dafür habe das Gericht bereits klar bestimmt. Es habe zugleich betont, dass kein Arzt zur Sterbehilfe gezwungen werden könne. „Das ist richtig so“, bekräftigte Meuser.

Auch Dr. Sven Dreyer, Düsseldorf, sprach sich dafür aus, sich der Debatte um eine Änderung der Berufsordnung zu stellen. „Es gibt dazu unterschiedliche Meinungen“, sagte er. Aber: Ärztlich assistierter Suizid sei nicht gleichzusetzen mit Euthanasie oder passiver Sterbehilfe. „Das darf man auf keinen Fall vermischen“, sagte Dreyer. 
Auf die Meinungsvielfalt auch innerhalb der Ärzteschaft zu diesem Thema wies Dr. Lydia Berendes, Krefeld, hin. „Wir müssen der Debatte breiteren Raum geben und sie wird vielfältig sein“, sagte sie. Sie appellierte an die Kolleginnen und Kollegen, ihren Gestaltungsspielraum zu nutzen und nicht nur zu reagieren. „Ich persönlich möchte nicht irgendwann darüber diskutieren, ob wir eine Zusatzqualifikation ,Ärztlich assistierter Suizid‘ einführen oder einen Erfüllungszwang“, erklärte Berendes. 

Dr. Ivo Grebe, Aachen, regte neben einer eigenen Veranstaltung der Ärztekammer auch einen Blick über die Grenzen in Nachbarländer an, in denen der Umgang mit dem Thema Sterbehilfe ein anderer ist. „Ich glaube, da können wir gute Informationen bekommen. Wir müssen die Debatte inhaltlich breit führen, damit sich jeder eine Meinung bilden kann“, sagte Grebe. 

Den Stellenwert der Suizidprävention hob Christa Bartels, Düren, zum Schluss der Debatte noch einmal hervor. Die Zahl der Menschen, die sich in einer ausweglosen Lage befänden, sei doch sehr klein, gab sie zu bedenken. „90 Prozent der Menschen, die einen Suizid begehen, haben ein psychisches Problem. Diese Menschen brauchen keine Sterbehilfe, sondern Unterstützung“, sagte Bartels.

Mehr Praxisorientierung im Studium

Nach der intensiven berufsethischen Diskussion am Vormittag stand der Nachmittag der Kammerversammlung mit dem Thema der Reform des Medizinstudiums ganz im Zeichen des Nachwuchses. Das Bundesministerium für Gesundheit hatte im November 2020 einen Referentenentwurf zur Neufassung der Approbationsordnung für Ärztinnen und Ärzte vorgelegt. Kernpunkte sind eine stärkere Praxisorientierung im Studium, eine bessere wissenschaftliche Ausbildung, kompetenzorientierte Prüfungen sowie eine Stärkung der Allgemeinmedizin.
 

Diese Ziele würden von allen Beteiligten im Gesundheitssystem unterstützt, auch vom Medizinischen Fakultätentag (MFT), erklärte der Dekan der Medizinischen Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, Professor Dr. Stefan Uhlig, bei der Kammerversammlung. Die Kompetenzorientierung, die stärkere Berücksichtigung der Dynamik in der medizinischen Forschung und der Versorgung sowie die frühe Verschränkung von klinischen Elementen mit der Lehre in den Grundlagenfächern wie Anatomie, Physiologie oder Biochemie seien klare Stärken der geplanten Reform. 

Es gibt keine Klarheit über die Kosten

Die Risiken sieht Uhlig in der Umsetzung. Denn noch immer seien wichtige Fragen ungeklärt. Vertreter der Wissenschaft und der Länder hätten die Reformpläne bereits bei der Vorstellung unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. „Heute gibt es noch immer keine Klarheit darüber, was das Ganze eigentlich kosten soll“, sagte Uhlig. Die Kostenschätzungen lägen zwischen 300 und 500 Millionen Euro jährlich. Genauer könne man es nicht beziffern, denn es sei zum Beispiel völlig offen, in welcher Höhe künftig den niedergelassenen Praxen ihr Aufwand erstattet werde. Diese werden künftig im Rahmen von Blockpraktika und Praktischem Jahr verstärkt in die Lehre und in die mündlichen Prüfungen im dritten Staatsexamen eingebunden. „Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin geht davon aus, dass die niedergelassenen Prüfer mit 30 Euro am Tag zufrieden sind. Der MFT geht eher von 100 bis 150 Euro am Tag aus“, erklärte Uhlig. Die niedergelassenen Ärzte selbst habe im Übrigen noch niemand gefragt. 

Uhlig warnte zudem vor einer inhaltlichen Überfrachtung des Medizinstudiums. Es kämen viele neue Lerninhalte hinzu, ohne dass alte gestrichen würden. Das sei ein grundsätzliches Problem in der Medizin. Studien belegten, dass sich das Wissen in dem Fach alle 70 Tage verdoppele. „Wir haben bisher noch keine Antwort darauf gefunden, wie wir das im Studium angemessen adressieren können“, erklärte der Dekan. 
Dazu komme der „ambitionierte“ Zeitplan. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Studienreform 2025 in Kraft treten. „Es müssen aber noch viele Vorarbeiten geleistet werden“, gab Uhlig zu bedenken. So müssten die Fakultäten Curricula anpassen und mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zusammen das notwendige Praxisnetzwerk aufbauen. Denn es müsse sichergestellt werden, dass genügend Lehrpraxen, ambulante Prüfer und Prüfpatienten zur Verfügung stünden. „Das sind alles Riesenaufgaben“, so Uhlig. 

