Entschließungen der Kammerversammlung am 23. März 2019 im Wortlaut
Die psychotherapeutische Versorgung braucht die ärztliche Kompetenz
Die Kammerversammlung fordert den Gesetzgeber, die Kostenträger und die Institutionen des Gesundheitswesens auf, sich entschieden für weitere Verbesserungen in der Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge psychischer Erkrankungen einzusetzen.
Dazu gehört eine Stärkung der personellen und finanziellen Ressourcen ebenso wie eine konsequente Förderung der Zusammenarbeit der Versorgungssektoren und der Berufsgruppen in der Versorgung. Voraussetzung dafür sind Transparenz und Akzeptanz bezüglich der spezifischen Potentiale und der Kompetenzprofile der beteiligten Berufsgruppen.
Grundlage aller Überlegungen zur Weiterentwicklung der Versorgung muss das bio-psycho-soziale Krankheitsmodell bleiben.
Daraus folgen mit Blick auf die aktuelle Diskussion um die Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Patientenversorgung folgende Grundsätze:
- Klare Begriffe schaffen Transparenz und Verlässlichkeit: Das Qualitätsversprechen der Bezeichnung „Psychotherapeutin / Psychotherapeut“ muss eingelöst werden.
Die Öffentlichkeit und die Patientinnen und Patienten müssen sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass die Bezeichnung „Psychotherapeut/in“ für das hohe Qualifikationsniveau steht, das bisher mit diesem Begriff verbunden ist.
In diesem Zusammenhang begrüßt die Kammerversammlung, dass der Kabinettsentwurf zum Psychotherapeutenausbildungsreformgesetz die im Referentenentwurf vorgesehene Ausgrenzung von Ärztinnen und Ärzten aus der Berufsbezeichnung „Psychotherapeut/in“ aufgibt.
Diese Ausgrenzung wäre unvertretbar gewesen, weil Ärztinnen und Ärzte mit einer entsprechenden Weiterbildungsbezeichnung die zahlenmäßig stärkste und zugleich am breitesten qualifizierte Berufsgruppe in der psychotherapeutischen Versorgung sind.
Es ist also richtig, dass die Berufsbezeichnung „Psychotherapeut/in“ in § 1 des Psychotherapeutengesetzes Ärztinnen und Ärzte nunmehr ausdrücklich einschließt. Die Korrektur im Psychotherapeutengesetz reicht aber alleine nicht aus, um endlich für die notwendige Begriffsklarheit zu sorgen. Die Kammerversammlung fordert, dass die Bezeichnungen „Psychotherapeut/in“ bzw. „Psychotherapeuten“ endlich auch im Sozialgesetzbuch (SGB V) durchgängig in der korrekten Weise verwendet werden, die Ärztinnen und Ärzte einschließt.
Die Kammerversammlung fordert außerdem, dass die Bezeichnung „Psychotherapeut/in“ auch in Zukunft nur erworben werden darf, wenn eine durch die Weiterbildung erworbene Qualifikation in einem spezifischen, wissenschaftlich anerkannten Psychotherapieverfahren vorliegt. Nur wer – ob als Ärztin bzw. Arzt oder als Absolvent/in des neu geplanten Studiengangs – die zur eigenständigen psychotherapeutischen Tätigkeit in einem wissenschaftlich anerkannten Verfahren erforderliche Weiter-bildung erfolgreich abgeschlossen hat, ist Psychotherapeutin oder Psychotherapeut. Für die Absolventen des neu geplanten Studiengangs ohne abgeschlossene Weiterbildung ist deswegen eine andere Bezeichnung zu wählen. - Die wissenschaftliche Anerkennung von Therapieverfahren muss die Basis für die psychotherapeutische Patientenversorgung bleiben.
Die Kammerversammlung begrüßt, dass der Kabinettsentwurf die Rolle des berufsgruppenübergrei-fenden Beirates Psychotherapie für die wissenschaftliche Anerkennung psychotherapeutischer Verfahren als Basis sozial- und berufsrechtlicher Entscheidungen bekräftigt.
Die Kammerversammlung fordert die Beibehaltung der Soll-Vorgabe im Gesetzestext.
Es reicht nicht aus, wenn nur die Gesetzesbegründung festhält, dass die zuständige Behörde Gutachten des wissenschaftlichen Beirates berücksichtigen soll, während im Gesetzestext selbst das bisher geltende „soll“ durch ein „kann“ ersetzt wurde.
Denn Patientinnen und Patienten müssen sich auch in Zukunft darauf verlassen können, dass Psychotherapie evidenzbasiert auf der Basis der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse erfolgt. Dies ist Grundlage für die klare Beschreibung des heilkundlichen Versorgungsbeitrages von Absolventen des geplanten neuen Studienganges. Es ist richtig, dass dieser Beitrag auch zukünftig auf die Anwendung wissenschaftlich geprüfter und anerkannter psychotherapeutischer Verfahren beschränkt bleibt. - Bei der Erkennung und Behandlung körperlicher Erkrankungen und bei der Verordnung von Medikamenten darf es keine Qualitätsverschlechterungen geben.
Die Kammerversammlung begrüßt, dass der Kabinettsentwurf im Interesse der Patientensicherheit die Vorgabe der somatischen Abklärung im Rahmen einer geplanten psychotherapeutischen Behandlung beibehält. Genauso wesentlich ist es, dass die ärztliche Qualifikation auch weiterhin die Voraussetzung für die Verordnung von Medikamenten bleibt. - Die Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Patientenversorgung kann nur gelingen, wenn die Berufsgruppen gemeinsam daran arbeiten.
Die Kammerversammlung begrüßt den Auftrag an den Gemeinsamen Bundesausschuss, Regelungen im Interesse einer berufsgruppenübergreifenden, koordinierten und strukturierten psychotherapeutischen Versorgung zu entwickeln.
Die Bundesärztekammer ist als sektorenübergreifende Vertretung der gesamten Ärzteschaft in diesen Entwicklungsprozess mit einzubeziehen. - Die ärztliche Aus- und Weiterbildung ist zu stärken, damit Ärztinnen und Ärzten ihre zentrale Aufgabe in einer kooperativen psychotherapeutischen Versorgung auch in Zukunft wahrnehmen können.
Ärztinnen und Ärzte wünschen sich im Interesse ihrer Patientinnen und Patienten auch weiterhin eine umfassende Kooperation mit allen anderen Heil- und Gesundheitsfachberufen gerade in der Versorgung psychisch erkrankter Menschen.
Der spezifische Beitrag, den Ärztinnen und Ärzte in diese Kooperation einbringen, liegt in der Integration psychischer und somatischer Gesichtspunkte in Kenntnis des sozialen Umfeldes. Davon hängen entscheidende Weichenstellungen in Diagnostik und Therapie ab.
Denn psychische Erkrankungen gehen häufig mit behandlungsbedürftigen somatischen Erkrankungen einher. Regelmäßig bedingen sich beide wechselseitig und verstärken sich sogar. So können sich hinter vermeintlich klaren psychischen Störungen gravierende, zwingend behandlungsbedürftige somatische Erkrankungen verbergen wie umgekehrt somatische Symptome Folge einer psychischen Erkrankung sein können.
Ärztinnen und Ärzten können aufgrund ihres Qualifizierungsweges dieser untrennbaren Verbindung zwischen Psyche und Soma in besonderer Weise gerecht werden. Dieser Kompetenz muss deswegen auch künftig in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung große Beachtung geschenkt werden.
Dazu gehören die konsequente Vermittlung kommunikativer Kompetenzen im Medizinstudium und die strukturierte Fortentwicklung dieser Kompetenzen in der ärztlichen Weiterbildung.
Die Bedeutung der psychosomatischen Grundversorgung in der ärztlichen Aus- und Weiterbildung wie auch im Versorgungsgeschehen muss weiter ausgebaut werden.
Keinesfalls darf es in Folge des geplanten neuen Ausbildungsweges und der anschließenden Weiter-bildung dieser Absolventen zu Engpässen bei der ärztlichen Weiterbildung in der Psychiatrie und Psychotherapie, der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie und der Zusatzweiterbildung Psychotherapie kommen. Stattdessen sind die Zugänglichkeit und die Attraktivität dieser Weiterbildungswege durch geeignete Rahmenbedingungen und ein gute sektorenübergreifende Kooperation zu erhalten und zu steigern.
Beachtung spezifischer Belange psychisch und psychosomatisch Erkrankter in der Versorgung
Die Ärztekammer Nordrhein wird aufgefordert, auch in Zukunft weiterhin intensiv darauf einzuwirken, dass die spezifischen Belange psychisch und psychosomatisch Erkrankter in der Versorgung gebührend beachtet werden. Damit eine adäquate Versorgung stattfinden kann, gilt es, die heilungsfördernde persönliche Arzt-Patient-Beziehung wertzuschätzen, eine funktionierende Verbindung von Sektoren anzustreben und die sprechende Medizin angemessen zu vergüten.
Deprofessionalisierung der Patientenversorgung
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein verwahrt sich entschieden gegen die zunehmende Deprofessionalisierung des ärztlichen Berufstands, wie sie beispielsweise schleichend im Gesetzgebungsverfahren (PsychThGAusbRefG) angedacht ist.
Ablehnung des Psychotherapeutenausbildungsgesetzes
Die Kammerversammlung schließt sich der Auffassung der BÄK an, die in ihrer Pressemitteilung vom 30.01.19 geäußert hat, dass sie den vorliegenden Referentenentwurf eines Gesetzes zur Reform der Psychotherapeutenausbildung strikt ablehnt.
Die Inhalte bezogen sich nicht nur allein auf die inzwischen abgelehnte medikamentöse Verordnung durch psychologische Psychotherapeuten, sondern richtete sich auch gegen die weiteren Vorgaben des Gesetzes.
Die zentrale Kompetenz der Ärztinnen und Ärzte muss gestärkt werden
Es zeichnet die ärztliche Tätigkeit aus, dass Soma und Psyche in der Behandlung der Patienten nicht zu trennen ist.
Der spezifische Beitrag, den Ärztinnen und Ärzte leisten, liegt in der Integration psychischer und somatischer Gesichtspunkte. Dabei wird das soziale Umfeld mit eingeschlossen.
Davon hängen entscheidende Weichenstellungen in Diagnostik und Therapie ab.
Zum alltäglichen ärztlichen Handeln gehört, dass bei jedweder gravierenden somatischen Behandlung eine ärztliche psychische Unterstützung notwendig ist und eine tragfähige, vertrauensvolle Arzt- Patientenbeziehung aufgebaut wird.
Ärztinnen und Ärzte wünschen sich im Interesse ihrer Patientinnen und Patienten auch weiterhin eine umfassende Kooperation mit allen anderen Heil- und Gesundheitsfachberufen gerade in der Versorgung psychisch erkrankter Patienten.
Ärzteverzeichnisse sind Sache der ärztlichen Selbstverwaltung
Die Kammerversammlung fordert den Bund und die Länder auf, das in § 293 Abs. 7 SGB V vorgeschriebene Verzeichnis der Krankenhausärzte in die Zuständigkeit der Ärztekammern zu übertragen.
Die Führung von Ärzteverzeichnissen ist im deutschen Gesundheitswesen originäre Aufgabe der ärztlichen Selbstverwaltung. Der parallele Aufbau eines weiteren Verzeichnisses in der Hand von GKV-Spitzenverband und Deutscher Krankenhausgesellschaft bedeutet eine bürokratische Doppelstruktur und widerspricht dem Prinzip der Datensparsamkeit.
Soweit z.B. im Rahmen des Entlassmanagements für die Verordnung von Medikamenten eine Arztnummer benötigt wird, ist eine solche bei den Ärztekammern bereits vorhanden. Ärztekammern unterliegen zugleich der demokratischen Kontrolle ihrer ärztlichen Mitglieder. Eine zusätzliche Meldepflicht gegenüber Spitzenorganisationen des Gesundheitswesens, auf deren Umgang mit den Daten Ärztinnen und Ärzte keinerlei Einfluss nehmen können, ist abzulehnen.
Krankenhausinvestitionsfinanzierung und Förderung von Vorhaben zur Verbesserung von Versorgungsstrukturen:
Sinnvoll weiterentwickeln, ärztlichen Sachverstand einbinden!
Die Kammerversammlung fordert das Land auf, den ärztlichen Sachverstand bei der Ausgestaltung der Krankenhausinvestitionsfinanzierung zu berücksichtigen und dazu die Ärztekammern in die Planung und Ausgestaltung der Investitionsschwerpunkte einzubinden.
Dies muss unabhängig davon gelten, ob es um Investitionsprogramme nach § 6 des Krankenhausfinanzierungsgesetzes (KHG) oder die Förderung von Vorhaben zur Verbesserung von Versorgungsstrukturen nach § 12 KHG (Bundesstrukturfonds) geht. In beiden Fälle sind die medizinisch-fachliche Kompetenz und das Versorgungswissen der Ärzteschaft unverzichtbar.
Wie nachteilig es ist, wenn diese Perspektive fehlt, zeigt aktuelle Erklärung von Landesregierung und Krankenkassen zu den Förderschwerpunkten für die Mittel des Bundesstrukturfonds: Die Mittel sollen ausschließlich für Schließungs- und Konzentrationsvorhaben verwendet werden und eben nicht für die Verbesserung von Versorgungsstrukturen..
Für wichtige Förderzwecke, die der Bundesgesetzgeber ausdrücklich aufgenommen hat, will das Land keine Strukturfondsmittel bereitstellen: nicht für die integrierte Notfallversorgung, nicht für telemedizinische Netzwerke, nicht für die IT-Sicherheit der Krankenhäuser, nicht für mehr Ausbildungskapazitäten, nicht für die stationäre Palliativversorgung und nicht für eine verbesserte stationäre Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen.
Die Kammerversammlung hält eine sinnvolle Weiterentwicklung der Krankenhausstrukturen für erforderlich. Dazu gehören jedoch nicht nur Konzentrationsprozesse, sondern auch die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung und eine Stärkung der versorgungsnotwendigen Krankenhäuser.
Die Kammerversammlung fordert das Land deswegen auf, die Verengung der Förderzwecke zu korrigieren und den ärztlichen Sachverstand künftig nicht nur bei der Aufstellung des Landesinvestitionsprogrammes sondern auch bei der Schwerpunktsetzung für die Strukturfondsförderung einzubeziehen.
Verbindliche Vorgaben bei der Vermarktung und Aufmachung von Lebensmitteln für Kinder unter 12 Jahre mit ungünstigem Nährstoffprofil
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert die Landesregierung Nordrhein-Westfalen zu einer Bundesratsinitiative auf, um die Vermarktung und Aufmachung von Lebensmitteln mit ungünstigem Nährstoffprofil nach WHO-Definition (http://www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0005/270716/Nutrient-children_web-new.pdf?ua=1) für Kinder unter 12 Jahre verbindlich zu regulieren. Die Beschränkung von Marketing für Lebensmittel mit einem ungünstigen Nährstoffprofil, das sich speziell an Kinder richtet, ist ein wichtiger Baustein innerhalb einer Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Übergewicht.
Die seit 2007 auf EU-Ebene bestehende freiwillige Selbstverpflichtung der Lebensmittelindustrie (EU-Pledge) auf an Kinder unter 12 gerichtete Lebensmittelwerbung ungesunder Produkte zu verzichten, wird durch viele Sonderregelungen stetig unterlaufen. Eine der Ausnahmen bezieht sich darauf, dass es zum Beispiel keine Werbeeinschränkungen für Verpackungen mit Kinderoptik (Comicfiguren, Werbebotschafter, Musiker, etc.) gibt. Auch in der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten wird dieses Thema nur vage geregelt. Zwar wird konstatiert, dass es Produkte mit Kinderoptik gibt, die eine ungünstigere Nährstoffzusammensetzung aufweisen als vergleichbare Produkte für Erwachsene. Als zukünftige Vorgabe wird aber lediglich gefordert, dass vor diesem Hintergrund „im Rahmen der produkt- bzw. branchenbezogenen Prozess- und Zielvereinbarungen eine deutliche Verbesserung der Nährstoffzusammensetzung bei Kinderprodukten umzusetzen sei.“ (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten, S. 19, Dezember 2018)
Unbedingte Vertraulichkeit-Schutz des Arzt-Patientenverhältnisses
Der Schutz des Arzt-Patientenverhältnisses ist ein auf unbedingter Vertraulichkeit basierender fundamentaler Bestandteil ärztlichen Handelns. Jede Zwangsmaßnahme, die direkt oder indirekt dazu führen könnte, dass diese Vertraulichkeit gefährdet wird oder Informationen an Dritte gelangen könnten, wird von der Ärzteschaft kategorisch abgelehnt.
Insbesondere sind Maßnahmen kritisch zu hinterfragen, die die Patientendaten in elektronischer Form der unbeabsichtigten Weitergabe aussetzen. Eine Verpflichtung der Ärzteschaft oder der Krankenhäuser, sensible Patientendaten einem therapeutisch nicht notwendigen Ausspährisiko auszusetzen, wird von der Ärzteschaft ebenso abgelehnt. Eine elektronische Sammlung von Patientendaten kann nur unter höchstem Datenschutz und ausschließlich auf freiwilliger Basis erfolgen. Das Selbstbestimmungsrecht der Patienten und der Schutz ihrer Patientendaten darf nicht durch gesetzliche Vorgaben im Rahmen der Digitalisierung ausgehöhlt werden.
Honorarkürzung bei Verzug des TI-Anschlusses bedroht die vertragsärztliche Versorgung
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein fordert den Gesetzgeber auf, die Vorgabe von Honorarabzügen bei nicht fristgerechtem Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) zurückzunehmen.
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein sieht in der gesetzlich verankerten Honorarkürzung einen weiteren Baustein des Gesetzgebers, in die unternehmerischen Entscheidungen der Praxisführung einzuwirken und die vertragsärztliche Versorgung zu verschlechtern.
Die Kammerversammlung erwartet, dass viele rentennahe und rentenbeziehende Kolleginnen und Kollegen, die bisher noch aus Verantwortung für ihre Patientinnen und Patienten ihre Praxen weiterbetrieben haben, diese, angestoßen von solch einem Eingriff in ihre Berufsausübung, aufgeben bzw. vorzeitig aufgeben werden.
Digitalisierung der Lehre im Medizinstudium 2020+
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein begrüßt grundsätzlich die Intention des Masterplans 2020, den Praxisbezug von Beginn des Studiums an zu stärken und das Rüstzeug für lebenslanges Lernen zum Einsatz immer neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse im Berufsleben zu erlangen. Die Kammerversammlung unterstützt die Forderung des Wissenschaftsrates, dass „die wissenschaftliche Ausrichtung des Medizinstudiums in der ÄApprO verbindlich festgehalten werden (sollte), indem dort die Vermittlung der wissenschaftlichen methodischen Basis der Medizin als gleichberechtigtes Ausbildungsziel des Studiums definiert wird.“
Die nun zu entwickelnden Curricula auf Fakultätsebene sollten darüber hinaus klare Festlegungen enthalten, welche Inhalte des Medizinstudiums ausschließlich digital angeboten werden können und wo zur praktischen Einübung der im Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin (NKLM) beschriebenen ärztlichen Rollen und Kompetenzen Präsenzveranstaltungen unerlässlich sind. Die Kammer regt hierzu ergänzend an, digitale Materialien möglichst ressourcenschonend konsentiert und koordiniert für alle Fakultäten im Kammergebiet gemeinsam zu entwickeln, und die grundlegenden Kompetenzen (z.B. Medizinische Ethik, Medizinische Statistik, Evidenzbewertung usw.) frühzeitig und longitudinal im Curriculum des Medizinstudiums zu verankern.
Keine Benachteiligung von privatversicherten Patienten und Selbstzahlern in Vertragspraxen und MVZs
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein missbilligt die vom Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) geäußerte Forderung, dass in Arztpraxen und MVZs während so genannter „Kassensprechstunden“ keine Privatpatienten behandelt werden sollen. Diese Forderung ist zurückzunehmen.
Darüber hinaus wird die Behauptung des GKV-Spitzenverbandes, Vertragsärzte würden „private Zusatzgeschäfte“ machen, zurückgewiesen.
