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Meinung

Dynamische Lage

25.03.2021 Seite 3
RAE Ausgabe 4/2021

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 4/2021

Seite 3

Rudolf Henke © Jochen Rolfes
Bergamo am Rhein darf es nicht geben, das bleibt das große gemeinsame Ziel. 

Zu Beginn der Coronapandemie vor rund einem Jahr war häufig von einer dynamischen Lage die Rede. Diese Formulierung trifft immer noch zu. Das galt auch am Tag der Kammerversammlung unserer Ärztekammer Nordrhein, die am 13. März in einer audiovisuellen Sitzung online getagt hat (siehe auch „Thema“ Seite 12 ff). An diesem Tag betrug die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner wöchentlich im bundesweiten Durchschnitt 73,2, bereits seit Mitte Februar war die Sieben-Tage-Inzidenz im Bundesgebiet wieder leicht angestiegen. 

Am folgenden Tag titelte die Bild am Sonntag: „Corona-Zahlen explodieren bis Ostern – Experten erwarten Inzidenz von über 200“. In der Tat ist dem COVID-19-Lagebericht des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 14. März zu entnehmen: Die im Vergleich zum Wildtyp deutlich ansteckendere britische Variante B.1.1.7. des Coronavirus, die zudem auch mehr schwere Verläufe mit sich bringt, hat sich seit Mitte Januar alle 12 Tage verdoppelt. Sie dominiert seit Anfang März. Setzt sich dies fort, so ist laut RKI ab der Woche nach Ostern mit Fallzahlen über dem Niveau von Weihnachten 2020 zu rechnen. Eine Extrapolation der Behörde zeigt die Kurve der wöchentlichen Neuinfektionen im steilen Anstieg bis Mitte April. Unser Ziel muss es bleiben, diese Kurve abzuflachen, um Leben und Gesundheit zu schützen. Am Tag des Redaktionsschlusses am 19. März lag die Sieben-Tage-Inzidenz bereits bei 95,6.

Unser mächtigstes Instrument bei der Pandemiebekämpfung ist das Impfen. Am Montag nach unserer Kammerversammlung erlitt die Impfkampagne einen Rückschlag: Deutschland setzte wie etliche andere Staaten die Corona-Impfungen mit dem Präparat des Herstellers AstraZeneca vorsorglich aus. Das entsprach einer Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts wegen einer auffälligen Häufung von Sinusvenenthrombosen in zeitlicher Nähe zu den Impfungen. Am Donnerstag kam das Ergebnis einer Sondersitzung des Pharmakovigilanzausschusses der Europäischen Arzneimittelagentur EMA, die kein generell erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse sieht, aber die Notwendigkeit eines Warnhinweises. 

Am Freitag konnten die Impfungen in Deutschland weitergehen, das Präparat wird den Warnhinweis erhalten zu dem Risiko sehr seltener Fälle einer disseminierten intravasalen Gerinnung bzw. zerebraler Sinusthrombosen. Nach meiner Kenntnis – Stand 19. März – betrifft dies vor allem weibliche Personen bis zum 60. Lebensjahr. Ich selbst würde diesen Personen mRNA-Impfstoffe anbieten.

Es bleibt eine Irritation, und auch deswegen ist zurzeit ungewiss, wann die angestrebte Marke von einer Million Impfungen pro Tag erreicht ist. Sicherlich wird dies nur durch Einbindung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte sowie der Betriebsärztinnen und Betriebsärzte gelingen. Die Priorisierung kann dann meines Erachtens umso stärker flexibilisiert werden, je besser die am meisten Gefährdeten geschützt sind. 

Alle im Gesundheitswesen Tätigen müssen, soweit das noch nicht geschehen sein sollte, umgehend ein Impfangebot erhalten, das haben wir in der Kammerversammlung gefordert. Nur so lässt sich die Funktionsfähigkeit der Gesundheitsversorgung in den kommenden Monaten sichern. Ich danke einmal mehr ganz herzlich allen Kolleginnen und Kollegen, die sich in schwieriger Lage mit voller Kraft in der Pandemiebekämpfung und für ihre Patientinnen und Patienten einsetzen. Bergamo am Rhein darf es nicht geben, das bleibt unser gemeinsames großes Ziel.

Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein