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Gesundheits- und Sozialpolitik

Niedergelassene: Klare Forderungen für künftige Pandemien

23.10.2020 Seite 20
RAE Ausgabe 11/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 11/2020

Seite 20

  • KVNO-Chef Dr. med. Frank Bergmann kritisierte in seinem Bericht unter anderem die Erhöhung des Orientierungspunktwerts um nur 1,25 Prozent. © KVNO
  • Die KVNO-VV tagte erstmals coronakonform in Form einer „Hybridvertreterversammlung“ mit Delegierten im Saal und zu Hause. © KVNO
Bei ihrer ersten „Hybridvertreterversammlung“ (VV), der eine Klausurtagung vorausging, haben die Delegierten der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) am 25. September über die Lehren aus der Corona-Pandemie debattiert. Ergebnis ist unter anderem ein Positionspapier mit klaren Forderungen an die Politik. Weitere wichtige Themen waren die Honorarentwicklung und die Inanspruchnahme des „Schutzschirms“. 

von Heiko Schmitz

Ziel der Klausurtagung vor der VV war es, die in der Pandemie gesammelten Erfahrungen zu strukturieren und Empfehlungen für den weiteren Verlauf der Corona-Pandemie, aber auch für künftige pandemische Situationen zu erarbeiten. In die Debatte flossen sowohl Erkenntnisse und Initiativen des KVNO-Vorstands und der Fachabteilungen der KV Nordrhein als auch Hinweise und Vorschläge aus den Beratenden Fachausschüssen der KVNO ein. Die Erkenntnisse aus der Tagung sollen allen niedergelassenen Mitgliedern in einem „Pandemie-Handbuch“ zur Verfügung gestellt werden. Delegierte und Vorstand formulierten aber auch Erfordernisse und Voraussetzungen für einen zukünftigen Einsatz der Niedergelassenen. 
„Es geht um unsere Erfahrungen aus den vergangenen sieben Monaten, die sehr schwierig waren, in denen wir aber auch viel gelernt haben“, sagte Dr. med. Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein, zu Beginn der Tagung. „Wir wollen in Zukunft besser auf vergleichbare Situationen vorbereitet sein. Überlegungen dazu hatten wir schon vor der Tagung angestoßen, denn wir haben die Ereignisse fortlaufend kritisch reflektiert, Reaktionen und Maßnahmen von Politik und Behörden kritisch und konstruktiv begleitet und vielfach – auch öffentlich – kommentiert“, so Bergmann. „Der Rückenwind aus der vergangenen VV kam uns gerade recht.“ In seinem Bericht kündigte der KVNO-Chef an, dass es eine „Task Force“ unter Einbeziehung der Beratenden Fachausschüsse geben werde.

Positionspapier mit klaren Forderungen  

Die Delegierten verständigten sich in der auf die Tagung folgenden Vertreterversammlung auf ein Positionspapier mit zentralen Forderungen, insbesondere an Politik und Gesundheitsbehörden. Die Praxen müssten als Bollwerk für die klinische Versorgung frühzeitig in politische Planungen kooperativ einbezogen werden. Die Vertragsärzteschaft sei die bedeutendste medizinische, flächendeckend vorhandene Ressource, die nicht durch Anweisung und zentrale Steuerung zu erschließen sei, sondern durch eine intensive Einbindung in die Organisationsstrukturen des Katastrophenschutzes. 
„Wir können Gesundheit besser als alle anderen“, betonte VV-Vorsitzender Bernd Zimmer. Wichtig war den Delegierten die Einbindung der KV in die Erstellung und Aktualisierung von Pandemieplänen sowie in kommunale Krisenstäbe. Wichtig sei zudem eine Klarstellung der Aufgabenteilung zwischen ambulanter Versorgung und Öffentlichem Gesundheitsdienst.
Eine Forderung der VV bezieht sich nach den Erfahrungen im Frühjahr auf die Bereitstellung und Finanzierung ausreichender Mengen an Schutzmaterial. Zu Beginn der Pandemie mussten die KVen den Mangel selbst ausgleichen, was nicht ihre Aufgabe ist. Praxen müssten für die besonderen pandemiebedingten Aufgaben und Investitionen (zum Beispiel zur Praxisausstattung und für technische Infrastruktur) sowie die Mehrarbeit adäquat und zusätzlich honoriert werden. Gefordert wird auch eine automatische SchutzschirmRegelung im Falle einer epidemischen Lage. Staat und Selbstverwaltung müssten für die Ärztinnen und Ärzte ein Mindestmaß an materieller und persönlicher Sicherheit gewährleisten, damit sie sich auf die Bewältigung der medizinischen und organisatorischen Herausforderungen einer Pandemie konzentrieren können, lautet die Kernforderung. 

Getrennte Versorgung organisieren

Für den weiteren Verlauf der Pandemie hielten die Delegierten fest: Erste Anlaufstelle für Patienten bleiben die Praxen. Die Vertragsärzteschaft sei in der Lage, eine getrennte Versorgung von Infizierten oder Verdachtsfällen und nicht infizierten Patienten zu organisieren – mit an die Infektionslage und an lokale Strukturen angepassten Maßnahmen. Zu denen könnten im letzten Schritt nach Infektionssprechstunden, der Aufrüstung von Testzentren und Hausbesuchsdiensten auch Behandlungszentren gehören.
Deutlich positionierte sich die KVNO-VV zur Entscheidung des Erweiterten Bewertungsausschusses, den Orientierungswert ab dem 1. Januar 2021 nur um 1,25 Prozent anzupassen. Vorstand und VV votierten einstimmig für eine Resolution, in der die Anpassung kritisiert wird. „Dieses Ergebnis ist nicht angemessen und kann vor dem Hintergrund der Leistungen der Vertragsärztinnen und -ärzte sowie der Vertragspsychotherapeuten und -therapeutinnen, insbesondere während der Pandemie, nur als Affront gewertet werden“, heißt es darin. Der Schiedsspruch des Erweiterten Bewertungsausschusses trage weder den gestiegenen Aufwendungen in den Praxen Rechnung noch erkenne er die Versorgungsleistung und die Doppelbeanspruchung der Vertragsärzte und -psychotherapeuten an. Anders als bei anderen Akteuren im Gesundheitswesen – insbesondere bei den Kliniken und im Öffentlichen Gesundheitsdienst – blieben Kosten für die hohen Hygieneanforderungen und die Digitalisierung unberücksichtigt. Gegenstand der Resolution sind auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Praxen: Auch deren Leistungen müssten analog dem Corona-Sonderbonus in der Altenpflege mit einem angemessenen finanziellen Bonus gewürdigt werden.

Schutzschirm war wichtig

Dies sei umso unverständlicher, da die Niedergelassenen in jedem Fall weiterhin eine wichtige Rolle spielen werden bei der Bewältigung der Pandemie. Dass die ambulante Versorgung in den vergangenen Monaten jederzeit gesichert war und es keine nennenswerte Zahl an geschlossenen Praxen gab, belegen die Zahlen der Inanspruchnahme des Schutzschirms und der Honorarentwicklung. Bereits im ersten Quartal haben sich über 3.000 Praxen an der Versorgung von Corona-Patienten beteiligt und dabei über 100.000 Personen mit Infektionsverdacht oder nachgewiesener Infektion versorgt. Die KV Nordrhein leistete Ausgleichszahlungen an Praxen in Höhe von 17,85 Millionen Euro; 3.015 Praxen (3.841 Ärztinnen und Ärzte) haben Geld erhalten. „Der Durchschnitt pro Praxis lag bei knapp 6.000 Euro – das ist weniger als wir erwartet haben. Tatsächlich gab es im ersten Quartal nur einen Rückgang von zwei Prozent bei den Behandlungsfällen“, sagte Bergmann. „Gleichwohl war es wichtig, den Schutzschirm zu haben, um Praxen zu erhalten.“ 
Im zweiten Quartal lagen die Gesamtausgaben beim Honorar ohne Schutzschirmzahlungen um etwa ein Prozent über dem Vorjahresquartal. Das liegt vor allem daran, dass der starke Rückgang bei den Fallzahlen von knapp elf Prozent höhere Fallwerte erzeugt, ein einmaliger Effekt. Die erwartete Schutzschirmzahlung im zweiten Quartal bewegt sich zwischen 30 und 40 Millionen Euro. Explosionsartig entwickelt hat sich in Nordrhein die Zahl der Videosprechstunden: Im zweiten Quartal gab es 161.480 Arzt-Patienten-Kontakte – im gleichen Quartal des Vorjahres waren es 38. 

