Die Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen wird auf eine neue Grundlage gestellt. Dazu liegt nun ein Gutachten vor. Unter den Stichworten „Leistungsplanung“ und „Qualität“ soll noch in dieser Legislaturperiode ein neuer Krankenhausplan erarbeitet und umgesetzt werden.
von Anja Mitrenga-Theusinger und Ulrich Langenberg
Wie viele Krankenhäuser braucht Nordrhein-Westfalen? Welche Anforderungen müssen die einzelnen Häuser und ihre Fachabteilungen erfüllen? Brauchen wir mehr Zentren? Was wird aus den kleinen Krankenhäusern im ländlichen Raum? Die Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen hat sich in der Vergangenheit schwer getan, überzeugende Antworten auf diese Fragen zu geben und noch schwerer damit, Strukturveränderungen tatsächlich umzusetzen.
Bund greift immer tiefer in Leistungsbereiche ein
Das hatte durchaus Gründe: Zu dominant sind häufig andere Einflussgrößen auf die Krankenhausversorgung, allen voran das von der Bundesebene vorgegebene Fallpauschalen-Vergütungssystem (DRGs), dessen Reformbedürftigkeit inzwischen weitgehend anerkannt wird. Auch auf andere Weise wirkt die Bundesebene auf die Krankenhausstrukturen in den Ländern ein, vor allem über die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses zu Qualitäts- und Strukturanforderungen für viele Leistungsbereiche, zuletzt auch für die stationäre Notfallversorgung und die sogenannten Sicherstellungszuschläge. Aktuell sind es die Bundesvorgaben zu Mindestpersonalbesetzungen, die heftig diskutiert werden.
Angesichts so starker „Hebel“ der Bundesebene stellt sich die Frage, wie die Bundesländer ihrer doch eigentlich grundgesetzlich verankerten Zuständigkeit für die Krankenhausstrukturen Geltung verschaffen können. Der letzte, im Jahr 2013 veröffentlichte Krankenhausplan für Nordrhein-Westfalen war in dieser Hinsicht kein durchschlagender Erfolg. Dabei war der Plan in mancher Hinsicht durchaus innovativ, vor allem mit seiner klaren Ausrichtung auf eine qualitätsorientierte Planung. Doch viele Qualitätsvorgaben und -ziele erwiesen sich in der konkreten Umsetzung als zu unscharf, um klare Entscheidungsgrundlagen zu bieten.
Hinzu kam ein grundsätzliches Problem: Der Plan war einer noch bis vor einigen Jahren sehr „angesagten“ Philosophie verpflichtet, die das staatliche Handeln auf eine „Rahmenplanung“ begrenzen wollte. Krankenhäuser sollten Gestaltungsfreiräume haben, die man nicht durch detaillierte Vorgaben beschränken wollte.
Deshalb hatte man in Nordrhein-Westfalen bereits im Jahr 2007 die gesetzlichen Vorgaben „verschlankt“. Dementsprechend wurden keine „Teilgebiete“ wie Kardiologie oder Unfallchirurgie mehr geplant. Das Ergebnis: Ein Krankenhaus mit einem Versorgungsauftrag für Innere Medizin und Chirurgie war mehr oder weniger frei, seine Tätigkeitsschwerpunkte innerhalb dieser großen Gebiete selbst zu bestimmen.
Die jetzt vom Land beauftragten Gutachter, darunter der Berliner Gesundheitsökonom Reinhard Busse, stellen fest, dass damit Zugriff auf fast zwei Drittel des gesamten Leistungsspektrums bestand. Die Hoffnung, dass Qualitäts- und Strukturvorgaben für die notwendige Ordnung sorgen, erwies sich als trügerisch. Dass die „Planung“ unter solchen Voraussetzungen ziemlich blass blieb, ist im Rückblick wenig verwunderlich. Und schließlich erlebte man dann, wenn man sich doch einmal zu einem entschiedeneren Handeln auch im Konflikt mit einzelnen Krankenhausträgern entschlossen hatte, dass dies vor Gericht zu oft keinen Bestand hatte, weil die gesetzlichen Grundlagen schlicht nicht ausreichten.
Von der Rahmen- zur Leistungsplanung
Das Ergebnis ist allgemein bekannt und wird von den jetzt beauftragten Gutachtern noch einmal in Zahlen gefasst: Eine im deutschlandweiten und internationalen Vergleich hohe Versorgungsdichte und eine zu große Streuung gerade hochkomplexer Leistungen auf zu viele Standorte mit teils geringen Fallzahlen. Unterversorgung bleibt dagegen geographisch (beispielsweise im Hochsauerlandkreis) wie fachbezogen (zum Beispiel der Neuro-Frühreha) die Ausnahme. Man kann und sollte die Analysen der Gutachter im Einzelnen sicherlich methodisch wie inhaltlich kritisch diskutieren – die Notwendigkeit von Strukturveränderungen gerade in den Ballungsräumen wird aber von allen Beteiligten, einschließlich der Krankenhausgesellschaft, grundsätzlich anerkannt.
