Das Sommersemester begann für mich mit einem zweiwöchigen Blockkurs in Anästhesiologie. In der ersten Woche erhielten wir theoretische und praktische Einführungen, in der zweiten begleiteten wir Anästhesisten in den Operationssaal. Wie viele Fachrichtungen, so ist auch die Anästhesie mit einem gewissen Ruf behaftet, Anästhesisten sind beispielsweise als entspannt bekannt: Man erkennt sie am Kaffee in der Hand. Oft sieht man sie mit Sudoku, Kreuzworträtsel oder Handy. Vorurteile, die die Ärzte, die uns in der ersten Woche unterrichteten, nur teilweise entkräften konnten. Täglich wurde unsere Anwesenheit im Kurs mit einer Unterschrift auf einem Laufzettel bestätigt. Bis zum dritten Tag hatte ich meinen schon mit einigen Kaffeeflecken besudelt. Einer der Anästhesisten arbeitete sich durch den Stapel der Zettel, griff grinsend meinen heraus und fragte in die Gruppe, wer Marie sei. Mich fragte er dann, ob ich später Anästhesistin werden wolle, schließlich sei Kaffee auf meinem Zettel.
Viel didaktische Mühe hatten sich die Ärzte bei der Vorstellung der Anästhesiologie gegeben. Wir sprachen über die physiologischen Grundlagen von Atmung und Infusion, bekamen aber auch Gelegenheit, an Simulationen zu üben. Unter anderem leiteten wir eine Narkose an einer Puppe ein. Nicht nur konnte die Puppe atmen und war an einen Monitor mit Vitalparametern angeschlossen, es war sogar möglich, ihre Atemwege zuschwellen zu lassen. Das realisierten ein Kommilitone und ich, als die Puppe in unserer Simulation allergisch auf Hypnotikum oder Opiat reagierte und plötzlich unmöglich zu intubieren war.
Gut gefiel mir die Analogie, mit der uns einer der Ärzte das Gesetz von Hagen-Poiseuille näherzubringen versuchte. Es beschreibt den Volumenstrom von Flüssigkeiten durch ein Rohr bestimmten Durchmessers und bestimmter Länge. Dabei hängt der Volumendurchfluss stark von der Größe des Radius ab. Halbiert man ihn, versechzehnfacht man den Strömungswiderstand. Statt uns das Gesetz mit diesen Worten zu erklären, fragte der Anästhesist, wer aus der Gruppe gerne Piña Colada trinke. Eine Kommilitonin meldete sich. Der Kollege fragte: „Mit was für einem Strohhalm wird Piña Colada serviert?“ Antwort der Kommilitonin: „Mit einem langen, dünnen.“ Der Kollege weiter: „Und Anna, was ist dein Ziel, wenn du Piña Colada trinkst?“ Als Antwort allgemeines Lachen in der Gruppe. Nun fragte der Anästhesist nach der Caipirinha-Fraktion und mit welcher Art von Strohhalm Caipirinhas serviert würden. „Mit zwei dicken, kurzen“, antwortete eine andere Kommilitonin lachend. Mitgenommen habe ich von dem Kurs also einerseits ein besseres Verständnis für das Hagen-Poiseuille-Gesetz, andererseits die Erkenntnis, dass Caipirinhas zum zeitsparenden Betrinken, Piña Coladas eher zum Genuss geeignet sind.
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