Die Ärztekammer Nordrhein hat gemeinsam mit den Berufsverbänden der operierenden Fächer in Nordrhein einheitliche Anforderungen zur Durchführung von sogenannten schönheitschirurgischen Wunschbehandlungen formuliert. Diese sollen für alle Ärztinnen und Ärzten bindend sein. Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein und Vorsitzender des Berufsordnungsausschusses, erklärt im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt den Hintergrund der Initiative.
RÄ: Herr Zimmer, warum hat sich die Ärztekammer gemeinsam mit den Berufsverbänden der operierenden Fächer an die Ausformulierung von Rahmenbedingungen für sogenannte Wunschbehandlungen gemacht?
Zimmer: Im vergangenen Jahr sind zwei Todesfälle im Zusammenhang mit wunschmedizinischen Behandlungen in unserem Kammerbezirk bekannt geworden. Der Vorstand der Ärztekammer Nordrhein und die Kolleginnen und Kollegen in den Fachgesellschaften haben sich daraufhin die Frage gestellt, welchen Beitrag wir alle zu mehr Patientensicherheit leisten können, um das Risiko für solche tragischen Ereignisse weitestgehend zu minimieren. Immer häufiger werden darüber hinaus schönheitschirurgische Eingriffe auch in gewerblichen Strukturen durchgeführt. Als Ärztekammer haben wir hier gar keine Kontrollmöglichkeiten und unser Bemühen, hier eine Änderung herbeizuführen, harrt noch der Umsetzung durch den Gesetzgeber.
RÄ: Wie viele Operationen werden denn in Nordrhein durchgeführt?
Zimmer: Das ist zum Beispiel etwas, was wir nicht wissen. Plastisch-ästhetische Eingriffe erfreuen sich in Deutschland seit Jahren wachsender Beliebtheit. Laut Mitgliederbefragung der Vereinigung der Deutschen Ästhetisch-Plastischen Chirurgen (VDÄPC) hat sich die Zahl der bundesweiten Eingriffe von 77.485 im Jahr 2018 auf 83.338 im Jahr 2019 erhöht. Das ist ein Anstieg bei Frauen und Männern um 7,5 Prozent. Dabei müssen wir bedenken, dass sich die Statistik rein aus den Rückmeldungen der VDÄPC-Mitglieder speist. Wir wissen aber, dass weitaus mehr plastisch-chirurgische Wunschbehandlungen auch von anderen operierenden Fächern vorgenommen werden. Einige Schätzungen sprechen von 300.000 ästhetischen Eingriffen und Behandlungen pro Jahr. Doch keiner weiß das genau. Und wir wissen auch nicht, in welchen Einrichtungen jenseits von Arztpraxen und Kliniken schönheitschirurgische Operationen durchgeführt werden und mit welchen Qualifikationen der dort Handelnden. Auch weitgehend unbekannt ist, bei wie vielen gefahrgeneigten Eingriffen es zu Komplikationen kommt, die beispielsweise weitere Nachbehandlungen, sogar neuerliche Operationen erforderlich machen.
RÄ: Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Kaufmännischen Krankenkasse aus diesem Jahr hat gezeigt, dass sich aktuell jeder Fünfte zwischen 16 und 65 Jahren vorstellen kann, einen schönheitschirurgischen Eingriff vornehmen zu lassen. Überlagert der Wunsch nach einem besseren Aussehen die Sorgen über mögliche Risiken?
Zimmer: Ich glaube, dass sich die meisten Menschen, die sich eine schönheitschirurgische Behandlung ohne medizinische Indikation wünschen, im Vorfeld nicht klarmachen, dass erst die Operation sie zu Patienten macht. Die Menschen kommen gesund in die Praxis. Sie haben keine Krankheiten, Verletzungen oder Narben. Sie haben erst einmal nur den Wunsch, ihr Äußeres zu verändern. Erst der gewünschte Eingriff macht sie zu Patienten. Und weil dem so ist, kommt uns Ärzten auf diesem Feld eine ganz besondere Verantwortung zu. Denn wir wissen, dass jeder Eingriff mögliche Gefahren birgt. Da bilden Schönheitsoperationen keine Ausnahme. Es liegt in der Verantwortung der Operateure, ihre Patienten hier umfänglich und ehrlich aufzuklären. Dabei gilt, dass der Umfang der Aufklärung und das Maß der Genauigkeit, mit dem aufzuklären ist, umso intensiver sein muss, je weniger dringlich der Eingriff ist. Und das ist bei Wunschbehandlungen besonders zu beachten, da es ihnen an jeder Dringlichkeit fehlt.
