von Sabine Schindler-Marlow und Horst Schumacher
Die voraussichtlich 210 Millionen Euro jährlich, die in den Jahren 2019 bis 2022 voraussichtlich aus dem Krankenhaus-Strukturfonds zur Verfügung stehen werden, will die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen ausschließlich für Schließungs- und Konzentrationsvorhaben verwenden. Das kritisierte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Rudolf Henke, in seiner Rede zur berufs- und gesundheitspolitischen Lage bei der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein am 23. März in Düsseldorf. Nach Meinung des Kammerpräsidenten ist die geplante Verwendung der Fördermittel „kein gutes Signal an die Kliniken“.
Zukünftige Herausforderungen, die nach Henkes Worten „automatisch und unausweichlich“ auf die Kliniken zukommen, würden aus der Förderung komplett ausgeklammert – etwa eine verbesserte IT-Sicherheit, die Bildung telemedizinischer Netzwerke, zusätzliche Ausbildungskapazitäten für die Pflegeberufe, eine verbesserte Versorgung von Menschen mit seltenen, komplexen oder schwerwiegenden Erkrankungen oder eine integrierte Notfallversorgung. All dies kann nach dem Willen des Bundesgesetzgebers gefördert werden mit Geldern aus dem Strukturfonds.
Henke verlangte, die derzeit vorgesehene Verwendung der Mittel zu korrigieren. Die Kammerversammlung forderte das Land NRW dazu auf, „den ärztlichen Sachverstand bei der Ausgestaltung der Krankenhausinvestitionsfinanzierung zu berücksichtigen und dazu die Ärztekammern in die Planung und Ausgestaltung der Investitionsschwerpunkte einzubinden.
Ethik versus Ökonomie
Der Präsident dankte der Kammerversammlung für ihre „vielfältigen Mahnungen“ vor einer zunehmenden Kommerzialisierung, die sie in der zu Ende gehenden Wahlperiode 2009/2014 artikuliert hat. Der Wert der Ethik sei gegenüber der Ökonomie unter Druck geraten. „Freiberuflichkeit und die Wahlrechte unserer Patientinnen und Patienten“ würden in Frage gestellt, sagte Henke. Werte wie Vertrauen und Verantwortlichkeit seien in Gefahr „den scheinbar übermächtigen ökonomischen Eigengesetzlichkeiten und der Schnelllebigkeit“ zum Opfer zu fallen. Mit Blick auf die im Zeitraum vom 24. Mai bis zum 28. Juni anstehenden Kammerwahlen sagte der Präsident: „Wir möchten die nachrückende Generation für mehr Kammerengagement gewinnen.“ Eine hohe Wahlbeteiligung ist nach seinen Worten „die Basis, auf der wir unsere Stimme als Selbstverwaltung in der Gesellschaft erheben. Selbstverwaltung lebt vom Engagement und der Solidarität aller Ärztinnen und Ärzte.“ Doch Selbstverwaltung – und mit ihr verbunden die ärztliche Freiberuflichkeit – gerate wie selten zuvor von unterschiedlichen Seiten unter Druck. Henke gab vor der Kammerversammlung bekannt, dass er auch in der kommenden Wahlperiode für das Amt des Präsidenten der Ärztekammer Nordrhein zur Verfügung steht.
Äußerungen, nach denen die ärztliche Selbstverwaltung nur um sich selbst kreise, wies Henke zurück: „Wenn diese Kritik berechtigt wäre, dann hätten wir sicher nicht das Gesundheitswesen, um das wir weltweit beneidet werden.“ Zu der Verantwortung, die Ärztinnen und Ärzte tagtäglich in der Patientenversorgung übernehmen, gehöre auch die Freiheit. „Und diese Freiheit reklamieren wir für uns, weil sie die Grundbedingung unserer ärztlichen Verantwortung ist“, sagte Henke, „sie schützt den Patienten vor medizinfremden, rein ökonomisch orientierten Vorgaben Dritter. Sie garantiert Qualität und eröffnet Patient und Arzt den geschützten Raum, gemeinsam bestmögliche Therapieentscheidungen treffen zu können.“ Das ärztliche Handeln orientiere sich zuvorderst „an den ethischen Selbstverpflichtungen, wie sie in unserer Berufsordnung niedergelegt sind“, an der medizinischen Wissenschaft und den Geboten der Menschlichkeit. „Das hat sich bewährt, aufgrund unserer Sach- und Fachkenntnisse können wir in unseren beruflichen Angelegenheiten in sehr, sehr vielen Punkten die Dinge am besten selber regeln“, sagte der Kammerpräsident.
In seinen Augen ist es „eine Daueraufgabe, die ärztliche Freiberuflichkeit und die Selbstverwaltung gegenüber dem Gesetzgeber, den Krankenkassen und einer grobschlächtigen Ökonomie zu verteidigen“. Bei aller grundsätzlichen Europafreundlichkeit sei nicht zu übersehen, dass in Sachen Freiberuflichkeit auch Einmischungen aus der europäischen Ebene an der Tagesordnung sind. „Ich werde oft das Gefühl nicht los, dass es vielen gar nicht um das Patientenwohl geht, sondern letzten Endes darum, Kontrolle im System zu übernehmen“, sagte Henke, „wir brauchen die Freiberuflichkeit als Prinzip ärztlicher Verantwortung, wir brauchen eine Selbstverwaltung, die genügend Spielräume besitzt, wir brauchen die Chance, tatsächlich gestalten zu können, und nicht nur nach gesetzlichen Vorgaben zu verwalten.“
TSVG mit zwei Gesichtern
Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), vom Deutschen Bundestag am 14. März und vom Bundesrat am 12. April verabschiedet, hat nach Auffassung des rheinischen Kammerpräsidenten zwei Gesichter. Kritisch beurteilt er neue gesetzliche Vorgaben, die Eingriffe in die ärztliche Selbstbestimmung bedeuten. Vertragsärztinnen und -ärzte mit vollem Sitz müssen nach dem TSVG voraussichtlich ab Anfang Mai mindestens 25 statt bisher 20 Stunden pro Woche für gesetzlich Versicherte anbieten, Zeiten für Hausbesuche werden darauf angerechnet. „Fachärzte der grundversorgenden und wohnortnahen Versorgung“ verpflichtet der Gesetzgeber ab August zu mindestens fünf offenen Sprechstunden. Welche Fachgruppen davon betroffen sind, sollen Kassenärztliche Bundesvereinigung und GKV-Spitzenverband bis Ende Juli festlegen.
Die Eingriffe zu Mindestsprechstundenzeiten und offenen Sprechstunden wirkten wie eine Misstrauenserklärung gegen Selbstbestimmung und Freiberuflichkeit, sagte der Präsident vor der Kammerversammlung. Auf der anderen Seite stehe eine „in dieser Art bisher unerreichte Anerkennung des Gesetzgebers für den Grundsatz, dass auf Dauer nur solche Arbeit verlangt werden darf, die auch vergütet wird. Insofern sind die für uns unakzeptablen Vorschriften zur Praxisorganisation zum Anlass des Gesetzgebers für den Einstieg in einen möglichen Ausstieg aus der Budgetierung geworden.“
So sieht das TSVG die extrabudgetäre Vergütung aller (Akut-)Leistungen im Behandlungsfall und im Quartal für Patienten vor, die von der Terminservicestelle vermittelt werden. Zusätzlich fallen − nach Wartezeit auf die Behandlung − gestaffelte Zuschläge von 20 bis 50 Prozent an. Der Hausarzt erhält ab 1. August einen Zuschlag von 10 Euro außerhalb des Budgets für die erfolgreiche Vermittlung eines dringenden Facharzttermins. Leistungen für übernommene Patienten nach Terminvermittlung durch einen Hausarzt werden künftig ebenfalls extrabudgetär bezahlt. Darüber hinaus können alle Leistungen, die in bis zu fünf offenen Sprechstunden erbracht werden, im Behandlungsfall und im Quartal extrabudgetär vergütet werden, ebenso Leistungen für neue Patienten. Für Ärztinnen und Ärzte auf dem Land soll es obligatorische regionale Zuschläge geben. Trotz dieser Pluspunkte missbilligte die Kammerversammlung das TSVG in einer Entschließung.
Ärztliche Schweigepflicht wahren
Die schnelleren Ersttermine ändern nach Auffassung von Kammerpräsident Henke nichts am Grundproblem des Ärztemangels und der zunehmenden Arbeitsverdichtung. „Vielleicht kommen wir damit sogar der Patientengruppe entgegen, die in der Regel mit einfacheren Erkrankungen in unsere Praxen kommt“, warnte er, „wir werden sehr darauf achten müssen, dass die Versorgung chronisch Kranker nicht leidet.“ Unzufrieden zeigte sich Henke mit den Regelungen des TSVG zu Medizinischen Versorgungszentren. Die Ärztekammer Nordrhein hatte entschieden vor den Gefahren für eine flächendeckende ambulante ärztliche Versorgung gewarnt, die von einer Ausbreitung von Medizinischen Versorgungszentren in der Hand von kapitalgetriebenen Fremdinvestoren ausgeht. Der Gesetzgeber habe sich trotz aller Argumente nicht durchringen können, diese Entwicklung zu stoppen, bedauerte der Präsident. Lediglich bei den Zahnärzten sieht das TSVG erhebliche Beschränkungen für die Neugründung von MVZ durch Krankenhäuser vor.