Vertragsärzte behandeln Patienten unabhängig vom Versicherungsstatus und erbringen ärztliche Leistungen dann privat, wenn sie nicht Gegenstand des Leistungskatalogs der GKV sind, oder wenn sie über das Maß des Notwendigen, Wirtschaftlichen, Zweckmäßigen und Ausreichenden hinausgehen, oder wenn der Patient es wünscht.
Vertragsärzte sind als Angehörige des freien Berufs „Arzt“ berechtigt und verpflichtet, allen Patienten optimale Behandlung anzubieten, die insoweit nicht auf den einschränkenden Rahmen der GKV begrenzt sein kann und darf.
Eine Diskriminierung von Privatpatienten würde gegen ärztliche Ethik und die Berufsordnung verstoßen.
Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG)
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein missbilligt die Verabschiedung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG).
Aus Sicht der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein ist die Missachtung zahlreicher begründeter Einwände, Bedenken und Befürchtungen seitens zahlreicher ärztlicher Organisationen und Verbände gegen den Gesetzestext des TSVG unverständlich.
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein geht davon aus, dass durch das TSVG die Versorgung gesetzlich versicherter Patienten nicht verbessert wird.
Die ursächlichen Probleme einer zunehmenden Diskrepanz zwischen zur Verfügung stehender Arzt-Behandlungszeit und der Nachfrage durch die Patientin/den Patienten werden in diesem Gesetz nicht berücksichtigt; sie werden im Gegenteil verschlimmert.
Die Arbeitszeiten von Vertragsärztinnen und -ärzten überschreiten schon jetzt häufig das der eigenen Arzt-Gesundheit zuträgliche Maß. Der implizite Vorwurf einer zu geringen Arbeitsleistung, den eine Erweiterung der Pflicht-Kassenarbeitszeit von niedergelassenen Ärzten um 25 % beinhaltet, beleidigt von seinem Ansatz her die Würde unseres Berufsstandes und missachtet auf ehrverletzende Weise unser aller täglichen Arbeitsleistung. Es ist zu befürchten, dass die Regelung Vertragsärzte veranlasst, ihre Vertragsarzttätigkeit vorzeitig zu beenden.
Die Sprechstunden-Organisation in den Arztpraxen und MVZs beruht auf in der Regel langjährigen Erfahrungen und Notwendigkeiten und ist optimal austariert.
Das Ansinnen, in diese Organisation von außenstehender bürokratischer Seite einzugreifen, indem offene Sprechstunden verpflichtend vorgegeben werden, kann den sinnvollen und effizienten Einsatz von Behandlungszeiten nur verschlechtern.
Der Zwang zum Anschluss an eine erneut vom Ärztetag 2018 in Erfurt abgelehnte, hinsichtlich des Datenschutzes problematische und zudem kostenträchtige Telematikinfrastruktur bestärkt viele niedergelassene Kolleginnen und Kollegen in der Überlegung, vorzeitig aus der Kassenmedizin auszusteigen.
Eine Wiederauflage der bereits im Jahr 2011 als nicht zielführend verworfenen Kodierrichtlinien kann ähnliche Effekte hervorrufen. Die Aufgabe von Ärzten ist es, Diagnosen zu stellen, die eine Relevanz für die Behandlung haben, und nicht, Diagnosen zu kodieren, damit Finanzströme im Gesundheitssystem gesteuert werden können.
Das Gesetzeswerk wird im Ergebnis dafür sorgen, dass die nachfolgende Ärztegeneration noch intensiver überprüfen wird, ob die Tätigkeit als niedergelassener Vertragsarzt / Vertragsärztin in Deutschland eine Lebensperspektive darstellt; eine Zunahme des Mangels an niedergelassenen, insbesondere selbständigen Ärzten auf dem Land, aber auch in den Städten ist dann zu erwarten.
Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein weist den Gesetzgeber bereits jetzt nachdrücklich auf die zu erwartenden Verwerfungen und Verschlechterungen hin, die von den handelnden Politikern zu verantworten sind. Die ärztliche Selbstverwaltung kann keine Verantwortung für die Übernahme dieser gesetzgeberischen Fehlentwicklung übernehmen.