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Eine Mammutaufgabe

25.03.2021 Seite 20
RAE Ausgabe 4/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 4/2021

Seite 20

Auch nach einem Jahr hat die Corona-Pandemie Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Medien fest im Griff. Ein Wust aus Informationen und Fake News, heftiger werdende Forderungen nach Lockerungen und Ängste vor Virusmutationen beherrschen die öffentliche Debatte. Der Berliner Virologe Professor Dr. Christian Drosten sprach anlässlich der 8. Jörg-Dietrich-Hoppe-Vorlesung über mögliche Impferfolge und sicheren Präsenzunterricht.

von Jocelyne Naujoks

Es ist der 9. Februar 2021. Am nächsten Tag wird sich Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut mit den Regierungschefinnen und -chefs der Bundesländer darauf verständigen, die bislang geltenden Lockdown-Maßnahmen um weitere vier Wochen zu verlängern. Sicher ist am Vorabend des Bund-Länder-Treffens, dass der R-Wert bundesweit laut Robert Koch-Institut weiterhin um 0,9 liegt und die 7-Tages-Inzidenz bei 73. Zielwert der Politik ist zu dieser Zeit eine Inzidenz von 50 auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen, der trotz Lockdown noch lange nicht erreicht ist. 

„Wir sehen, dass die Zahlen leider quälend langsam sinken“, sagte Professor Dr. Christian Drosten an diesem Abend. Der Leiter des Instituts für Virologie der Berliner Charité sprach anlässlich der 8. Jörg-Dietrich-Hoppe-Vorlesung der Ärztekammer Nordrhein, zu der Kammerpräsident Rudolf Henke pandemiebedingt erstmals online begrüßte. Wenn man die Reproduktionsziffer auf 0,7 drücken könne, werde die Zahl der Infektionen deutlich schneller zurückgehen und sich jede Woche halbieren, erklärte Virologe Drosten vor den 1.865 registrierten, überwiegend ärztlichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern.  

Auch nach Ostern müsse man die Inzidenz genau im Blick behalten, da sich die Impfungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht positiv bemerkbar machen würden. Die Schäden durch erneute Lockdown-Maßnahmen dürften nicht unterschätzt werden: „Sie sind sehr negativ für alle Beteiligten, für die Wirtschaft, für die Medizin, für die Politik, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, sagte Drosten.

Altersgruppe zwischen 40 und 65 im Blick behalten

Ab Ostern gelte es, auch die Altersgruppe zwischen 40 und 65 Jahren in den Blick zu nehmen. Zwar sei die Mortalität bei COVID-19 fast ausschließlich vom Alter abhängig. Doch die Sterblichkeit liege auch in dieser Bevölkerungsgruppe bei 0,1 Prozent, betonte der Virologe. Gehe man in einem Szenario ohne Kontaktbeschränkungen davon aus, dass sich von den 23,6 Millionen Menschen dieses Alters rund die Hälfte mit dem Virus infiziere, bedeute dies nicht weniger als 12.000 weitere Todesfälle. Hinzu kämen etwa zehn Prozent aus dieser Altersgruppe, die schwer krank im Krankenhaus oder mit eher moderatem Verlauf zu Hause versorgt werden müssten. Die Belastung für die Krankenhäuser und Praxen wäre enorm, so Drosten. Auch die Wirtschaft nehme in diesem Szenario nachhaltigen Schaden. 

Der Forderung nach einer Öffnung des gesellschaftlichen Lebens kann man nach Ansicht des Virologen nur dann nachkommen, wenn es gelingt, die Bevölkerungsgruppe der unter 65-Jährigen möglichst schnell durchzuimpfen. „Schnelligkeit ist wichtig“, sagte Drosten. Zahlen aus Israel zeigten, dass schon bei einer Durchimpfungsrate von 50 Prozent die Infektionszahlen deutlich sinken.

Die Durchimpfung der Normalbevölkerung, die im zweiten Quartal beginnen soll, bezeichnete Drosten als eine „Mammutaufgabe“, bei deren Bewältigung den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie den Betriebsärztinnen und Betriebsärzten eine wichtige Rolle zukommt. Insgesamt zeigte er sich optimistisch. Im zweiten und mehr noch im dritten Quartal seien viele Impfstofflieferungen zugesagt, so Drosten. Bis dahin müssten die Impfanstrengungen allerdings weiter durch nicht-pharmazeutische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unterstützt werden: Abstand halten, Maske tragen, Hygiene beachten. 

Schulen Teil des Infektionsgeschehens

Um die Übertragung von SARS-CoV-2 zu kontrollieren, setzt Drosten auf die Identifizierung sogenannter Quellcluster. Denn in 80 Prozent der Fälle habe sich ein Infizierter in einer Gruppe mit mehreren infektiösen Personen angesteckt. Die Frage an den Patienten müsse also lauten: „Wo könnten Sie sich vor etwa zehn Tagen mit dem Virus infiziert haben?“ Diese Quellcluster müssten dann als Ganzes sofort isoliert werden.  
Ein ähnliches Vorgehen schlug Drosten auch für Schulen vor, um einen sicheren Präsenzunterricht zu ermöglichen. Aktuelle Daten zeigten, dass Schulen Teil des Infektionsgeschehens sind. Um diese dauerhaft offen zu halten, verwies Drosten auf bereits vorliegende Expertenvorschläge. Danach sollte im Falle eines positiven Testergebnisses die Klasse des betroffenen Schülers zunächst für fünf Tage in die Heimquarantäne geschickt und dann freigetestet werden. Nur die positiv getesteten Schüler müssten dann noch einige Tage zuhause bleiben, die anderen könnten umgehend wieder am Unterricht teilnehmen. Die Eltern und Geschwister der betroffenen Kinder wären von der Quarantänepflicht nur dann betroffen, wenn sie Symptome zeigten. Die Klasse würde in diesem Falle wie ein Quellcluster behandelt, erklärte Drosten. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei einem infizierten Schüler um die einzige Infektion in der Gruppe handele, sei aufgrund der vielen asymptomatischen Verläufe als eher gering zu betrachten.

Mit Blick auf die bislang bekannten Virusmutationen sagte Drosten: „Die Mutante, um die wir uns wirklich kümmern müssen, ist die englische.“ Das gelte noch auf Wochen hinaus. Nach den Daten von Ende Januar machte diese – deutlich ansteckendere – Variante B.1.1.7. in Deutschland am 9. Februar knapp sechs Prozent der positiven PCR-Tests auf SARS-CoV-2 aus.

Mitte März waren es bereits drei Viertel. In England, wo die Mutation erstmals nachgewiesen wurde, war sie bereits zum Zeitpunkt des Vortrags für 80 Prozent der Infektionen verantwortlich. Die Entwicklung der Fallzahlen dort habe aber auch gezeigt, dass die britische Mutante erfolgreich durch die Reduzierung von Kontakten bekämpft werden könne. „Das ist eine gute Botschaft“.