Kritisch sieht der Präsident auch, dass das Bundesgesundheitsministerium nach dem TSVG künftig die Entscheidungsgewalt in der Gesellschaft für Telematik (Gematik) haben soll. Damit werde die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen geschwächt, die bisher die Gematik gesteuert hat. „Gerade die Einführung digitaler Prozesse braucht eine auf Vertrauen basierende Strategie, da es hier am Ende immer um Patientendaten und Patientenwohl geht“, sagte Henke, „wenn sich am Ende der vielerorts geäußerte Verdacht bestätigen würde, dass es vor allem darum geht, Interessen der Digitalindustrie zu bedienen, dann würde damit die Akzeptanz mutwillig gefährdet.“ Werde die geplante elektronische Patientenakte mit einem Datenpool verbunden, „der Begehrlichkeiten aus wirtschaftlicher Sicht weckt“, so sei das aus ärztlicher Sicht nicht akzeptabel, so der Kammerpräsident. „Die Wahrung des Patientengeheimnisses bleibt auch im Zuge der Digitalisierung eine Conditio sine qua non“, sagte Henke, „die ärztliche Schweigepflicht ist nicht ein Privileg der Ärzte, sondern ein Recht der Patienten.“ Die Kammerversammlung forderte in einer Entschließung, die unbedingte Vertraulichkeit des Arzt-Patienten-Verhältnisses auch im Zuge der Digitalisierung zu wahren.
Gegen Kartellbildung bei MVZ
„Die Ökonomisierung ist im Gang“, sagte Martin Grauduszus (Erkrath) in der Diskussion zur berufs- und gesundheitspolitischen Rede des Präsidenten. Der Arztberuf werde „deprofessionalisiert“ und „demontiert“. „Das nimmt eine Entwicklung, die ich als sehr beunruhigend ansehe“, so Grauduszus. Der Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein, Bernd Zimmer (Wuppertal), kritisierte den „massiven Druck“ auf die Vertragsärztinnen und -ärzte mittels angedrohter Honorarkürzungen für den Fall, dass sie ihre Praxen nicht über den so genannten Konnektor an die Telematik-Infrastruktur anschließen. Der Konnektor soll zunächst den Abgleich der Patienten-Stammdaten mit den Krankenkassen ermöglichen. Angriffsmöglichkeiten seien bisher explizit nicht erkannt worden, so Zimmer. „Wahr ist aber, diesen Konnektor können Sie mit einer Softwareaufschaltung auch dazu benutzen, die Kontrolle über die Praxis zu übernehmen“, sagte er weiter. Dabei handele es sich um eine Technik, „die wir für die Patientenversorgung gar nicht mehr brauchen.“
Dr. Oliver Funken (Rheinbach) fürchtet im Zuge der Digitalisierung eine „komplette Transparenz des Leistungsgeschehens bis in den letzten Handgriff“. Funken: „Das würde bedeuten, dass wir für das, wofür wir eigentlich stehen, unsere Profession und unsere ethische Selbstverpflichtung, über Bord werfen müssten und Büttel einer Gewinnmaximierungsstrategie der Ökonomie würden.“ Auch Wieland Dietrich (Essen) glaubt, dass die Politik über die Telematik-Infrastruktur weitere strukturelle Eingriffe in die Freiberuflichkeit der niedergelassenen Ärzte organisieren will. „Das Ziel ist, Online-Termine von außen in das freie selbständige Unternehmen Arztpraxis hineinzugeben – und Zeit, Tätigkeiten und die Patientenbehandlung zu dokumentieren und zu regulieren und uns letztlich die Autonomie zu nehmen. Als „Kartellbildung“ bezeichnete Dr. Daniel Krause (Köln) die Konzentrationsprozesse bei den Medizinischen Versorgungszentren. Nach seinen Worten gehören zum Beispiel in Düsseldorf der Großteil der nephrologischen Sitze im ambulanten Bereich und auch bereits nephrologische Abteilungen über MVZ-Konstruktionen dem gleichen amerikanischen Dialysekonzern. Ähnliches sei in anderen Fachrichtungen zu beobachten. Die „fertigen Kartelle“ bedeuten für die Patienten, dass sie kaum mehr eine freie Arztwahl haben, während für Ärztinnen und Ärzte die Wahl des Arbeitgebers stark eingeschränkt ist, so Krause. „Ärztinnen und Ärzte können es nicht verstehen, dass unsere Systeme im Krankenhaus und im vertragsärztlichen Bereich bis an die Grenze von dem und über das hinaus kaputtgespart werden, was wir zur Patientenbehandlung brauchen, während man zulässt, dass marodierendes Kapital sich das Gesundheitswesen als Zielobjekt sucht, um Geld abzuziehen“, sagte Dr. Jürgen Zastrow (Köln).
