Die Coronakrise stellt eine bisher nicht dagewesene Herausforderung für das deutsche Gesundheitssystem dar und prägt den Arbeitsalltag in den Praxen und Kliniken. Auch wenn der stationäre Bereich und seine „Intensivbetten“ bisweilen mehr Aufmerksamkeit genossen als die ambulante Versorgung, zeigte sich deren Wert in der Krise in besonderer Weise. Ein Rückblick.
von Thomas Lillig
„Außergewöhnliche Situationen bedürfen außergewöhnlicher Maßnahmen“, sagte Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), bei der Inbetriebnahme des ersten mobilen Diagnosezentrums in Erkelenz. Bereits am 4. März ergriff die KVNO die Initiative, um zusätzliche Kapazitäten zur Versorgung von Patienten mit Verdacht auf eine COVID-19-Infektion zu schaffen. Zu dieser Zeit stand die Ausbreitung des neuartigen Virus SARS-CoV-2 in Deutschland noch am Anfang, der „Pandemie-Fall“ war noch nicht ausgerufen. Im Kreis Heinsberg schossen die Infektionszahlen jedoch bereits rasant nach oben. In Kooperation mit dem Hermann-Josef-Krankenhaus Erkelenz schuf die KVNO im örtlichen Fußballstadion deshalb schnell eine mobile Anlaufstelle für die Abklärung möglicher Infektionen. „Wir sahen damals, dass da etwas Großes auf uns zurollt. Deshalb wollten wir umgehend zusätzliche Ressourcen aufbauen, um die Praxen der Niedergelassenen und die Ambulanzen der Kliniken zu entlasten“, sagte Bergmann. Ein Strategie, die aufging: Selbst im besonders betroffenen und zum Corona-Epizentrum ausgerufenen Kreis Heinsberg gerieten die Gesundheitseinrichtungen nie in Gefahr, der Krise nicht gewachsen zu sein – trotz zahlreicher Intensivfälle und aus Quarantänegründen zeitweise geschlossener Praxen. Die ärztliche Versorgung der Menschen war zu jeder Zeit auf hohem Niveau garantiert.
Ein Befund, der für das ganze Land gilt. Der 6. April markiert den bisherigen Höchststand an Infizierten. An diesem Tag gab es 72.872 aktuell Erkrankte in Deutschland, 30.501 Menschen waren bereits wieder genesen, 1.810 gestorben. Die Zahl Neuinfizierter nimmt seither kontinuierlich ab. Deutschland – das kann man rückblickend sagen – ist bislang vergleichsweise glimpflich durch die Corona-Krise gekommen. Auch deshalb, weil Vertragsärztinnen und Vertragsärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten dem stationären Sektor den Rücken freigehalten haben: Sechs von sieben Covid-19-Patienten wurden ambulant versorgt.
Die Niedergelassenen haben in den vergangenen Monaten Außergewöhnliches geleistet, um mit dem Infektionsrisiko in den Praxen angemessen umzugehen und dabei die normale Versorgung ihrer Patienten aufrechtzuerhalten – mit großem persönlichen Einsatz, aber auch wirtschaftlichen Verlusten. Wie groß die Umsatzeinbußen sind, wird sich erst in ein paar Monaten im Detail zeigen. Erste Ergebnisse einer KVNO-Umfrage lagen zur Sonder-Vertreterversammlung am 19. Juni vor. „Wir haben uns wochenlang in Berlin dafür eingesetzt, dass die Praxen nicht auf ihren Verlusten sitzen bleiben. Wir dürfen die Struktur der ambulanten Versorgung nicht gefährden. Gemeinsam mit der KBV und den anderen Länder-KVen haben wir dafür gestritten, dass der staatliche Schutzschirm nicht nur über den Krankenhäusern, sondern auch über den Vertragsärzten und -psychotherapeuten aufgespannt wird – mit Erfolg. Dass auch an Praxen Kurzarbeitergeld zur Überbrückung wirtschaftlicher Schwierigkeiten gezahlt werden kann, können wir ebenfalls als Erfolg verbuchen“, betont Bergmann.
Millionen Schutzmasken verteilt
Die KV Nordrhein hat auch vor Ort mit vielerlei Initiativen versucht, ihre Mitglieder so gut es ging durch die Krise zu begleiten. Tagesaktuelle Informationen zum Infektionsgeschehen und zu coronabedingten Sonderregelungen über einen Extra-Newsletter und eine eigens dafür erstellte Website gehören ebenso dazu wie die Zusammenarbeit mit Ärztekammer und Kommunen bei der Unterstützung von Diagnose- und Abstrichzentren. Als große Herausforderung stellte sich angesichts leer gefegter Märkte die Beschaffung von Schutzmaterial heraus. Von Bund und Land zugesagte Lieferungen ließen lange auf sich warten, sodass die KVNO mit erheblichem Aufwand und aus eigenen Mitteln beträchtliche Bestände akquirierte. Sie stattete damit anfangs zunächst die 77 Notdienstpraxen und Praxen in besonders betroffenen Regionen aus, später mit Zulieferungen des Bundes sämtliche haus- und fachärztlichen Praxen in Nordrhein. In drei großen zentralen Verteilaktionen wurden so bislang über drei Millionen Mund-Nasen-Schutze, rund 1,2 Millionen FFP2/3-Masken, 1,5 Millionen Schutzhandschuhe und 12.000 Liter Desinfektionsmittel an die nordrheinischen Vertragsärzte und -psychotherapeuten ausgegeben.
Vor dem Hintergrund zurückgehender Infektionszahlen appellierten NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann und KVNO-Chef Bergmann bei einer gemeinsamen Pressekonferenz Anfang Mai an die Bürger, notwendige Praxisbesuche und Vorsorgeuntersuchungen wieder wahrzunehmen. „Unsere Praxen sind für die Wiederaufnahme der Regelversorgung gut vorbereitet“, so Bergmann. Angesichts der Lockerungen von Kontaktbeschränkungen warnte er aber auch davor, die Gefahr durch das Virus zu unterschätzen: „Die Pandemie ist noch nicht vorbei!“
Thomas Lillig ist Redakteur im Bereich Presse und Medien der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein