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Gesundheits- und Sozialpolitik

Gemeinsam gegen Corona in Nordrhein

19.06.2020 Seite 17
RAE Ausgabe 7/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 7/2020

Seite 17

Die 27 Kreisstellen der Ärztekammer Nordrhein sind die Anlaufstellen vor Ort für ihre Mitglieder und Bürgerinnen und Bürger. Sie vertreten die Kammer regional und sind ein wichtiges Bindeglied zwischen den in den Regionen tätigen Ärztinnen und Ärzten in Klinik, Praxis und Ehrenamt und der Hauptstelle der Ärztekammer in Düsseldorf. Angesichts der aktuellen Corona-Pandemie ist eine gelungene Vernetzung von Selbstverwaltung, Ärzteschaft und Patienten umso wichtiger, um die Akteure des Gesundheitswesens vor Ort effektiv zu unterstützen.

von Ulrike Schaeben

Zu den Aufgaben der Ärztekammer und ihrer Kreisstellen gehört nach dem Heilberufsgesetz auch die Unterstützung des öffentlichen Gesundheitsdienstes, dem bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie eine Schlüsselrolle zukommt. Seit dem Auftreten der ersten COVID-19-Fälle stehen die Kreisstellen-Vorsitzenden und ihre Stellvertreter eng mit den Kolleginnen und Kollegen in den Gesundheitsämtern in Kontakt. In den regionalen Krisenstäben war die ärztliche Expertise der Mandatsträger gefragt. Die Kreisstellenvorstände konnten hier unbürokratisch die Interessen der Ärzteschaft in Klinik und Praxis vertreten.  

Solidarität in der Krise

Der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, und Vizepräsident Bernd Zimmer trafen sich unter den geänderten Vorzeichen der Corona-Pandemie im April mit den Vorsitzenden der Kreisstellen zu einem virtuellen Informationsaustausch in insgesamt vier Videokonferenzen, um sich ein umfassendes Bild von der Lage zu machen, die sich regional sehr unterschiedlich abbildet. 
Die Ärzteschaft habe Hand in Hand, sektorenübergreifend und pragmatisch die Bedrohung durch das neuartige Corona-Virus gemeistert und sei dem hohen Vertrauensvorschuss der Bevölkerung gerecht geworden, so die Kreisstellenvorsitzenden. 
 

 

Sie berichteten, dass viele Gesundheitsämter sowie die Kreisstellen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein sich zu Beginn der Pandemie mit der Bitte an sie wandten, einen Hilfsaufruf an ihre privatärztlich oder nicht mehr ärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen zu starten. Sie sollten die Gesundheitsämter bei der Beratung und Kontaktpersonen-Nachverfolgung unterstützen und bei der Klärung von Verdachtsfällen in den Corona-Diagnostik-Zentren helfen. Zahlreiche Hilfswillige boten ihre Unterstützung an und konnten unbürokratisch je nach Bedarf und Möglichkeiten in der Region vermittelt werden. Mittlerweile haben Ärztekammer und KV Nordrhein mit einem Portal für Ärztinnen und Ärzte eine einfache Möglichkeit geschaffen, sich als Helferin und Helfer zu melden. Durch die enge Zusammenarbeit der ärztlichen Körperschaften mit den Gesundheitsämtern und den Krisenstäben in den Städten und Kreisen seien die Patientenströme so gelenkt worden, dass Verdachtsfälle nicht mit der Versorgung von Nicht-COVID-19-Patienten kollidierten, so die Kreisstellen-Vorsitzenden. 
Die Stadt Mülheim habe in Kooperation mit der Ärztekammer und der KV Nordrhein sehr früh ein Diagnosezentrum mit freiwilligen Kollegen unter Leitung eines erfahrenen pensionierten Arztes aufgebaut, um Tests durchzuführen, berichtete der Mülheimer Kreisstellen-Vorsitzende Uwe Brock. Für bettlägerige Patienten gebe es einen zusätzlichen Fahrdienst durch die Feuerwehr. Auch in Oberhausen verlief die Arbeit des Krisenstabes aus Sicht des Vorsitzenden Dr. Peter Kaup vorbildlich: In den Krisenstab seien der Oberbürgermeister, der Leiter des Ordnungsamtes, Vertreter aus Verwaltung, Kommune und der Feuerwehr, die städtischen Pflegeeinrichtungen, die Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung und die Ärzte und Zahnärzte eingebunden. Es gebe viel Solidarität unter den Kollegen und die Arbeit im Krisenstab sei sehr konstruktiv. Corona-Abstriche werden in Oberhausen nicht von Ärzten durchgeführt, sondern unter ärztlicher Verantwortung von entsprechend geschultem Personal des Deutschen Roten Kreuzes, so Kaup. 
Die Kreisstelle Mönchengladbach, die durch ihre räumliche Nähe zu Heinsberg nach dem dortigen Ausbruch des Corona-Geschehens in besonderer Alarmbereitschaft war, ist nach Aussage ihres Vorsitzenden Dr. Heribert Hüren ebenfalls eng in den Krisenstab der Stadt eingebunden. Die Kooperation der Krankenhäuser in Mönchengladbach laufe reibungslos, die Häuser unterstützten sich gegenseitig, so Hüren. Es wurde ein Mehrstufenplan zum Einsatz von Ärzten über die Sektorengrenzen hinweg für eine mögliche weitere Verschärfung der Lage aufgestellt, die glücklicherweise bislang nicht eingetreten sei, so der Mönchengladbacher Allgemeinmediziner.
Im Oberbergischen Kreis wurde für die Entnahme von Abstrichen ein Infektionsfahrdienst mit einem Notfallmediziner in einem Krankenwagen mit höchster Schutzausrüstung eingerichtet. Dies vermittele den Bürgern ein Gefühl der Sicherheit und die Praxen würden von Verdachtsfällen effektiv entlastet, sagte der Kreisstellenvorsitzende Dr. Stefan Lichtinghagen.
 