Psychotherapie ist integraler Bestandteil der Medizin
In einem eigenen Tagesordnungspunkt hat sich die Kammerversammlung ausführlich mit dem geplanten Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz und der psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung befasst. Nach ausgiebiger Diskussion stand für die Delegierten der Kammerversammlung fest, dass mit der beabsichtigten Neugestaltung der Aus- und Weiterbildung der bisherigen psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten keine Versorgungsprobleme gelöst, sondern im Gegenteil durch Doppelstrukturen neue Probleme hinzukommen. Dieser Einschätzung schlossen sich auch die beiden geladenen Referenten Prof. Dr. Arno Deister, Past President der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), und Dr. Christian Messer, Präsident des Bundesverbands Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (BDPM) an.
„In Deutschland erfüllt etwa jeder vierte Erwachsene im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Das entspricht nach unserer Berechnung ungefähr der Einwohnerzahl des Landes Nordrhein-Westfalen“, berichtete Dr. Arno Deister, Chefarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin des Klinikums Itzehoe, auf der Kammerversammlung. Die häufigsten psychischen Erkrankungen seien Angststörungen und Depressionen, gefolgt von Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit sowie somatoforme Störungen. Nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung seien psychische Erkrankungen der häufigste Grund für Erwerbsminderungsrenten.
Lange Wartezeiten – wenig Koordination
Deister verwies darauf, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine um zehn Jahre geringere Lebenserwartung haben. Diesen Zustand müsse man ändern, vor allem weil bekannt sei, dass nur jeder fünfte Betroffene in therapeutischer Behandlung sei. „Psychische Erkrankungen stehen häufig in einem engen Zusammenhang und regelmäßig in enger Wechselwirkung mit körperlichen Erkrankungen. Und nur Ärztinnen und Ärzte können aufgrund ihrer Ausbildung und Kompetenz diese Wechselwirkungen erkennen und die adäquaten therapeutischen Maßnahmen ergreifen“, sagte Deister. Doch genau dieser Versorgungsbereich stehe schon seit langer Zeit unter erheblichem ökonomischen Druck, der sich zum Teil in extrem langen Wartezeiten auf erforderliche Psychotherapie und in einer wenig koordinierten und wenig vernetzten Behandlung zeige.
„Was gebraucht wird ist ein koordiniertes Versorgungssystem für Menschen mit psychischen Erkrankungen, nicht nur in der Richtlinienpsychotherapie sondern für das gesamte System und insbesondere für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen“, so Deister. In der Debatte über die künftige psychotherapeutische Versorgung dürfe es daher nicht um die Abgrenzung zwischen den einzelnen Berufsgruppen gehen, sondern im Gegenteil um die Koordination der Versorgung, betonte er. Dafür müssten die Verantwortlichkeiten und die Aufgaben klar benannt werden. Ziel müsse es sein, die richtige Therapie für den richtigen Patienten zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort sicherzustellen. „Das ist nicht ganz einfach“, sagte er und umso mehr sei zu bedauern, dass der Kabinettsentwurf zum Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz diese Ziele definitiv nicht verfolge. Denn die Vorstellung, dass alle Versorgungsprobleme gelöst seien, wenn möglichst viele Psychologische Psychotherapeuten ausgebildet würden, führe an den aktuellen Versorgungsproblemen vorbei und lenke zudem davon ab, dass Fachärztinnen und Fachärzte, die über das gesamte Spektrum psychotherapeutischer Behandlungsmöglichkeiten und darüber hinaus über psychiatrisch/psychosomatische Kompetenz verfügten, fehlten. „Niemand will den Psychologische Psychotherapeuten etwas wegnehmen“, betonte Deister. Aber das Ausbildungsziel „Körperliche Gesundheit“ müsse gestrichen werden. Somatische Erkrankungen müssten von Ärzten diagnostiziert und behandelt werden, nur weil diese fehlten, sollte die Konsequenz nicht die Erschaffung eines neuen Berufes sein. Hier könne die Antwort doch nur darin liegen, mehr Ärztinnen und Ärzte auszubilden.