Dr. Heiko Schmitz leitet den Bereich Presse und Medien der KV Nordrhein
 

Positionspapier von Vorstand und VV (Auszüge)

Das deutsche Gesundheitswesen ist dank des engagierten Einsatzes der Vertragsärzte und -psychotherapeuten zu keinem Zeitpunkt an die Grenze seiner Kapazitäten gelangt … Um besser gerüstet zu sein für eine zukünftige, vielleicht gefährlichere Pandemie, hat die KVNO für verschiedene Szenarien einige Erkenntnisse und Erfordernisse formuliert.
Staat und Selbstverwaltung müssen für die handelnden Vertragsärzte und -psychotherapeuten ein Mindestmaß an materieller und persönlicher Sicherheit gewährleisten, damit sie sich auf die Bewältigung der medizinischen und organisatorischen Herausforderungen einer Pandemie konzentrieren können…

Das Krisenmanagement bedarf der Optimierung. In Katastrophenlagen größeren Ausmaßes reichen die ärztlichen Ressourcen der zuständigen Akteure des 
Katastrophenschutzes nicht aus. 

Die Vertragsärzteschaft ist die bedeutendste medizinische Ressource, die überall vorhanden ist. Sie ist aber nicht durch Anweisung und zentrale Steuerung für das Krisenmanagement zu erschließen, sondern nur durch Einbindung in die Organisationsstrukturen des Katastrophenschutzes und dezentrale Aktivierung…

Das schnelle Hochfahren der Diagnostik und eine der Lage angepasste optimale Teststrategie sind kritische Erfolgsfaktoren bei der Eindämmung einer Pandemie. Deutschland schneidet diesbezüglich im internationalen Vergleich sehr gut ab. Trotzdem gibt es Änderungsbedarf:

  • Die bürokratischen Anforderungen dürfen nicht aus dem Ruder laufen. Ein einheitliches Muster zum Beispiel für die Laborüberweisung wäre wünschenswert.
  • Komplizierte Regelungen zur Kostenträgerschaft sollten sich nicht in der Kommunikation an die Bürger niederschlagen. Einfache, klare Regeln steigern die Chance auf Akzeptanz.
  • Praxispersonal steht unter erhöhtem Risiko der Infektion. Das kostenlose Testen dieser Gruppe ist regelmäßig vorzusehen.


Erste Anlaufstelle für Patienten sind auch in einer Pandemie mit einem Erreger wie SARS-CoV-2 die ambulanten Praxen. Die Vertragsärzteschaft steht zu ihrem Sicherstellungsauftrag und ist in der Lage, eine getrennte Versorgung von Infizierten beziehungsweise
Verdachtsfällen und nicht infizierten Patienten zu organisieren….

Zur Vermeidung von Verunsicherung bis hin zur Panik in der Bevölkerung ist es erforderlich, die Kommunikationsaktivitäten von Behörden, Vertragsärzten und -psychotherapeuten bestmöglich aufeinander abzustimmen.
Das gesamte Positionspapier finden Sie unter www.kvno.de