Wie können Ärztinnen und Ärzte den ökologischen Fußabdruck der Arztpraxen und Kliniken reduzieren und klimagerechtes Handeln ihrer Patienten unterstützen? Und wie können sich Gesundheitseinrichtungen auf Hitzewellen vorbereiten? Mit diesen Fragen beschäftigten sich Experten in einer Videokonferenz der Ärztekammer und Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein Ende Mai.
von Jocelyne Naujoks
Der Gesundheitssektor verursachte im Jahr 2014 6,7 Prozent der Gesamtemissionen an Treibhausgasen in Deutschland. Mit dieser Zahl wendete sich Professor Dr. Dr. Rainer Sauerborn, Senior Professor und vormals Direktor des Heidelberger Instituts für Global Health am Universitätsklinikum Heidelberg, an die rund 150 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung „Klimawandel und Gesundheit“, die Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein Ende Mai als Webinar anboten. Im Vergleich betrage der ökologische Fußabdruck des Flugverkehrs an den deutschen Treibhausgasemissionen 2,9 Prozent, so Sauerborn. Es sei durchaus möglich, dieselbe medizinische Qualität zu erbringen und weniger Emissionen zu erzeugen, sagte er und verwies auf Kanada, wo der Gesundheitssektor nur 4,6 Prozent der Gesamtemissionen ausmacht. Das Thema Klimawandel und Gesundheit sollte auch Thema des diesjährigen Deutschen Ärztetags in Mainz sein, der aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt werden musste, sagte Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, in seinem Begrüßungsvortrag. Er appellierte an die Teilnehmer: „Wir müssen den Fokus auf die Verantwortung richten, die wir selber als Teil des Gesundheitssektors für den Klimaschutz haben.“
Wer Übertherapie vermeidet, spart Emissionen.“
Die Herstellung, der Transport und die Entsorgung von Verbrauchsmaterialien verantworten mit zwei Dritteln den Löwenanteil der Treibhausgasemissionen im Gesundheitssektor, sagte cand. med. Claudia Quitmann, Medizinstudierende an der RWTH Aachen und Doktorandin am Institut für Global Health am Universitätsklinikum Heidelberg. Die Frage sei daher, wie eine gleiche oder sogar bessere medizinische Versorgung mit weniger Emissionen erbracht werden könne.Quitmann zufolge haben Initiativen wie KLIK green oder BUND Gütesiegel „Energie sparendes Krankenhaus“ Beispiele erarbeitet, wie Energie gespart werden kann. Krankenhäuser könnten Emissionen einsparen, indem sie weniger Fleisch anbieten und mehr recyclen. Auch die Initiative „Klug entscheiden“ trage dazu bei, den ökologischen Fußabdruck zu verkleinern: „Wer Übertherapie vermeidet, spart Emissionen“, so Quitmann.
Jeweils 6.000 bis 8.000 hitzebedingte Todesfälle habe es in den heißen Sommern in den Jahren 2003, 2012 und 2015 gegeben, sagte Dr. Alina Herrmann vom Heidelberger Institut für Global Health am Universitätsklinikum Heidelberg. Ärztinnen und Ärzte müssten insbesondere ältere und chronisch kranke Patientinnen und Patienten über Risiken und Präventionsstrategien aufklären. Sie gehören zusammen mit Kindern zur besonders klima-vulnerablen Gruppe. Herrmann riet Patienten beispielsweise, kühl oder lauwarm zu duschen oder über Arm- und Fußbäder den Körper aktiv abzukühlen, da die körpereigenen Abkühlungsmechanismen nicht mehr ausreichend funktionierten. Bei Risikopatienten sei es darüber hinaus sinnvoll, täglich den aktuellen Gesundheitsstatus abzufragen und Präventionsmaßnahmen anzuleiten. Hier seien Ärztinnen und Ärzte auch auf die Unterstützung durch pflegende Angehörige oder auf das Pflegepersonal in Alten- und Pflegeheimen angewiesen.
Medikamentenverordnung anpassen
„Passen Sie Ihre Praxis- und Klinikabläufe den Klimaverhältnissen an“, riet Herrmann und schlug Praxisinhabern vor, in den Sommermonaten besonders frühe und späte Sprechzeiten anzubieten und dafür die Mittagspause zu verlängern. Während einer Hitzewelle sei außerdem zu überprüfen, ob die aktuell verordneten Medikamente noch nutzbar seien. Viele Medikamente interagierten mit den körpereigenen Abkühlungsmechanismen. So müssten Ärztinnen und Ärzte die pharmakokinetischen Veränderungen durch Hitze bei der Verschreibung berücksichtigen. Sauerborn wies darauf hin, dass es über 100 klimasensible Krankheiten gebe, bei denen die Behandlung und Beratung angepasst werden müsse. Um möglichst viele Ärztinnen und Ärzte auf diesem Feld schnell zu schulen, empfahl er sogenannte MOOCS. Die „Massive Open Online Courses“ lassen viele Teilnehmer zu und haben kaum Zugangsbeschränkungen. Damit seien sie zum Beispiel auch für Medizinstudierende zugänglich.
