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Gesundheits- und Sozialpolitik

Ehegatten dürfen sich ab 2023 im Gesundheitsnotfall vertreten

24.11.2022 Seite 26
RAE Ausgabe 12/2022

Rheinisches Ärzteblatt

Heft 12/2022

Seite 26

Ab 1. Januar 2023 tritt das Notvertretungsrecht für Ehegatten in Kraft. Es regelt das gegenseitige Vertretungsrecht für Ehepartner in Angelegenheiten der Gesundheitssorge für den Notfall. Ärztinnen und Ärzten kommt hierbei eine entscheidende Rolle zu.

von Christina Hirthammer-Schmidt-Bleibtreu

Ab dem kommenden Jahr sind Ehegatten berechtigt, für ihre Ehepartnerin oder ihren Ehepartner Entscheidungen zu treffen, wenn diese aufgrund einer Erkrankung oder aufgrund von Bewusstlosigkeit nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheit der Gesundheitssorge selbst zu erledigen. Bis dato konnte ein Ehegatte den anderen Ehegatten nur dann vertreten, wenn eine Vorsorgevollmacht vorlag oder das Betreuungsgericht den Ehegatten zum rechtlichen Betreuer bestellt hatte.


Anfang Mai dieses Jahres hat der Bundestag nun das sogenannte Notvertretungsrecht für Ehegatten (§ 1358 Bürgerliches Gesetzbuch, kurz BGB) beschlossen. Es umfasst die Einwilligung in oder die Untersagung von Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztlichen Eingriffen. Es berechtigt den vertretenden Ehegatten, Behandlungsverträge, Krankenhausverträge oder Verträge über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und der Pflege abzuschließen und durchzusetzen. Er darf auch über freiheitsentziehende Maßnahmen entscheiden, sofern die Dauer der Maßnahme im Einzelfall sechs Wochen nicht überschreitet. Zudem steht es ihm zu, Ansprüche geltend zu machen, die dem oder der Erkrankten aus Anlass der Erkrankung gegenüber Dritten zustehen, diese an die Leistungserbringer abzutreten oder Zahlung an diese zu verlangen. Das Vertretungsrecht umfasst auch die ärztliche Aufklärung. Das Notvertretungsrecht ist zeitlich begrenzt und gilt für längstens sechs Monate. Sofern für eine längere Zeit eine rechtliche Vertretung benötigt wird, muss nach Ablauf der sechs Monate eine gesetzliche Betreuung durch das Betreuungsgericht bestellt werden. Dem vertretenden Ehegatten steht nach § 1358 Absatz 2 BGB zudem ein Einsichtsrecht in Krankenunterlagen zu sowie das Recht, die Weitergabe der Krankenunterlagen an Dritte zu bewilligen. Ärztinnen und Ärzte sind also in Fällen, in denen Ehegatten nach dem Notvertretungsrecht berechtigt sind, Entscheidungen in Angelegenheiten der Gesundheitssorge für den Ehepartner zu übernehmen, dem vertretenden Ehegatten gegenüber von ihrer Schweigepflicht entbunden.

Ausnahmen vom Vertretungsrecht

Das neue Vertretungsrecht kann der Ehegatte nach § 1358 Absatz 1 BGB jedoch nur ausüben, wenn die Ausübung dieses Rechts nicht ausgeschlossen ist. Dies ist der Fall, wenn

  • die Ehegatten getrennt leben,
  • dem vertretenen Ehegatten oder den behandelnden Ärztinnen und Ärzten bekannt ist, dass der nun entscheidungsunfähige Ehegatte nicht durch den Ehegatten vertreten werden will, oder
  • der betroffene Ehegatte bereits jemanden zur Wahrnehmung dieser Aufgaben bevollmächtigt hat beziehungsweise
  • für den erkrankten Ehegatten in betreffender Sache bereits ein rechtlicher Betreuer bestellt wurde.
Schriftlich bestätigen, erklären, versichern

Der Gesetzgeber schreibt vor, dass die behandelnden Ärztinnen oder Ärzte schriftlich bestätigen müssen, dass der vertretene Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundheitssorge nicht selbst besorgen kann und sein Ehepartner aus diesem Grund berechtigt ist, ihn zu vertreten. Sie müssen auch den Zeitpunkt, zu dem diese Voraussetzungen spätestens eingetreten sind, schriftlich bestätigen. Ärztinnen und Ärzte müssen darüber hinaus dem vertretenden Ehegatten schriftlich bestätigen, dass die Voraussetzungen dafür vorliegen, dass dieser seinen Partner oder seine Partnerin in Angelegenheiten der Gesundheitssorge vertreten darf und dass keine Gründe vorliegen, die eine Vertretung ausschließen, wie zum Beispiel eine bereits bestehende Vollmacht oder Betreuungsverfügung.


Voraussetzung dafür ist, dass sich Ärztinnen und Ärzte zuvor von den vertretenden Ehegattinnen und Ehegatten schriftlich versichern lassen, dass diese das Vertretungsrecht bisher nicht ausgeübt haben und kein Ausschlussgrund vorliegt. Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Versorgung sollten ihre Patientinnen und Patienten frühzeitig danach fragen, wie sie das Notvertretungsrecht für Ehegatten umsetzen wollen und sie zudem auf die anderen Möglichkeiten wie eine Patientenverfügung, eine Betreuungsverfügung oder eine allgemeine Vollmacht, auch Generalvollmacht genannt, aufmerksam machen.

In bestimmten Fällen sieht das Gesetz eine Genehmigung durch das Betreuungsgericht vor. Das gilt bei

  • lebensgefährdenden medizinischen Maßnahmen nach §1904 Absatz 1 Satz 1 BGB außerhalb der in Absatz 1 Satz 2 (Gefahr im Verzug) und Absatz 4 (Einvernehmen zwischen Betreuer und Arzt) geregelten Ausnahmen
  • Maßnahmen mit dem Risiko eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens nach § 1359 Absatz 6 in Verbindung mit § 1829 Absatz 1 bis 4, BGB
  • freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 1358 Absatz 6 in Verbindung mit § 1831 Absatz 4 in Verbindung mit Absatz 2.
Frage nach der Haftung noch unbeantwortet

Die Frage, wie sich das Notvertretungsrecht für Ehegatten (§ 1358 BGB) auf die Haftung der Ärztinnen und Ärzte auswirkt, bleibt derzeit noch unbeantwortet. Zwar bestätigt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt schriftlich die Angaben des vertretungswilligen Ehegatten. Es bleibt aber unklar, ob sich daraus für die Ärztin oder den Arzt eine Nachforschungspflicht ergibt oder ob er sich auf die Versicherung des Ehegatten verlassen und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vertretung beziehungsweise das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen ohne weitergehende Nachforschungen bestätigen darf. Hier werden die Gerichte gefordert sein.

Christina Hirthammer-Schmidt-Bleibtreu ist Justiziarin der Ärztekammer Nordrhein (ÄkNo) und leitet das Ressort Juristische Grundsatzfragen der Rechtsabteilung der ÄkNo.