Keine Bevorzugung einzelner Fächer

Die Betroffen können sich derweil – mit wenigen Abstrichen – gut mit der geplanten Reform anfreunden. Lucas Thieme von der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland, Philipp Schiller, Vorsitzender des Sprecherrats der Medizinstudierenden im Marburger Bund, und Philip Simon, Vorsitzender des Ausschusses Medizinstudierende im Hartmannbund, lobten bei der Kammerversammlung Wissenschafts- und Kompetenzorientierung sowie die Verankerung digitaler Kompetenzen im Medizinstudium. Alle drei warnten aber zugleich ähnlich wie Dekan Uhlig vor einer Überfrachtung der Lehrinhalte. Als „verpasste Chance“ bezeichnete es Thieme, dass der Gesetzgeber die Aufwandsentschädigung für PJler nicht klar geregelt habe. Die Forderungen der Studierenden orientieren sich dabei am Bafög-Höchstsatz. 

Zudem mahnten die Vertreter von Hartmannbund und Marburger Bund an, einzelne Fächer nicht zu bevorzugen. „Bei allem Verständnis für die Stärkung der Allgemeinmedizin“ dürften die individuellen Gestaltungsmöglichkeiten der Studierenden nicht beschnitten werden, forderte Simon vom Hartmannbund. „Wenn das 3. Staatsexamen aber einen allgemeinmedizinischen Prüfungsanteil bekommt, verpflichtet dies indirekt zu einem PJ-Quartal in der Allgemeinmedizin“, warnte er. 

Dr. Dirk Mecking, altgedienter Hausarzt in Duisburg, hielt dagegen, die hausärztliche Medizin müsse mehr in den Mittelpunkt des Studiums gerückt werden. Die Arbeit in den Hausarztpraxen sei eine völlig andere als in den Krankenhäusern und Universitätskliniken mit ihrem „hochspezialisierten Krankengut“. „Wir wollen den Medizinstudierenden zeigen, dass das der Alltag ist und nicht das, was an den Universitäten gelehrt wird“, sagte Mecking. 

Optimistisch mit Blick auf die Umsetzung der Studienreform zeigte sich Dr. Manfred Imbert, Alsdorf. Er griff Uhligs Kritik an der Finanzierung auf und sagte: „Ich denke, dass das Unterbringen von Studenten in den Praxen nicht das große Problem sein wird, wenn die Anreize entsprechend gesetzt sind.“ Für eine solide Finanzierung der Reform sprach sich schließlich auch die Kammerversammlung in einem Beschluss aus. Sie plädierte zugleich für eine deutliche Erhöhung der Zahl der Studienplätze, um dem drohenden Ärztemangel entgegenzuwirken.
 


Akademie auf neuen Wegen

Die Ärztliche Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung in Nordrhein treibt ihre Neuausrichtung voran. „Wir kommen aus einer klassischen bürokratischen Dienstleistungsstruktur von Zetteln und Anträgen. Das wollen wir in eine moderne Kultur überführen, die dem Team der Akademie nicht nur administrative Funktion zuschreibt. Es soll die Teilnehmer und Referenten auch medial und medizin-didaktisch unterstützen“, berichtete der Vorsitzende des Fortbildungsausschusses, Professor Dr. Gisbert Knichwitz, vor der Kammerversammlung über das neue Selbstverständnis. 
Seit dem letzten Bericht an gleicher Stelle sei man bei der Neustrukturierung der Akademie einen großen Schritt weitergekommen. Anfang 2022 solle ein neues Lern- und Verwaltungsmanagementsystem installiert sein, das es ermögliche, hybride Unterrichtsformen zu etablieren. Denn man wolle künftig die gesamte Palette von klassischen Präsenzkursen bis zu Online-Veranstaltungen abdecken. Das erlaube fortbildungswilligen Ärztinnen und Ärzten sowie Medizinischen Fachangestellten sehr viel mehr Flexibilität. „Wir wollen den Teilnehmern unserer Fortbildungsveranstaltungen einen ganzen Strauß an mediendidaktischen Möglichkeiten bieten und Drehbücher für hybride Angebote schreiben“, erklärte Knichwitz.

Inhaltlich habe der Fortbildungsausschuss zwölf Themenfelder definiert, die man nach und nach adressieren wolle, darunter E-Health, ambulante Versorgung, Teach the Teacher, Praxisorganisation oder Prävention und Tumorforschung. Dabei sei die Evaluation der Kurse ein wesentlicher Bestandteil des neuen Angebots. „Wir wollen sehr zeitnah wissen, ob wir Ärzte und Medizinische Fachangestellte damit ansprechen“, betonte Knichwitz. 

Das hybride Konzept, das Grundlage für die Zukunft werden soll, erprobt die Akademie erstmals bei ihrem Fortbildungskongress vom 3. bis 5. Juni dieses Jahres. „Wir wollen den breiten Spagat wagen, vom Wissenschaftler über den Assistenzarzt im Krankenhaus und den niedergelassenen Arzt in der Praxis bis hin zur MFA alle anzusprechen“, erklärte Knichwitz. Mit Long-Covid habe man ein aktuelles Thema gewählt, das in unterschiedlichen Modulen aufbereitet werde. Neben wissenschaftlichen Vorträgen mit anschließender Fragerunde an die Experten, gebe es Fallseminare, in denen sich Praktiker austauschen könnten, und auch einen Tag für Medizinische Fachangestellte. „Präsenzveranstaltungen bleiben wegen der sozialen Vernetzung wichtig, wenn sie wieder stattfinden können“, sagte Knichwitz. „Aber wir müssen flexibler werden und es den Ärzten auch ermöglichen, von zu Hause aus nach eigenem Zeitplan Teile ihrer Fortbildung zu absolvieren.“
 


Die Entschließungen der Kammerversammlung am 13. März 2021 im Wortlaut finden Sie unter www.aekno.de/aerztekammer/kammerversammlung.