Die Bereitschaft zum klimagerechten Handeln steige, wenn Ärzte ihren Patientinnen und Patienten vermittelten, dass die Maßnahme auch gesünder mache, so Sauerborn. „Das große Plus ist, dass wir eine positive Message übermitteln können: Ihr werdet gesünder, wenn ihr euch klimagerecht verhaltet“, sagte er.
Medikamente anpassen
Auf der Seite https://dosing.de/Hitze/heatindex.php finden Sie Hilfestellung beim Umgang mit Arzneimitteln bei andauernder Hitze.
„Ärztinnen und Ärzte sollen eine führende Rolle in der Reduktion des ökologischen Fußabdrucks einnehmen“, zitierte Dr. Ralph Krolewski, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin aus Gummersbach und Mitglied des Ausschusses „Klimawandel und Gesundheit“ der Ärztekammer Nordrhein, den Lancet Countdown, eine internationale Wissensgemeinschaft. Praxisinhaber könnten regenerativen Strom beziehen, Geräte mit niedrigem Verbrauch einsetzen und sie nicht im Standby-Modus lassen, riet Krolewski zu einfachen Maßnahmen, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern. Ärztinnen und Ärzte könnten eine Beratung zu nachhaltiger Ernährung anbieten. Dies habe nicht nur massive gesundheitliche Vorteile für die Patientinnen und Patienten. Eine sogenannte Planetare Diät spare etwa 600 Kilogramm CO2 pro Kopf pro Jahr, sagte Krolewski.
Der Allgemeinmediziner bietet in seiner Praxis eine Klimasprechstunde an. Sie umfasse alle nicht medikamentösen, patientenbezogenen Interventionen. Dazu gehören laut Krolewski zum Beispiel eine Ernährungs- oder Mobilitätsberatung auf Grundlage evidenzbasierter Quellen sowie Reflektionen zum ökologischen Fußabdruck des Patienten. Zum Abschluss bekämen die Patienten eine individuelle schriftliche Empfehlung. „Wir müssen die Patienten da abholen, wo sie stehen“, sagte Krolewski. Darum sei eine individualisierte Empfehlung so wichtig. „Wir müssen als Ärzte glaubwürdig sein, uns für den Patienten und seine Situation interessieren und für seine Fragen und Ängste öffnen.“ Auch innerhalb der Vorsorgeuntersuchungen spricht Krolewski seine Patienten wie gewohnt auf ihr Ernährungs- und Bewegungsverhalten an. „Ich versuche in diesem Rahmen, Risikofaktoren zu erkennen“, so der Allgemeinmediziner. Bei vielen Erkrankungen wie Rückenleiden, Stoffwechselstörungen oder Bluthochdruck müssen ihm zufolge auch die Lebensumstände des Patienten in Betracht gezogen werden.
„Das Wissen über die Zusammenhänge von Klimawandel und Gesundheit ist entscheidend“, sagte Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein und Allgemeinmediziner aus Wuppertal. „Wir müssen dieses Wissen schon in der Ausbildung, ebenso wie in der Fort- und Weiterbildung stärker verankern“, sagte er weiter. Der Green Deal fange nicht in Brüssel oder an der Spitze des Europäischen Rates an. Jeder Einzelne vor Ort sei gefordert. „Wir sind in einer vorteilhaften Lage: Es gibt Lösungen, wir müssen sie nur auch umsetzen“, sagte Zimmer.
Hitze und COVID-19
KLUG, die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit weist darauf hin, dass eine Hitzewelle zu Zeiten von COVID-19 das Gesundheitssystem vor neue Herausforderungen stellen kann. Patientinnen und Patienten mit einem hohen Risiko für schwere Verläufe von COVID-19 zählten meist auch zur Risikogruppe für hitzebedingte Gesundheitsfolgen. Präventionsmaßnahmen müssten entsprechend den Regeln des Infektionsschutzes ausgeführt werden, so KLUG. Auf ihrer Homepage www.klimawandel-gesundheit.de/hitze-informationen/ stellt das Netzwerk Informationsblätter unter anderem für Ärztinnen und Ärzte und medizinisches Personal zur Verfügung und verweist auf Informationen des Umweltbundesamtes und der WHO zum Thema Hitze und COVID-19, den Hitzeknigge oder das Hitzewarnsystem des Deutschen Wetterdienstes.