Neuordnung der Ausbildung
Wenig Verständnis zeigte Deister auch für die Pläne, dass die künftigen Psychotherapeuten nach ihrem fünfjährigen Studium und ohne Absolvierung eines praktischen Jahres die Approbation erhalten. Zudem fehlten beim geplanten Direktstudium die wissenschaftlichen Grundlagen der Psychologie. „Ohne klinische und praktische Erfahrung wird es nicht gehen.“ Es sei aus seiner Sicht unverantwortbar, die Erlaubnis zur selbstständigen Ausübung von Heilkunde zum Beispiel für die Versorgung von selbstzahlenden Patienten zu erteilen, ohne dass klinische Fähigkeiten tatsächlich unter Supervision geübt und vertieft werden können.
Die angedachte Neuausrichtung der Ausbildung sieht auch Dr. Christian Messer äußerst kritisch. „Es entsteht ein neuer, bisher unbekannter Generalist, ein neuer Heilberuf“, beklagte er. Dieser Generalist werde zur Basis eines neuen psychologischen Versorgungssystems, das Kooperation eher erschwere, denn vereinfache. Auch solle der Psychotherapeut neuen Zuschnitts, so sei es im Gesetz zu lesen, nun auch Aufgaben in der Beratung, Prävention und Rehabilitation erhalten.
„Der neue Heilberuf wird genauso große Stücke aus der Medizin reißen wie aus der wissenschaftlichen Psychologie“, prognostizierte Messer. „Ein großes Stück ärztlicher Zuständigkeit soll an einen neuen Beruf gehen, der dann Ansprechpartner für Politiker, Krankenkassen und Krankenhausträger wird.“
Klare Zuständigkeiten erwünscht
Zwar sei die ursprüngliche Absicht vom Tisch, über Modellstudiengänge den Psychotherapeuten auch die Verordnung von Medikamenten zu ermöglichen. Aber damit sei dieses Thema noch lange nicht erledigt, fürchtet er.
Die gute Kooperation mit den Psychotherapeuten neuer Prägung könne nur gelingen, wenn es eine klare Namensregelung, klar abgegrenzte Strukturen in der Selbstverwaltung und klare Zuständigkeiten gibt, sagte Messer. „Namen bezeichnen Identität und deswegen lohnt es sich über Berufsbezeichnungen vertieft nachzudenken und darauf zu achten, dass darüber nicht auch neue Terrains definiert werden. Die Letztverantwortung für Patienten mit körperlichen und seelischen Erkrankungen müsse beim Arzt liegen. Das müssen wir selbstbewusst vertreten.“
In einem einstimmig verabschiedeten Antrag machte sich die Kammerversammlung für den Erhalt der ärztlichen Kompetenz in der psychotherapeutischen Versorgung stark. Die Delegierten fordern, dass die Bezeichnung „Psychotherapeut/in“ auch in Zukunft nur erworben werden dürfe, wenn eine durch die Weiterbildung erworbene Qualifikation in einem spezifischen, wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren vorliegt. Für die Absolventen des neu geplanten Studiengangs ohne abgeschlossene Weiterbildung sei eine andere Bezeichnung zu wählen. Patienten müssten sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass Psychotherapie evidenzbasiert und auf aktuellem wissenschaftlichen Stand erfolgt. Psychische Erkrankungen gingen, so die Delegierten, häufig mit behandlungsbedürftigen somatischen Erkrankungen einher. Ärztinnen und Ärzte könnten aufgrund ihres Qualifizierungsweges dieser untrennbaren Verbindung zwischen Psyche und Soma in besonderer Weise gerecht werden. Dieser Kompetenz müsse deswegen auch künftig in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung große Beachtung geschenkt werden. Keinesfalls dürfe es dazu kommen, dass es infolge des Studiums und der Weiterbildung nicht-ärztlicher Psychotherapeuten zu Engpässen in der ärztlichen psychotherapeutischen Weiterbildung kommt.
Grundlage aller Überlegungen zur Weiterentwicklung der Versorgung müsse auch weiterhin das bio-psycho-soziale Krankheitsmodell sein. So wenden sich die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte entschieden gegen jeden Versuch, die Versorgung in ein Modell für somatische Erkrankungen und eines für psychische Erkrankungen aufzuspalten.
Alle Beschlüsse zum Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz finden Sie hier.