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Praxis

Aus Fehlern lernen

13.12.2019 Seite 30
RAE Ausgabe 1/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 1/2020

Seite 30

Starke Partner – Vertreter der Trägerinstitutionen von CIRS NRW. © KVNO/Malinka
Die KV Nordrhein war Gastgeberin des 6. CIRS-Gipfels NRW am 27. November. Unter dem Motto „Mach mit! Gemeinsam sicher handeln!“ diskutierten im Haus der Ärzteschaft rund 120 Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige weiterer Gesundheitsberufe über die Bedeutung einer konstruktiven Fehlerkultur. 

Von Thomas Lillig

Das Applausometer brachte es an den Tag. Auf die Frage von Moderator Lüder Warnken, wie viele der Teilnehmer im Qualitätsmanagement einer Klinik beschäftigt sind, klatschte mehr als der halbe Saal. Bei der Frage nach niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten regten sich nur vereinzelt Hände. Das Ergebnis überrascht nicht: Auch von den derzeit rund 2.000 eingestellten Berichten im CIRS-NRW-Portal kommen drei Viertel aus dem klinischen Umfeld, aber nur 132 aus vertragsärztlichen Praxen. Die QM-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses verlangt von Krankenhäusern und vertragsärztlichen Praxen die Anwendung von Fehlermeldesystemen als Instrument ihres Risiko- und Qualitätsmanagements. Bei den Niedergelassenen sei hier aber noch „Luft nach oben“, bemerkte Dr. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, der den 6. CIRS-Gipfel in Düsseldorf eröffnete.
Das Critical-Incident-Reporting-System (CIRS) NRW für kritische Ereignisse in der Patientenversorgung existiert seit 2012 und ist eine gemeinsame Initiative der beiden Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen in Nordrhein und Westfalen-Lippe sowie der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen. Seit diesem Jahr beteiligen sich auch die beiden Apothekenkammern in NRW daran. Es steht Angehörigen der Gesundheitsberufe zur Verfügung, um sich über Beinahe-Fehler auszutauschen und aus diesen zu lernen. 

Viele Beispiele aus der Praxis

Austausch und gemeinsames Lernen standen auch beim diesjährigen CIRS-Treffen im Mittelpunkt. Die Teilnehmer hatten die Auswahl aus sieben Workshops, um sich intensiv mit den Ursachen von Fehlern und der Frage nach der richtigen Fehlerkultur zu beschäftigen. In einer solchen Kultur gehe es nicht um die Person, sondern um die Handlung: „Nicht ‚wer‘ den Fehler gemacht hat, sondern Informationen darüber, ‚welcher Fehler warum‘ gemacht wurde, bringen uns weiter“, sagte Bergmann. 
Das Veranstaltungsmotto „Mach mit!“ war deshalb zugleich Aufforderung an die Teilnehmer, sich in den Workshops aktiv zu beteiligen. Orientiert an den am häufigsten berichteten kritischen Ereignissen in der Versorgung beschäftigten sich die Workshops unter Leitung von Experten anhand realer Beispiele mit Fehlern in der Kommunikation am Telefon, dem Umgang mit Medizinprodukten, Konflikten an den Schnittstellen zwischen ambulantem und stationärem Sektor und den Folgen von Medikamentenverwechslungen. Auch für die richtige Analyse von kritischen und unerwünschten Ereignissen und die Erfassung von CIRS-Implementierungserfolgen gab es Angebote.  

Blick über die Grenze

Bevor es in die Workshops ging, hatte Dr. Markus Klinek den Besuchern des CIRS-Gipfels Einblicke in die Arbeit seiner CIRS-Kommission am Erasmus MC Universitätsklinikum Rotterdam gegeben. In dem dort installierten System seien bereits 10.000 Meldungen hinterlegt. Klinek erläuterte, mit welchen Modellen und Analyse-Tools sein mehr als 20 Mitarbeiter umfassendes Team arbeitet. Ausführlich stellte er das Tripod-Modell vor, das aus der Ölindustrie stammt und Barrieren in der Dreierbeziehung von Gefahr, Objekt und Vorfall identifiziert. „Idealerweise gibt es Barrieren, damit eine Gefahr das Objekt nicht erreicht und der Vorfall ausbleibt. Aber manchmal versagen einige dieser Barrieren. Warum das so ist, muss man aufarbeiten.“ 
Klinek ließ erkennen, dass der Begriff Fehlerkultur in Deutschland und den Niederlanden unterschiedlich interpretiert wird. In seinem Klinikum seien die in CIRS gemeldeten Vorfälle bewusst nicht anonym, weil die Anonymität ein „kulturbehindernder Faktor“ sei. Nur wenn man wisse, wer etwas gemeldet habe, könne man eine Rückmeldung geben, und das sei essenziell für die Analyse und Aufarbeitung des Falls. Deutsche CIRS-Netze wie CIRS NRW dagegen sehen in der Anonymität eine wichtige Schutzfunktion für die Berichterstatter. Eingesandte Berichte werden durch das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin zunächst auf Anonymität geprüft und wenn nötig redaktionell verändert, bevor sie auf der CIRS-Plattform freigeschaltet werden. 
In unseren Berufen können Fehler gravierende Folgen haben“, sagte Dr. Frank Bergmann. Eine offene und angstfreie Fehlerkultur sei deshalb eine wesentliche Voraussetzung dafür, „dass ein Fehler kein zweites Mal gemacht werde“. Oder mit den Worten des Schriftstellers Paulo Coelho: „Wenn Du einen Fehler wiederholst, ist es kein Fehler mehr – es ist eine Entscheidung!“ 

Thomas Lillig ist Redakteur im Bereich Presse und Medien der KV Nordrhein