Nun soll es also anders werden: Nachdem bereits das Landeskrankenhausgesetz novelliert wurde (vermutlich nicht zum letzten Mal), um die staatlichen Durchsetzungsmöglichkeiten zu verbessern, geht es jetzt an einen neuen Plan. Und der will viel mehr als nur ein „Rahmen“ sein. Die Gutachter schlagen stattdessen eine „Leistungsplanung“ vor. Pate steht dabei die Krankenhausplanung in der Schweiz (Kanton Zürich), die bereits im vergangenen Jahr vom Sachverständigenrat Gesundheit als Blaupause für Deutschland empfohlen worden war.
Kliniken sollen sich künftig um Leistungen bewerben
Dort basiert die Planung auf 140 „Leistungsgruppen“. Die Gutachter schlagen für Nordrhein-Westfalen „nur“ 80 Leistungsgruppen vor, die überwiegend auf Basis des DRG-Systems definiert werden sollen. Einige der Leistungsgruppen sind fast deckungsgleich mit Gebieten oder Facharztkompetenzen nach der Weiterbildungsordnung (zum Beispiel Dermatologie, Nephrologie). Aber gerade dort, wo finanziell motivierte Leistungsausweitungen befürchtet werden, wird feingliedriger eingeteilt (zum Beispiel „Wirbelsäuleneingriffe“, „Interventioneller Herzklappenersatz/TAVI“). Auch die internistische und chirurgische Grundversorgung soll nun abgegrenzt werden. Mit diesem System sollen die Versorgungsaufträge für die einzelnen Krankenhäuser so eindeutig definiert werden können, dass man am Ende für jede einzelne Krankenhausbehandlung trennscharf feststellen kann, ob sie vom Versorgungsauftrag gedeckt war oder nicht.
Für jede einzelne Leistungsgruppe soll der Plan nach dem Vorschlag der Gutachter Qualitätsvorgaben definieren. Gedacht ist vor allem an Strukturvorgaben (zum Beispiel erforderliche Personalausstattung, apparative Ausstattung), an Vorgaben zur Prozessqualität und – nur für bestimmte Bereiche - auch an Mindestfallzahlen. So entsteht eine Matrix aus Leistungsgruppen, Anforderungen und sinnvollen Verbindungen von gemeinsam vorzuhaltenden Leistungsangeboten. Die Krankenhäuser sollen sich dann um das von ihnen angestrebte Leistungsspektrum bewerben und in einem transparenten Verfahren den jeweiligen „Zuschlag“ erhalten oder eben nicht. Auch von der anachronistischen „Bettenplanung“ will man so wegkommen.
Lässt sich auf das Bett als Planungsgröße verzichten?
Viele Fragen zu diesem Konzept sind noch offen: Wie gelingt eine klare und sinnvolle Definition der Leistungsgruppen? Ist das zu Recht in der Kritik stehende DRG-System dafür überhaupt geeignet oder ist eine andere, noch komplexere Systematik erforderlich, zum Beispiel auf Basis von ICD- und OPS-Codes? Wie soll gewährleistet werden, dass sich aus der Entscheidungsmatrix auch wirtschaftlich tragfähige Krankenhauseinheiten ableiten? Welche Qualitätsvorgaben sind medizinisch sinnvoll, praktikabel und auch justitiabel? Ist ein völliger Verzicht auf die Planungsgröße „Bett“ systematisch und rechtlich umsetzbar? Und last but not least: Wie weit darf der Weg zum nächsten Krankenhaus der Grundversorgung sein? Die Gutachter sehen 30 Autominuten für die Grundversorgung vor – ein Wert, der sicherlich noch zu Diskussionen führen wird, vor allem, wenn es an die konkrete Umsetzung geht.
All diese Fragen will das Land nun in einem sehr ambitionierten Zeitplan klären. Denn der neue Plan soll bis Ende 2020 stehen. Die Umsetzung soll dann noch vor der nächsten Landtagswahl im Mai 2022 gelingen. Das nächste Jahr wird also von intensiven Beratungen in den zuständigen Landesgremien geprägt sein. Die Ärztekammer Nordrhein sitzt dabei als unmittelbar Beteiligte mit am Tisch und vertritt den ärztlichen Sachverstand.
Dr. Anja Mitrenga-Theusinger, M. Sc., ist Mitglied des Kammervorstandes und Vorsitzende der Krankenhauskommission der Ärztekammer Nordrhein, Ulrich Langenberg ist Geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Nordrhein.
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Das Gutachten finden Sie unter www.aekno.de/aerztekammer/krankenhausplanung.