Die Praxen in Nordrhein haben es trotz widriger Umstände fast ausnahmslos in kürzester Zeit geschafft, ihre Hygienemaßnahmen den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts (RKI) anzupassen, um Patienten, Mitarbeiter und auch sich selbst bestmöglich zu schützen, berichteten die Vorsitzenden aus den Kreisen. Der eklatante Mangel an persönlicher Schutzausrüstung (PSA) sei insbesondere zu Beginn eines der drängendsten Probleme bei der Bewältigung der aktuellen Coronavirus-Pandemie gewesen. Die Ärztekammer Nordrhein hat sich mit den politischen Verantwortungsträgern und den anderen Institutionen der Gesundheitsversorgung in Nordrhein-Westfalen intensiv für eine Lösung eingesetzt, um Lieferengpässe zu entschärfen. Die KV Nordrhein hat zügig und mit großem logistischen Aufwand Schutzmaterialien an die niedergelassenen Ärzte verteilt. 

Aussetzung elektiver Eingriffe

Eine große Herausforderung war es für alle Beteiligten, die Versorgung von COVID-19- und von den übrigen Patienten in Einklang zu bringen. Übereinstimmend berichteten die Kreisstellenvorsitzenden, dass die Krankenhäuser bereits vor der Empfehlung zur Aussetzung elektiver Eingriffe Intensivkapazitäten aufgestockt hätten, um dem prognostizierten Ansturm schwer erkrankter COVID-19-Patienten Herr zu werden. In mehreren Städten und Kreisen, wie Duisburg, Neuss und Bergheim, wurden Behelfskrankenhäuser für Nicht-COVID-19-Patienten eingerichtet oder geplant, um diese noch effektiver vor einer Infektion zu schützen. 
Ein Problem stellte sich teilweise im Bereich der Alten- und Pflegeheime, wo mangelnde Möglichkeiten der Quarantäne die Trennung der Patienten von gesunden Bewohnern erschwert hat. Barbara vom Stein, Vorsitzende der Kreisstelle Rheinisch-Bergischer Kreis, und der Kreisstellenvorsitzende im Stadtkreis Aachen, Dr. Ivo Grebe, wiesen auf die erschwerte Situation bei Demenzpatienten in Pflegeheimen hin, die von der Isolation und dem Besuchsverbot besonders hart getroffen wurden. Mittlerweile hat das NRW-Gesundheitsministerium die strengen Vorschriften gelockert, um den negativen Folgen einer Isolation entgegenzuwirken.

