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Praxis

Anwendungen bringen Mehrwert für Ärzte und Patienten

26.10.2020 Seite 23
RAE Ausgabe 11/2020

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 11/2020

Seite 23

Sobald Ärztinnen und Ärzte flächendeckend mit dem elektronischen Heilberufsausweis ausgestattet sind, können praxisbezogene Anwendungen Leben in das digitale Netz des Gesundheitswesens bringen.

von Jürgen Brenn

Für viele Praxen ist der Abgleich der Versichertenstammdaten zur lästigen Routine geworden. Seit Juli 2018 ist dieser verpflichtend und bisher die einzige Anwendung, die die Telematikinfrastruktur (TI) nutzt. Bereits im März 2015 hatten die Delegierten der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein den Versichertenstammdatenabgleich als „originäre Verwaltungsaufgabe der Krankenkassen“ kritisiert, die nun von Praxen und Kliniken zu erledigen sei. In einer Entschließung forderten die Delegierten: „Der vom Gesetzgeber 2003 eingeleitete Aufbau einer Telematik-Infrastruktur im Gesundheitswesen macht nur Sinn, wenn dabei medizinisch sinnvolle Anwendungen zum Nutzen der Patienten im Mittelpunkt stehen – zum Beispiel ein Medikationsplan oder der Notfalldatensatz auf der elektronischen Gesundheitskarte.“
Diese Anwendungen der TI gehen nun an den Start. Sie können in Verbindung mit der entsprechend aktualisierten Praxis- und Krankenhaussoftware, dem TI-fähigen Konnektor (Update nötig), dem elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) und der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) der Patienten genutzt werden. Bei diesen Anwendungen steht der Anschaffung eines eHBA ein konkreter Mehrwert gegenüber.

Notfalldatenmanagement

Das Notfalldatenmanagement (NFDM) ist im Wesentlichen von der Bundesärztekammer konzipiert worden. Für den Zugriff und die Speicherung des Notfalldatensatzes auf der eGK wird die qualifizierte Signatur mit dem eHBA benötigt. Mit dem NFDM steht eine Anamneseunterstützung für Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung. Häufig kommt es bei der Patientenversorgung vor, dass relevante Informationen nicht vorhanden sind und der Patient selbst nicht in der Lage ist, zur Anamnese beizutragen. Dies kann zum Beispiel bei der präklinischen Versorgung durch den Rettungsdienst oder regelmäßig bei Patienten in der Notaufnahme einer Klinik der Fall sein. Auch wenn ein Arzt in der ambulanten Versorgung auf einen unbekannten Patienten mit Akutbeschwerden trifft, könnte das NFDM von Nutzen sein. „Jede Kollegin und jeder Kollege – sei es im ärztlichen Notdienst, sei es in der notärztlichen ambulanten Versorgung – wird von der elektronischen Notfallakte zum Wohle der Patientenversorgung profitieren“, sagte Dr. Christiane Groß, M.A., Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein und eine der beiden Vorsitzenden des Ärztlichen Beirates Telematik zur Begleitung des Aufbaus einer Telematik-Infrastruktur für das Gesundheitswesen in Nordrhein-Westfalen, im Interview mit dem Rheinischen Ärzteblatt (siehe RÄ 10/2020, S. 22). 
Technisch setzt sich das NFDM aus zwei Elementen zusammen: dem Notfalldatensatz mit notfallrelevanten medizinischen Informationen über den Patienten und einem Datensatz mit Hinweisen zu persönlichen Erklärungen des Patienten. Im Notfalldatensatz lassen sich zum Beispiel Angaben zu Diagnosen, Medikation, Allergien oder Unverträglichkeiten erfassen. Inhaltliche Vorgaben gibt es nicht. Die notfallrelevanten medizinischen Informationen sind vielmehr vom behandelnden Arzt patientenindividuell festzulegen. Der Datensatz muss mit dem elektronischen Heilberufsweis rechtsverbindlich signiert werden.
Getrennt von den Notfalldaten können im zweiten Datenblock Informationen zu den Aufbewahrungsorten etwa einer Organ- oder Gewebespendeerklärung, einer Vorsorgevollmacht oder einer Patientenverfügung abgelegt werden. Dieser Datenblock muss vom Arzt nicht unterschreiben werden. 
Beide Blöcke sind getrennt voneinander anleg- und veränderbar und können auch getrennt voneinander von berechtigten Personen ausgelesen werden. Die Anwendung auf der eGK ist für Patientinnen und Patienten freiwillig. Sie haben allerdings einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass der Arzt die Notfalldaten speichert und aktualisiert.

Medikationsplan

Eine ebenfalls sinnvolle Anwendung der TI in Verbindung mit dem eHBA und der eGK ist die Umstellung des bisher papiergestützten Medikationsplans auf eine elektronische Version. Die genaue Kenntnis der Medikation eines Patienten ist die Basis einer rationalen Pharmakotherapie. Gerade vor dem Hintergrund der steigenden Zahl an chronisch kranken und älteren Patienten hat das Wissen darüber, welche Arzneimittel und eventuell auch Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden, eine hohe Relevanz. Auch kann ein Medikationsplan zur Optimierung der Nutzen-Risiko-Relation sowie zur Vermeidung unerwünschter Arzneimittelwirkungen beitragen.
Der elektronische Medikationsplan (eMP) soll, wie sein Vorgänger auf Papier, einen Überblick aller verschreibungspflichtigen Arzneimittel enthalten, die der Patient einnimmt, sowie dessen Selbstmedikation. Dazu werden unter anderem Wirkstoff, Handelsname, Dosierung, Einnahmegrund und sonstige Hinweise zur Einnahme für jedes Arzneimittel erfasst. Auch medikationsrelevante Daten, wie Allergien und Unverträglichkeiten, Körpergewicht und der Kreatininwert können aufgenommen werden. Der eMP enthält darüber hinaus zusätzliche Kommentarfelder und ermöglicht es, auch die frühere Medikation eines Patienten zu speichern. 
Für Patientinnen und Patienten ist der elektronische Medikationsplan freiwillig. Bevor Ärztinnen und Ärzte einen eMP erstellen, müssen sie die Patientin oder den Patienten darüber aufklären sowie eine Einwilligung einholen und diese dokumentieren. Wenn Patienten mindestens drei verschreibungspflichtige Medikamente gleichzeitig einnehmen, haben sie einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass der Arzt einen Medikationsplan erstellt. Die Daten des eMP werden auf der eGK gespeichert und bleiben somit in vollständiger Hoheit der Patienten. Diese können entscheiden, wer die Daten sehen oder speichern darf.