Darüber hinaus gehört es zur ärztlichen Verantwortung, „Nein“ zu sagen, wenn Eingriffe nachgefragt werden, die aufgrund der Konstitution des Patienten zu gefährlich sind. Es ist ärztliche Aufgabe, „Nein“ zu sagen, wenn junge Menschen unter 18 Jahren mit retuschierten Selfiefotos kommen und um entsprechende operative Eingriffe bitten. Und es ist für mich unverzichtbar, Patienten nach einem Aufklärungsgespräch ausreichend Bedenkzeit einzuräumen, damit diese ihre Entscheidung auch reiflich überlegen und gegebenenfalls revidieren können.
Ich bin sehr stolz, dass in unseren Workshops mit den Berufsverbandsvertretern, mit denen wir das Papier erarbeitet haben, in diesen Punkten absolute Einigkeit bestand. Es war uns allen klar, sollte in Zukunft der Eindruck entstehen, dass die Operateure alle Patientenwünsche ohne sorgfältige Prüfung erfüllen, und dass hier Profit vor Verantwortung geht, dann verspielen diese operativ Tätigen das Vertrauen in unsere ärztliche Integrität und unser Ethos. Und das schadet dann nicht nur den involvierten Fächern, sondern der gesamten Ärzteschaft.
RÄ: Sind die Themen Aufklärung und Verantwortung Bestandteile des nun vorgelegten Papiers?
Zimmer: Sicher. Aber zuerst einmal klären wir, dass die vereinbarten Anforderungen für alle nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte gelten sollen, egal in welchen Berufsausübungsformen sie plastisch-ästhetische Wunschbehandlungen erbringen. Und dann definieren wir auf Basis bestehender Gesetze, Empfehlungen und Leitlinien die Standards, die bei allen Behandlungen und Eingriffen zu berücksichtigen sind. Da geht es um Qualifikationen, natürlich um fachgerechte Aufklärung und Dokumentation, und um die Gewährleistung einer eigenständigen und ausreichenden Berufshaftpflicht. Es geht um Werbebegrenzungen und um die organisatorischen, hygienischen und apparativen Voraussetzungen, die je nach Art, Anzahl, Spektrum und dem jeweiligen Ort der Erbringung des Eingriffs erfüllt sein müssen. Wie gesagt, wir haben die aktuell geltenden Anforderungen komprimiert und in einem fünfseitigen Papier zusammengefasst, nach dem sich die auf diesem Feld tätigen Kolleginnen und Kollegen richten sollen. Nachzulesen ist der Text auf unserer Homepage unter www.aekno.de/schoenheitschirurgie. Es ist für mich unvertretbar, wenn im Bereich der Wunschbehandlungen ein niedrigerer Standard an Qualifikation, Ausstattung oder Hygiene in Kauf genommen wird als bei jeder medizinisch indizierten Krankenkassenleistung.
RÄ: Viele Bürgerinnen und Bürger fragen schönheitschirurgische Eingriffe relativ sorglos nach. Was rät die Ärztekammer?
Zimmer: Analog zu dem Anforderungspapier hat die Ärztekammer Nordrhein auf ihrer Homepage www.aekno.de/fileadmin/user_upload/aekno/downloads/2019/schoenheitsoperationen-2019.pdf auch Informationen für Bürgerinnen und Bürger eingestellt. Für mich sind drei Punkte hier besonders wichtig. Erstens: Bürgerinnen und Bürger sollten sich ernsthaft im Vorfeld einer Wunschbehandlung über ihre Motive bewusst werden. Sie sollten sich, wie auch bei anderen weitreichenden Entscheidungen fragen, ob eine Operation tatsächlich ihr Lebensgefühl verändern kann und welche Risiken sie bereit sind, dafür einzugehen. Und wie bei allen anderen wichtigen, insbesondere nicht umkehrbaren Entscheidungen sollten sie sich von unterschiedlichen Seiten beraten lassen. Wir empfehlen daher, dass sich Bürgerinnen und Bürger vor einem gewünschten, aber nicht notwendigen Eingriff mit einem Arzt ihres Vertrauens, der nicht der profitierende Operateur ist, über die möglichen Auswirkungen des geplanten Eingriffs besprechen. Zweitens haben wir eine Checkliste zusammengestellt, die Bürgerinnen und Bürgern dabei helfen soll, eine geeignete Arztpraxis zu finden, in der sie sich fachlich sicher aufgehoben und wohl fühlen. Und der dritte Punkt ist eher eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung: Ich wünschte, dass wir als Gesellschaft wieder dazu kommen, uns so anzunehmen, wie wir sind und dass wir den stressenden Perfektionismus, der zu einer ständigen Selbstoptimierung führt, hinter uns lassen.
Das Interview führte Sabine Schindler-Marlow