Patienten ermutigen, Vertrauen stärken

Bürgerinnen und Bürger waren angesichts der zunehmend beunruhigenden Informationen zu der Übertragung des Virus und der möglichen Schwere des daraus resultierenden Krankheitsbildes verunsichert, wie sie mit den täglich neuen Herausforderungen und Regelungen in Bezug auf ihre Gesundheit und ihre Erkrankungen umgehen sollten. „Die Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus hat eine nur schwer kontrollierbare Situation der Zurückhaltung hinsichtlich des Umgangs mit Beschwerden und Krankheitssymptomen außer mit respiratorischen Symptomen erzeugt“, sagte der Vorsitzende der Kreisstelle Viersen, Dr. Dr. Lars Benjamin Fritz, MBA. Es sei daher gerade in der Zeit der Lockerung von Beschränkungsmaßnahmen wichtig, die Patienten zu ermutigen, notwendige Arztbesuche trotz der besonderen Umstände nach telefonischer Rücksprache wieder wahrzunehmen, um eine Verschlimmerung der Beschwerden zu vermeiden. 
Diese Einschätzung teilte seine Kollegin Dr. Karola Klutmann, Vorsitzende der Kreisstelle Kreis Aachen und Hausärztin: Die Lage der Corona-Erkrankungen habe sich im Laufe des Aprils stabilisiert und die Praxen seien wieder stärker ausgelastet, zu beobachten sei jedoch die Angst der Patienten insbesondere vor einem Krankenhausbesuch, auch wenn stationäre Kontrollen oder Behandlungen dringend erforderlich seien. Auch der Oberhausener Kreisstellenvorsitzende Kaup wünschte sich eine verstärkte Aufklärung angesichts der Beobachtung, dass Patienten den Arztbesuch trotz schwerer Beschwerden weiter meiden, um die Versorgung von Nicht-COVID-19-Patienten, zum Beispiel im Bereich der kardialen Notfälle und der Vorsorge, wieder auf das medizinisch notwendige Niveau zu bringen. Anfang Mai wurde dieses Thema auch durch eine gemeinsame Presseverlautbarung des MAGS und der ärztlichen Körperschaften aufgegriffen.
Die Vorsitzenden der Kreisstellen Bonn und Rhein-Sieg-Kreis, Dr. Thomas Scheck und Dr. Hansjörg Eickhoff, schilderten die Vorbereitungen der Krankenhäuser auf die schrittweise Rückkehr zum Normalbetrieb, die noch „auf Sicht“ erfolge. Damit entspreche man auch dem leicht steigenden Bedarf nach teilelektiven Leistungen.

Wachsam bleiben

Dr. Matthias Benn, Vorsitzender der Kreisstelle Essen, berichtete über die Herausforderungen in der Nachsorge von Patienten nach schweren Verläufen von COVID-19. Bei schweren und mittelschweren Fällen beobachteten Kolleginnen und Kollegen zum Teil ausgeprägte Organschäden, die eine Nachbeobachtung erforderten. Viele Patienten befänden sich nach längerer Isolierung auch in einer labilen psychischen Situation. In Essen haben Uniklinik und LVR-Klinik daher im Mai ein Projekt zur Nachsorge von COVID-19-Patienten gestartet.
Von vollen Ambulanzen und langen Warteschlangen vor den Arztpraxen über leere Wartezimmer und OP-Säle bis hin zum Einsatz zum Reihenabstrich im mobilen Corona-Untersuchungs-Zentrum, in Seniorenheimen oder in Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete haben die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte in den Kreisen alle möglichen Szenarien erlebt, so berichteten die Vorsitzenden. Auch wenn die Kommunikation zu Beginn mancherorts etwas holprig verlaufen sei, habe die Ärzteschaft die Corona-Pandemie im Griff halten und die ärztliche Versorgung flächendeckend gewährleisten können. Die Kreisstellenvorsitzenden mahnten bei der Rückkehr zur Normalität zur Achtsamkeit mit Blick auf das regionale Infektionsgeschehen und die umsichtige Einteilung der Kapazitäten. Nur so könne man für eine mögliche erneute Verschärfung der Pandemielage gerüstet sein. 

Dr. phil. Ulrike Schaeben ist Referentin für die Koordination der Kreisstellen der Ärztekammer Nordrhein.